Der schweizerische Robinson. Johann David Wyss

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Название Der schweizerische Robinson
Автор произведения Johann David Wyss
Жанр Зарубежная классика
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Издательство Зарубежная классика
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der mannigfaltigen Anstrengung des Tages durchaus erschöpft, warf ich mich endlich auf eine Bank, wischte mir die Stirn, die voll Schweißtropfen stand, langsam ab, seufzte laut und sagte nach einer Pause: »Wahrhaftig, Mutter, heute habe ich gearbeitet wie ein Pferd, aber morgen will ich mir gewiß auch Ruhe gönnen!«

      »Das kannst du, mein lieber Mann, und das sollst du«, antwortete sie. »Denn, um dir die Wahrheit zu sagen, ich habe nachgerechnet und gefunden, daß morgen ein Sonntag ist, und daß wir leider an dieser Küste bereits einen solchen unbeachtet gelassen haben.«

      »Gut, du gewissenhafte Seele, daß du an das alles gedacht hast, und dieser Tag soll morgen gefeiert werden! Ich merkte wohl, daß wir einen Sonntag übergingen; aber ich glaube, damals in der Not unserer Rettung und über den ersten dringenden Anstalten unsres Hierseins war es verzeihlich. Jetzt hingegen, da wir angesiedelt und für die nächsten paar Monate hoffentlich geborgen sind, wäre es unrecht, wenn wir nicht diesen schönen Feiertag in gewohnter Weise, mit mehr als einem kurzen Gebet, begehen wollten!«

      »Ich wenigstens freue mich von Herzen, einen Tag hindurch an das Beste und Vortrefflichste, das ich kenne, ganz ungestört denken zu dürfen. Die Knaben wollen wir morgen mit dem Sonntag recht überraschen und nun Anstalten treffen, um uns alsbald zur Ruhe zu begeben. Ich muß dir sagen, mein Lieber, daß du mir das Luftschloß auf dem Baum ungemein zum Dank eingerichtet hast, und daß ich nun wagen will, mit euch allen die erste Nacht droben schlafen zu gehen; denn ich sehe, du hast alles so zweckmäßig veranstaltet, daß wir hoffen dürfen, dort nicht nur ohne Gefahr hausen, sondern auch die Nächte weit sicherer zubringen zu können als auf der ebenen Erde, wo Schakale und andere Raubtiere uns überfallen möchten. – Aber jetzt ist es Zeit zum Essen«, schloß sie; »rufe du die Knaben herbei, während ich anrichte.«

      Es ging nicht lange, so war die junge Mannschaft zur Hand, und die Mutter brachte vom Feuerherd einen irdenen Kochtopf, nach dessen Geheimnis wir alle lüstern waren. Als der Deckel abgehoben worden, zeigte sich unser geschossener Flamant, und die Mutter bemerkte, daß sie ihn nicht gebraten, sondern vorgezogen habe, ihn zu dämpfen, weil Ernst ihr gesagt, daß es ein altes und zähes Tier sei. Wir lachten über die Vorsorge des Jungen, der sich in der Mutter Kochamt gemischt, fanden aber in der Tat, daß er nicht unrecht gehabt hatte. Man griff zu, nagte jedes Knöchelchen rein ab und fand alles unvergleichlich.

      Nach dem Essen wurde ein mächtiges Feuer angefacht, das einigermaßen wenigstens unser Vieh beschützen sollte, und nun begannen wir, unsern Baum zu besteigen. Im Hui waren die drei altern Knaben droben. Ihnen folgte die Mutter, die nicht ohne Furcht und nur langsam, aber doch glücklich in die Höhe klimmte. Zuletzt betrat auch ich die Leiter, und zwar, nachdem ich sie erst an ihrem untern Ende losgeknüpft hatte, so daß sie nun schwankend in der Luft hing und das Aufsteigen mir gewaltig erschwerte, zumal, da ich mir Fränzchen auf den Rücken gepackt hatte; denn ich wagte nicht, ihn allein auf der schwankenden Leiter hinaufklettern zu lassen. Endlich langte ich ebenfalls in dem Luftrevier an und zog zu großem Vergnügen der Knaben die Strickleiter hinter mir herauf, so daß es ihnen vorkam, wir seien in einer Ritterburg und, nach aufgezogener Fallbrücke, sicher gegen alle Feinde der Welt.

      Weil ich mir nun vorgenommen hatte, mich nicht wieder mit der Unterhaltung von Feuer zu quälen, da die erste Nacht so ruhig und still vorübergegangen war, so setzte ich nur noch unser Schießgewehr in Bereitschaft, damit es allenfalls bei der Hand sei, wenn sich unten etwas Feindseliges zeigen sollte, und ich von oben zur Unterstützung der wachenden Hunde hinabschießen könne. Darauflegte ich mich wohlgemut zur Ruhe, und die allgemeine Ermüdung ließ uns alle vortrefflich die Süßigkeit des Schlafes bis zum Anbruch des folgenden Morgens in reichlichem Maße genießen.

      Andern Tags erwachte alles fröhlich und guten Mutes. »Was gibt es heute zu tun?« riefen die Knaben wie aus einem Munde. »Nichts, gar nichts«, erwiderte ich; »heute soll nicht ein Streich gearbeitet werden.«

      »Ach, du willst nur scherzen, lieber Vater, wir merken es wohl«, riefen die Kinder.

