Gesammelte Schulhumoresken. Eckstein Ernst

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Название Gesammelte Schulhumoresken
Автор произведения Eckstein Ernst
Жанр Зарубежная классика
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Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
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er kam nicht weiter als Kurschmann. Die Aufgabe war eben für einen Quartaner unlöslich.

      »Zu unterst!« schrie der Professor, der die Unfähigkeit seiner Schüler wie eine persönliche Injurie empfand. Bei den Göttern! War denn diese Neujahrsode so verworren, so unklar, daß zwei der besten Jakobs-Übersetzer, daß ein Kurschmann, ein Engelbach daran scheiterten! …

      »Kleewitz!« rief Schmelzle mit geröteter Stirn, als Engelbach neben Kurschmann Platz genommen und mich so abermals um einen herauf befördert hatte. »Du bist doch ganz gewiß imstande gewesen … Es müßte ja mit dem Teufel zugehen … Ich verlange ja keineswegs den vollendeten Attizismus, aber mein Gott … Was? Du hast überhaupt nichts geschrieben? Die Arbeit war Dir zu schwer? Du bist ja ein ganz erbärmlicher Junge! Zu unterst! Augenblicklich zu unterst!«

      Und abermals rückte ich einen hinauf.

      Dieser vierfache Mißerfolg hatte den Professor hitzig gemacht.

      »Ich will denn doch einmal sehen, ob nicht ein einziger in der ganzen Klasse so viel Griechisch besitzt, um dieses schlichte, einfache, ich kann wirklich sagen: edel-einfache Poem wiederzugeben! Einer wird doch von den rastlosen Bemühungen, die ich dieser Klasse fortwährend opfere, etwas profitiert haben. Grazmüller, Veltliner, Stechhuber! Beim Pluto, seid Ihr denn alle vernagelt? Grazmüller, lies einmal vor!«

      Und Grazmüller las. Aber auch Grazmüller kam zu Fall, wurde im Tagebuch durch persönliche Eintragung des Professors mit Nachsitzen belegt, und dann ertönte das traditionelle »Zu unterst!«

      So rutschte ich Bank um Bank aufwärts, und als es drei Viertel schlug, – Sie mögen's nun glauben oder nicht, – als es drei Viertel schlug, war ich, Otto Leberecht Holzheimer, ich, das Opfer mißglückter Aoristformen, Primus!

      Der Professor bebte am ganzen Leibe.

      »Das ist zu viel!« raunte er mit erstickter Stimme. »Ich muß ein Exempel statuieren. Die ganze Klasse kann ich nicht einsperren, aber schon im Altertum pflegte man rebellische Legionen zu dezimieren … Die sechs Untersten werden mir über Mittag nachsitzen. Primus, Du wirst den Pedellen von dieser Verfügung in Kenntnis setzen.«

      Und ich, Otto Leberecht Holzheimer, meldete unserem Pedell, die sechs Ultimi, darunter zwei der vorzüglichsten Griechen, seien wegen ungenügender Leistung mit der empfindlichen Strafe des Herrn Professors in aeternam rei memoriam gebrandmarkt worden!

      Sehen Sie, geehrter Herr Redakteur, so geht's in der Welt! Der Geist siegte über das Fleisch, die deutsche Intelligenz über den griechischen Formelkram, der Germanismus über das Welsche, Bismarck über Benedetti, Schalk über das Philistertum, und Falk über die Jesuiten. Als deutscher Quartaner biete ich Ihnen, dem Gleichgesinnten, Gruß und Handschlag! Lassen Sie uns gemeinsam fortstreben im Dienste der echten, der geistesbefreienden Humanität!

Mit kollegialischem GrußIhrherzlich ergebenerOtto Leberecht Holzheimerpr. Adr.: Herrn Dr. Friedrich Leberecht Holzheimer,Herzogl. Kreisphysikus und Sanitätsratzu Meppingen

      Ein Familienereignis

      Es ist eigentümlich, wie schwer sich der Gymnasiast daran gewöhnt, das Privatleben seiner Lehrer unbefangen und parteilos ins Auge zu fassen und in dem Manne, der da berufen ist, von der Höhe seines Katheders den Äschylus zu erklären und Karzerstrafen zu verhängen, ohne störende Nebengedanken den Bürger und Staatsbürger zu würdigen. Alles, was der Lehrer im Kreise seiner Familie oder innerhalb der menschlichen Gesellschaft treibt, gewinnt für den Blick des Gymnasiasten eine absonderliche Beleuchtung, und zwar müssen wir zu unserem Bedauern konstatieren, daß diese Beleuchtung nur in Ausnahmefällen die einer rein menschlichen Sympathie ist. Vielmehr geht das Gymnasiastengemüt systematisch darauf aus, jeder Handlung des Gymnasialprofessors, und sei sie die indifferenteste und naturgemäßeste, eine komische Seite abzugewinnen und übermütige Glossen daran zu knüpfen.

