Gesammelte Schulhumoresken. Eckstein Ernst

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Название Gesammelte Schulhumoresken
Автор произведения Eckstein Ernst
Жанр Зарубежная классика
Серия
Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
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daß man seinen Ehrenplatz heute in höchst eigentümlicher Weise dekoriert hatte. Er runzelte die Stirn und wollte sich eben erkundigen, »wer sich einen so witzlosen Streich erlaubt habe«, als sein Blick auf dem Namen Brömmel haften blieb, der sich in großen Buchstaben aus dem typographischen Karree einer sauber ziselierten Strophe hervorhob. Der Schulmann sah näher zu und vermochte nur mit Mühe einen Ausruf des Entsetzens zu unterdrücken.

      »Sehr gut, sehr gut!« stöhnte er nach einer Weile, heftig die Nüstern blähend. »Und wer ist der saubere Kamerad, der sich dieser wohlfeilen Späße erfrecht? Er möge sich nennen, der Feigling, damit ich ihm zeigen kann, was einem solchen ehrlosen Streiche gebührt!«

      In den Räumen der Sekunda herrschte lautlose Stille.

      »Nun, will sich der wohl melden, der mir diese schmutzigen Wische da auf den Katheder gelegt hat? Ich frage nicht zum dritten Male!«

      Über den Subsellien brütete eine unheimliche Grabesruhe. In der Tat hatten wir keine Veranlassung, der Aufforderung des Herrn Professors nachzukommen, da er uns so energisch versicherte, zum drittenmal würde er nicht fragen.

      »So!« rief Brömmel nach einer längeren Pause, furchtbar die Augen rollend; »der will sich also nicht melden? Gut! Sehr gut! So werde ich die ganze Klasse über Mittag hier behalten!«

      Jetzt erhob sich auf den hinteren Bänken ein Brummen des Unwillens, dem sich bald ein sehr dezidiertes Scharren mit den Stiefelabsätzen zugesellte.

      »Was? Brummen wollen Sie? Scharren wollen Sie? Kindsköpfe, die Sie sind! Ich werde Ihnen einmal einen Quartaner herauf holen, der soll Ihnen sagen, was Lebensart ist!«

      Gelächter auf allen Bänken.

      Jetzt riß Herrn Brömmel die Geduld. Er eilte mit großen Schritten auf Boxer zu, den er in dem begründeten Verdacht hatte, einer der Haupträdelsführer bei jedem Skandal zu sein, und rief mit Donnerstimme:

      »Sie sind mir für diesen himmelschreienden Unfug verantwortlich! Entweder Sie machen mir den Schuldigen ausfindig, oder ich sperre Sie vier Tage auf den Karzer.«

      »Meinen Sie mich?« lächelte Boxer mit der Unschuld eines vierzehnjährigen Mädchens.

      »Ja, Sie! Ich sehe Ihnen an, daß Sie die ganze Geschichte angestiftet haben! Kein Wort mehr!«

      »Aber, Herr Doktor, ich versichere Sie, daß ich keine Ahnung habe, um was es sich eigentlich handelt. Gebrummt habe ich diesmal nicht, und wegen Nichtbrummens zu brummen fällt mir gar nicht ein.«

      »Lassen Sie Ihre schlechten Witze, sonst werden Sie Ihre Lage nur noch verschlimmern! Wollen Sie mir kurz und bündig gestehen, was Sie von der Sache wissen?«

      »Von welcher Sache, Herr Doktor? Gebrummt habe ich nicht, denn ich sitze viel zu weit vorn, und gescharrt habe ich auch nicht, denn ich habe heut' Stiefel an, die mir so eng sind, daß ich keinen Fuß rühren kann. Also wovon soll ich wissen?«

      »Mensch, Sie verstellen sich in einer Weise, die geradezu empörend ist. Ich frage Sie, was wissen Sie über den Autor der schamlosen Pasquille, die man mir dort auf den Katheder gelegt hat?«

      »Erlauben Sie einmal«, sagte Boxer, nach dem Katheder eilend. – Er las mit halblauter Stimme:

      »O lieber Gott, in jedem Jahr

      Ein frisch besohltes Zwillingspaar …«

      »Behalten Sie diese Dummheiten für sich, und gehen Sie auf Ihren Platz zurück!« schrie Brömmel mit steigender Erbitterung.

      Boxer raffte die Zettel, die auf dem Katheder lagen, zusammen und steckte sie in die Brusttasche.

      »Wenn Sie mir drei Tage Zeit lassen,« sagte er harmlos, »so wird es mir nicht schwer halten, den Urheber zu ermitteln. Ich gehe einfach bei allen Druckereien der Stadt herum und erkundige mich, in welcher Offizin diese Zettel gedruckt worden sind. Das ist das einfachste und sicherste Mittel.«

      »Das werden Sie bleiben lassen«, versetzte Brömmel energisch. »Wollen Sie Ihren Impertinenzen die Krone aufsetzen und diese Sudeleien womöglich noch ins Tageblatt befördern? Geben Sie her!«

      Boxer nahm jetzt die Stellung ein, die Lessing auf seinem berühmten Gemälde dem Johann Huß zuerteilt hat.

