Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas. Balduin Mollhausen

Читать онлайн.
Название Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas
Автор произведения Balduin Mollhausen
Жанр Зарубежная классика
Серия
Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
isbn



Скачать книгу

zum erstenmal auf der Ebene geregnet, während die östlichen Gebirgszüge fast bis zu ihrer Basis hinunter in einer Schneedecke prangten. Der Morgen war kalt, aber klar, so daß wir uns kein besseres Wetter zur Reise wünschen konnten. Ein leichter viersitziger Wagen, von zwei kräftigen Pferden gezogen, war zu unserem eigenen Gebrauch gemietet worden, während unsere Leute — ein Koch, ein Diener und sechs Packknechte — ihre Plätze beim Gepäck auf einem großen vierspännigen Lastwagen fanden. Wir verließen Los Angeles, wohin wir nach vierzehn Tagen zurückzukehren gedachten, und schlugen die Straße ein, die in nordwestlicher Richtung über die Ebene führte und in der Entfernung von sechs englischen MeilenWenn ich mich in diesem Werk bei Angabe von Entfernungen der Bezeichnung Meile bediene, so ist darunter stets die englische Meile zu verstehen, von der 4¾ auf eine deutsche gerechnet werden können. nördlich in einen niedrigen Gebirgszug bog, der sich in westlicher Richtung mit dem Küstengebirge vereinigte. Wir näherten uns wieder dem Ozean, und es war beim Aufsteigen in den Paß, wo ich zum letztenmal den Spiegel der Südsee erblickte und ihm wahrscheinlich auf ewig Lebewohl sagte. Diese Aussicht dauerte wenige Minuten, denn bald waren wir umgeben von Bergen und Felsen, die einen Kessel um uns herum bildeten und, mit der Basis zusammenstoßend, nur eine unbequeme Straße offenließen. Überall, wo niedriges Gestrüpp und Kakteen den Boden nicht bedeckten, war deutlich Sandsteinformation zu erkennen, doch nahm ich auch Proben von Eruptivgestein wahr, das indessen von den Gipfeln der Berge herabgerollt zu sein schien.

      Vier Meilen mochten wir wohl in dem Paß zurückgelegt haben, als bei einer Biegung der Straße die nackten Hügel sich öffneten und die Ebene von San Fernando vor uns lag. Diese Ebene hat in allen Richtungen eine Breite von ungefähr sechzehn Meilen, und die Mission, wo wir zu übernachten beabsichtigten, befindet sich am östlichen Rand derselben. Als wir den Paß verließen und am Fuß der Hügel den Los-Angeles-Fluß überschritten, wurden wir von Lieutenant Beale und seinem Assistenten, Lieutenant Torborn, auf ihren schnellen Dromedaren eingeholt; beide eilten nämlich ihrer Expedition voraus, um in Fort Tejon für die Unterbringung der Kamele ihre Vorbereitungen zu treffen, und sie wünschten wie wir noch vor Einbruch der Nacht die Mission zu erreichen. Es war ein langer und zugleich ermüdender Marsch auf dem sandigen Weg, und üppig wuchernde Kakteen, unter deren stachligen Blättern Tausende von Rebhühnern und Hasen eine sichere Zufluchtsstätte fanden, bedeckten den größten Teil der Ebene und verliehen ihr einen unfreundlichen, trostlosen Charakter.