      Zu den ernstesten und heiligsten Familienereignissen gehört die Vermehrung des Hausstandes durch einen jungen Sprößling. Unter normalen Verhältnissen beeilen sich sofort die Verwandten und Freunde, das höchlich erfreute Elternpaar zu beglückwünschen, und ein Inserat im Tageblatt verkündet auch den entfernteren Gönnern und Gesinnungsgenossen, daß die liebe Frau Berta oder Josephine ihren Gatten mit einem kräftigen Jungen überrascht habe. Wenn der Gymnasiast wirklich ein ethisch tief angelegtes Geschöpf wäre, so müßte ein derartiges Vorkommnis in der Familie des Gymnasialprofessors auf die ganze Klasse einen erhebenden und läuternden Einfluß ausüben. Aber just das Gegenteil ist der Fall …

      In Sekunda und Prima erfreuten wir uns eines Lehrers, der nur darum nicht die oben erwähnten Insertionskosten in jedem Semester dreimal zu tragen hatte, weil die Natur in diesem Punkte unüberwindliche Hindernisse aufgetürmt hat. Aber alljährlich einmal trat die beglückende Überraschung doch ein, und die ganze Klasse war dann in einer Weise demoralisiert, die mit dem Geist, wie er in einer Pflanzstätte des Schönen, Wahren und Guten herrschen soll, schroff kontrastierte.

      Schon einige Wochen vor dem entscheidenden Tage raunte man sich auf allen Bänken das Geheimnis von Doktor Brömmels erneuten Hoffnungen zu. Sobald diese Tatsache für ausgemacht galt, beschäftigten wir uns während der Unterrichtsstunden Brömmels vornehmlich mit Epigrammen und Xenien, denen es oblag, unsere Entdeckung nach ihrer sittlichen, kulturgeschichtlichen und nationalökonomischen Seite zu kritisieren.

      Eine hervorragende Rolle in diesen rhythmischen Kleinigkeiten spielte Niobe, als das Urbild eines überschwenglichen Mutterstolzes. Auch Danaos und andere mythische Gestalten woben sich zwanglos in unsere Distichen ein. Und da sich mir bei einer tieferen Würdigung der Sachlage die Erwägung aufdrängte, wie es Herrn Brömmel dereinst wohl gelingen möchte, seine zahlreichen Töchter glücklich und vorteilhaft zu verheiraten, so schuf ich, die Ereignisse antizipierend, eine Ballade, die mit den Versen anhub:

      Herr Brömmel ist von Töchtern

      Allmählich ganz umringt;

      Er denkt und sinnt und dichtet,

      Wie er sie unterbringt.

      Schon sind Amandens Locken

      Mit zartem Grau meliert,

      Und Ostern wird die Jüngste,

      So Gott will, konfirmiert.

      Im weiteren Verlauf der Dichtung schob ich nun dem unglücklichen Lehrer eine endlose Reihe von Machinationen unter, von denen keine zum erwünschten Ziele führt. Da ergreift ihn die helle Verzweiflung. Die Hände zum Zeus erhoben, bricht er in die klagenden Worte aus:

      O Herr, sieh du in Gnaden

      Auf meiner Töchter Zahl

      Und hilf mir, Allerbarmer,

      In meiner Vaterqual!

      Da läßt Zeus seine Donner rollen, und eine vernichtende Stimme ruft dem erschrockenen Bittsteller zu:

      Was du dir angerichtet,

      Ertrage mit Geduld:

      Hast du zu viele Töchter,

      So bist du selber schuld!

      Der Leser wird schon bei der Lektüre dieser wenigen Proben die Überzeugung gewinnen, daß unsere Lieblosigkeit einen wahrhaft beängstigenden Höhegrad erreicht hatte. Was war indes meine Ballade gegen die Xenien Wilhelm Rumpfs oder die Vierzeiler Emanuel Boxers? Eines dieser Quatrains lautete z. B.:

      Und gibt's ein Zwillingspaar,

      So sind's der Kinder zwei;

      Und gibt's noch eines mehr,

      So sind es ihrer drei.

      Ein anderes:

      Wie zärtlich strahlt dein Angesicht,

      Und wonnig glüht der Liebe Feuer!

      Doch eines, Kind, bedenkst du nicht:

      Das Geld ist rar, das Leben teuer.

      Ein drittes griff die Sache noch ironischer und beißender an. Es lautete:

      Flocken,