      »Herr Professor,« sagte er, »das ist eine schreiende Ungerechtigkeit! Sie bedrohen mich mit einer mehrtägigen Karzerstrafe, falls ich Ihnen den Schuldigen nicht namhaft mache, und dabei suchen Sie mir die Mittel zu entziehen, die allein geeignet sind, mir die gewünschte Entdeckung zu ermöglichen. Herr Professor, Sie werden entschuldigen, wenn ich mich damit nicht beruhigen kann. Ganz ergebenst bitte ich um die Erlaubnis, sofort zum Herrn Direktor gehen zu dürfen. Ich werde ihm die ganze Angelegenheit vortragen und diese Zettel zur Verfügung stellen. Der Herr Direktor mag dann selbst entscheiden, ob ich dafür verantwortlich bin, wenn andere etwas von Zwillingen schreiben. Außerdem habe ich niemals gehört, daß Zwillinge ein Schimpfwort wäre.«

      Brömmel sah jetzt sehr wohl ein, daß er sich in eine Sackgasse verrannt hatte. Er wäre lieber gestorben, ehe er zugegeben hätte, daß der Direktor diese schnöden Machwerke der mißratenen Sekundaner zu Gesicht bekäme. Was konnte es frommen, wenn die offizielle Folge einer solchen Wendung der Dinge wirklich für Boxer und Genossen verhängnisvoll ward? Privatim hätte der Direktor sich doch köstlich amüsiert und nicht verfehlt, im Klub und auf den öffentlichen Bierkellern, die er mit Vorliebe frequentierte, das Ereignis zum besten zu geben, ganz abgesehen davon, daß Brömmel sich dem Direktor gegenüber selbst unter vier Augen nicht kompromittieren wollte. Der Zwist wurde also beigelegt, Boxers Unschuld in ihrem vollen Umfange anerkannt und von einer weiteren Untersuchung Abstand genommen, weil, wie Doktor Brömmel sich ausdrückte, die ganze Sache eigentlich zu erbärmlich war, um ein Wort darüber zu verlieren.

      »Ich bitte mir übrigens aus,« fügte er hinzu, als er wieder auf dem Katheder Platz nahm, »daß Sie die Wische da unverzüglich vernichten. Sekunda stellt sich durch solche Lächerlichkeiten ein testimonium paupertatis aus, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Haben Sie nichts Besseres zu tun, als Ihre Zeit mit solchen unlauteren Reimereien zu vertrödeln? Schämen Sie sich in Ihre Seelen hinein! Wenn Sie so fortfahren, so werden Sie über kurz oder lang moralisch zugrunde gehen, – denken Sie an mich! Ohne echten sittlichen Ernst ist eine gedeihliche Entwickelung des Menschen nicht denkbar, und wenn Sie noch so glänzende Fortschritte in den Wissenschaften machen, was ich nicht gerade behaupten kann, so würden Sie doch niemals zu wahrhaften Männern heranreifen, falls der frivole Geist, wie er seit einiger Zeit in dieser Klasse herrscht, einen dauernden Einfluß behaupten sollte. Wahrlich, es ist weit gekommen, wenn nicht einmal mehr das Privatleben des Lehrers vor den Ungezogenheiten einer charakterlosen Schuljugend sicher ist. Aber das kommt von dem oberflächlichen und leichtfertigen Lebenswandel, dem sich die meisten jungen Leute von heutzutage leider schon sehr, sehr früh zu ergeben pflegen! Es ist ein wahres Unheil, wenn sich in der Stadt, wo die Gymnasien ihr Zelt aufgeschlagen haben, gleichzeitig eine Universität befindet. Verlassen Sie sich darauf, ich werde Ihnen auf die Finger sehen! Erfahre ich jemals wieder, daß einer von Ihnen an Zechgelagen teilgenommen hat, so lasse ich keine Milderungsgründe gelten: ich trage unbedingt auf Relegation an. Es sind Leute unter Ihnen, die gar nicht wissen, was sie sich und der bürgerlichen Gesellschaft als Mitglieder eines öffentlichen Erziehungsinstitutes schuldig sind. Das muß anders werden. Boxer, an Sie wende ich mich speziell. Sie sind mir wiederholt als derjenige bezeichnet worden, der bei allen nichtsnutzigen Streichen das große Wort führt. Ich rate Ihnen in aller Freundschaft, bessern Sie sich, sonst nimmt es kein gutes Ende mit Ihnen. Wahrlich, Ihr vortrefflicher Herr Vater hat es nicht um Sie verdient, daß Sie in dieser Weise seinem Namen Unehre machen.«

      Boxer erhob sich mit der Miene eines tödlich Beleidigten.

      »Herr Professor,« stammelte er mit gut gekünstelter Aufregung, »das hat mir noch niemand gesagt. Und was meinen Vater betrifft, so hat er erst gestern in meiner Gegenwart geäußert, ich sei der Stolz der Familie. Ich kann das durch Zeugen erhärten, und in der Tat wüßte ich auch nicht, inwiefern ich ihm die mindeste Unehre machte. Ich habe bis jetzt noch immer die besten Aufsätze geschrieben, und meine Zensuren lauten, bis aufs Betragen, stets günstig.«

      »Setzen Sie sich! Ich weiß besser, was Ihr