      Die Sonne verschwand hinter den westlichen Bergen, die Dämmerung ging schnell in Dunkelheit über, und noch immer trennten uns Meilen von unserem Ziel. Der Himmel hatte sich mit schweren Regenwolken überzogen und verdichtete die nächtliche Dunkelheit so sehr, daß wir kaum gewahrten, daß wir auf einer langen Strecke in geringer Entfernung von einer Mauer, der alten Garteneinfriedung der Mission, hingezogen waren. Am Ende der Mauer schimmerte uns ein Licht entgegen, auf das wir zulenkten, und nach einigen Minuten wurden wir unter der langen Kolonnade der Mission von deren jetzigem Besitzer General Pico beim Schein von Laternen mit echt mexikanischer Gastfreundschaft willkommen geheißen. Unsere Leute und Tiere fanden bald ein bequemes Unterkommen in einem der vielen leeren Räume der Mission, meine drei Gefährten und mich dagegen führte der würdige Senor in einen geräumigen Saal, in dem er uns zwei mächtig große Betten zum Nachtlager anwies. Kruzifixe, aus dunkelfarbigem Holz geschnitzt, zierten die weißen Wände dieses altertümlichen Gemachs, dessen ganze Einrichtung noch von den Missionaren herzurühren schien; eine gewisse Einfachheit war in demselben vorherrschend, ohne jedoch den Bequemlichkeiten Abbruch zu tun, die dem müden Reisenden bei seinem Eintritt auf einladende Weise ins Auge fielen. Diese zu erhöhen, hatte der General eine ganze Reihe von Flaschen mit verschiedenen kalifornischen Weinen auf den roh gezimmerten Tisch gestellt, und wo andere vielleicht nach Namen, nach dem Woher und dem Wohin gefragt hätten, da trank der edle Don mit jedem von uns ein Glas von seinem Besten und führte uns dann in den Speisesaal. Dort trafen wir mit Lieutenant Beale und Lieutenant Torborn zusammen, die fast zu gleicher Zeit mit uns die Mission erreicht hatten und gleich uns vor allen Dingen durch die löbliche Zeremonie des Willkommenstrunks gegangen waren. Auch sie schienen sich ganz willig in den guten alten Brauch zu fügen, worauf wir um eine lange Tafel Platz nahmen, die unter einer Last wohlzubereiteter Speisen seufzte. Bis spät in der Nacht hinein saßen wir zusammen; der Wein war gut, die Unterhaltung kam nie ins Stocken, und wie wäre das auch anders möglich gewesen bei Reisenden des »Fernen Westens«, die sich im »Fernen Westen« begegnen. Mr. Peacock, Herr von Egloffstein, Mr. Taylor und ich befanden uns zwar erst am Anfang einer Expedition, Mr. Beale und Mr. Torborn dagegen hatten eben eine Reise, und dazu noch die Probereise auf den Kamelen, beendet, weshalb ihre Erzählungen von größtem Interesse für uns waren, und für mich um so mehr, als ich die von ihnen durchzogenen Landstriche auf meiner zweiten Reise schon teilweise kennengelernt hatte und daher manche Frage über verschiedene Berge und Flüsse, über einzelne Indianerstämme und deren Häuptlinge an die Erzähler richten konnte, die mir zu meiner größten Freude genügend beantwortet wurde. Nicht genug wußten sie die Sicherheit zu rühmen, mit der die Kamele auf gefährlichen Gebirgspfaden ihre Last getragen hatten; wie unschätzbar sie in dürren, wasserarmen Gegenden gewesen seien; mit welcher Leichtigkeit sie die Ströme durchschwömmen und mit welcher Genügsamkeit sie sich in den schrecklichen Kiesebenen und Felsenwüsten von übelriechenden Zweigen des Kreosotstrauchs und der Talgholzpflanze genährt hatten. Auf der ganzen Reise von Texas bis nach Kalifornien war kein einziges Tier zugrunde gegangen; im Gegenteil, die Kamele befanden sich in so gutem Zustand, wie man es nach einer so langen Reise voller Mühseligkeiten und Entbehrungen kaum hätte für möglich halten können. Die Zweifel, die man hegte ob die Kamele sich in Amerika akklimatisieren und fortpflanzen würden, waren schon vor dem Beginn von Beales Expedition geschwunden; nun aber war es auch erwiesen, daß die Idee des früheren Kriegssekretärs der Vereinigten Staaten, Mr. Jefferson Davis, »Kamele auf dem amerikanischen Kontinent zu militärischen Zwecken zu verwenden«, nicht nur ausführbar sei, sondern daß auch der durch die Weitläufigkeit der Militärposten und durch das Terrain erschwerte Dienst im fernen Westen durch die Einführung von Kamelen auf vorteilbringende Weise bedeutend erleichtert werden könne. Es war schon tief in der Nacht, als wir uns im Speisesaal des General Pico trennten und unsere Gemächer, die sich an verschiedenen Enden des langen Hauptgebäudes befanden, aufsuchten. Ich schlief vortrefflich; ich träumte von spanischen Kriegern und wilden Indianern, die Enthaltsamkeit bewiesen, weil es ihnen am Notwendigsten fehlte; ich träumte von weißbärtigen Mönchen und langhaarigen Kamelen, die in vollen Zügen tranken, weil es ihnen geboten wurde; ich träumte aber auch von der Heimat, denn ich glaubte dort zu sein, als Mr. Peacock mich heftig an der Schulter faßte und mir jubelnd ins Ohr sang: »I can’t stay in this wilderness, but a few days...« Halb träumend rollte ich aus der knarrenden Bettstelle, ich rieb mir die Augen, und mechanisch griff ich nach dem gefüllten Becher, den mir der liebenswürdige Don Pico mit einem verbindlichen »Buenos dias« entgegenhielt. Es hatte während der Nacht geregnet, in den nahen Gebirgen dagegen geschneit. Der Morgen war kalt, heftiger Nordwestwind strich über die Ebene, doch hinderte mich das nicht, sobald es hell genug war, mit meinem Skizzenbuch hinauszueilen, um mir eine Zeichnung von der alten Mission zu sichern, die, umgeben von Trümmern und zerfallenden Hütten, einen eigentümlich malerischen Anblick bot. Ungefähr zwei Meilen vom Fuß der San-Bernardino-Bergkette erhebt sich zwischen umfangreichen Gärten die Mission San Fernando. — Die kleinen Baulichkeiten und massiven Einfriedungen, die einst den geräumigen, mit einer schönen, jetzt aber trockenen Fontäne geschmückten Hof vor dem Hauptgebäude bildeten, zeigen freilich nur noch Haufen von Schutt und Erde, doch sind überall die Spuren früheren Glanzes und Reichtums noch deutlich erkennbar. Das Missionshaus, der jetzige Wohnsitz des Generals, besteht aus einem langen, kolossalen, mit schwerfälliger Architektur verzierten Gebäude, vor dem sich von einem bis zum anderen Ende ein Säulengang hinzieht, dessen zwanzig Bogen dem vorstehenden Dach zur Stütze dienen. Der Boden der Säulenhalle ist zierlich gepflastert, und dadurch wird den Bewohnern nicht nur im heißen Sommer ein schattiger Aufenthaltsort, sondern auch bei unfreundlichem Wetter ein trockener Spazierweg geboten. Mauern sowie Pfeiler sind aus Adobes (an der Luft getrockneten Ziegeln) stark und massiv aufgeführt und erhalten durch den weißen Kalkanstrich ein überaus freundliches Ansehen. An die Nordseite dieses Gebäudes schließen sich von hohen Mauern umgebene Höfe, die jetzt wie früher den vielen häuslichen Arbeiten, welche eine so großartige Einrichtung erheischten, eingeräumt sind. Etwas weiter zurück liegt die alte Kirche; das Dach derselben ist teilweise eingestürzt, die