      »Nein, Kinder, ich scherze nicht. Es ist Sonntag heute, und wir wollen ihn feiern, wie recht und billig ist.«

      »Ah, Sonntag, Sonntag!« rief Jack freudig aus; »das ist ja prächtig; da will ich Pfeile schießen und herumspazieren und faulenzen, daß es eine Lust sein soll.«

      »Davon ist einstweilen nicht die Rede, mein Kleiner!« sagte ich. »Der Sonntag ist der Tag des Herrn und bestimmt, daß wir mit aller Innigkeit an den lieben Gott denken.«

      »Ich habe geglaubt«, meinte Ernst, »der Gottesdienst bestehe im Kirchengehen, im Predigthören und im Kirchengesang; wie wollen wir denn den Sonntag feiern?«

      »Ja, Vater«, fiel ihm das kleine Fränzchen in die Rede, »hier ist ja keine Kirche; wie können wir da in die Predigt gehen und auf der Orgel spielen?«

      »Gerade, als wenn der Vater uns nicht auch predigen könnte«, sagte Jack, »und als ob es im Freien nicht auch gut wäre und man nicht ohne Orgel auch singen könnte. – Weißt du nicht mehr? Die Soldaten zu Hause gingen auch nicht in die Kirche, wenn sie kampierten, und hatten auch keine Orgeln, und doch hatten sie Predigt.«

      »Freilich, Kinder«, nahm ich nun das Wort, »Gott ist allenthalben; und wo man aufrichtig an ihn denkt, da ist Gottesdienst. In diesem Sinne kann jeder Ort in der Welt zur Kirche werden. Und am Ende ist die schöne Natur und der blaue, herrliche Himmel wohl schöner und herzerquickender als ein steinernes Haus von Menschenhand.«

      Da sahen die Jungen ein, daß wir recht guten Grund hatten, auch auf unserer Insel Sonntag zu feiern. So geschah denn nur das Nötigste, wie ich es angeordnet hatte, und nachdem wir auch für unsere Tiere gesorgt hätten, setzten wir uns endlich hin auf das weiche Gras. Während alle andächtig lauschten, erzählte ich ihnen, wie gut es Gott mit uns fügte, als er uns auf diese wunderschöne Insel geraten ließ, die uns alles zum Leben biete. Ich ermahnte sie, sich der weisen Führung Gottes zu unterwerfen, die sicher auch uns mit diesem harten, arbeitsreichen Leben nur Gutes bringen wolle.

      Mein junges Volk war ein Weilchen ganz nachdenkend und gesetzt; aber bald, da ich sie nicht mehr zusammenhielt, ging ein jeder seines Weges, und weil sie glaubten, keinerlei Geschäfte unternehmen zu dürfen, so schien es mir, daß sie sich zwar Mühe gäben, sich mit ihren Gedanken allein die Zeit zu vertreiben, daß aber ihre Seele noch zu arm sei, um sich ohne äußere Beschäftigung oder Unterhaltung den Rest des Tages genügen zu können.

      Ich sprach also die Knaben, da ich sie nicht mit Sittenlehren auf einmal überschwemmen wollte, von einer allzu strengen Muße frei, und nun war ihnen geholfen. Jack verlangte meinen Bogen samt den Pfeilen und wollte den Versuch machen, die letztern mit Spitzen zu bewaffnen. Fritz hatte Lust, an seinem Besteck zu arbeiten, und brauchte dazu Rat von mir. Fränzchen bat gar, weil er mit der Flinte noch nicht schießen dürfe, daß ich doch einen Bogen und Pfeile für ihn schnitzen möge.

      Da mußte ich wohl nachgeben, und zuerst überantwortete ich Jack meine Pfeile und wies ihn an, wie er unten den Sand wieder herausschaffen und dafür seine Spitzen in die Rohre hineinfügen solle. »Das Ganze«, sagte ich, »muß dann mit Packfaden wohl verbunden und sollte zu mehrerer Festigkeit noch in Leim getunkt werden.«

      »Ja«, meinte Jack, »du hast gut reden; wenn ich nur wüßte, wo hier die Leimsieder wohnen, da wollt‘ ich schon kaufen!«

      »Nun«, sagte Fränzchen, »laß dir von der Mutter ein Fleischtäfelchen geben, die Dinger sehen aus gerade wie Leim.«

      »Ei was«, versetzte Jack, »du kleiner Knopf wirst das wohl nicht besser verstehen als wir!«

      »Mit alledem«, bemerkte ich, »ist der Einfall so übel nicht. Nimm du das Gute an, woher es auch kommen mag! Es sind wohl manche berühmte Erfindungen aus Gedanken hervorgegangen, die anfangs um kein Haar klüger schienen. Geh, hole ein Fleischtäfelchen herbei, setze es in einer Kokosschale ans Feuer und mache wenigstens einen Versuch.«

      Während sich Jack für sein Geschäft in Atem setzte, kam auch Fritz und verlangte Auskunft wegen seiner Bestecke. Ich hieß ihn vor allem sein Fell herbeischaffen und lagerte mich in das Gras, um aus einem Rest von Bambusrohr einen Bogen zu schneiden. Es ist gut, dachte ich, wenn die Jungen frühzeitig lernen, auch mit dieser Waffe sich durchzuhelfen. Unser Pulvervorrat wird früher oder später