Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas. Balduin Mollhausen

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Название Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas
Автор произведения Balduin Mollhausen
Жанр Зарубежная классика
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Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
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Augenblick krachte auch meine Büchse. Es war ein gewagter Schuß, doch das Glück hatte meine Kugel in ihrem Lauf gelenkt, denn die Waffe, welche das Leben meines Sohnes bedrohte, entglitt den Händen des Wilden und verschwand, sich im Fall entladend, in den Wellen des Baches. Der Indianer riß sein Pferd herum, und als dasselbe am jenseitigen Ufer hinaufsprang, wankte er im Sattel, griff mit den Händen in der Luft umher und stürzte dann lautlos auf die Erde.

      Der Tod eines der Ihrigen führte eine schnelle Entscheidung herbei; zwei Indianer ritten schleunigst zu ihrem gefallenen Gefährten, hoben ihn vor den einen aufs Pferd, der sich sogleich in größter Eile mit seiner Last entfernte, während der andere, ein alter, einäugiger Krieger, sich mir zuwandte und mit gräßlich verzerrten Gesichtszügen drohend die mit dem Tomahawk bewaffnete Faust zeigte. So weit es auch hin war, so vermochte ich doch den Rachedurst zu erkennen, der aus seinem einzigen Auge glühte; ja ich gestehe es, ich fürchtete mich vor dem Menschen, der mir auf seine Weise zu fluchen schien, und ich zweifle nicht, daß der erschossene Indianer der Sohn dieses alten Kriegers war. Vor meinem Gewissen fühlte ich mich vollständig gerechtfertigt über meine Tat, denn mein rasches Handeln hatte ja meinem Sohn das Leben gerettet; doch der Fluch des Wilden ist an mir in Erfüllung gegangen, und zwar in höherem Grade, als er es selbst jemals ahnen konnte.

      Als dieser letzte wie seine Gefährten auf der weiten Ebene verschwunden war, begannen wir sogleich unsere Herde zu sammeln; mit dem Aufbruch zögerten wir indessen, um den ermatteten Tieren einige Ruhe zu gönnen, bis gegen Abend. Mit raschem Schritt begaben wir uns alsdann auf den Heimweg und kamen bald an den getöteten Rindern vorbei, welche von den Wölfen und Geiern in einen solchen Zustand versetzt worden waren, daß wir das Fleisch als unbrauchbar zurücklassen mußten. Gegen Morgen rasteten wir abermals einige Stunden und erreichten endlich gegen Abend unsere Kolonie, wo wir mit unbeschreiblichem Jubel von den Unsrigen empfangen wurden, die während unserer Abwesenheit in Verzweiflung und Besorgnis geschwebt hatten.

      Von nun an wurde unsere Wachsamkeit womöglich noch verstärkt; Blut war vergossen worden, und mit Sicherheit konnten wir auf die Rache der Indianer rechnen. Der Winter verstrich indessen, ohne daß uns Grund zu größerer Besorgnis gegeben worden wäre; der Frühling kleidete Wiesen und Felder in neues Grün, und nur durch die Aufrechterhaltung der Vorsichtsmaßregeln wurden wir an die früheren Unfälle erinnert. Mit froher Zuversicht bestellten wir unsere Äcker, und mit Stolz beobachteten wir das Gedeihen unserer Herden. Außer einigen Feldmessern und Kettenträgern bekamen wir weder rote noch weiße Menschen zu Gesicht, und von diesen erfuhren wir, daß das Staatseigentum, auf dem wir uns angebaut hatten, nunmehr bald in die Hände der Spekulanten übergehen würde, wenn wir es nicht vorziehen sollten, als zuerst Berechtigte den Boden unserer Ansiedlung direkt vom Staat für den gewöhnlichen Preis von 1-1/4 Dollar für den Morgen käuflich an uns zu bringen. Geringe Sorgen entsprangen uns aus dieser Nachricht, denn soviel Geld oder Geldeswert hatte jeder von uns schon erübrigt, um sich einen gültigen Besitztitel über 80 oder 120 Morgen Land verschaffen zu können, und die Aussicht auf eine dichtere Bevölkerung in unserer Nachbarschaft konnte nur erfreulich und erwünscht sein. —

      Ich komme jetzt zu dem traurigsten Teil meiner Geschichte und zugleich zu dem, was mich zur Auswanderung nach Kalifornien veranlaßte«, fuhr der Erzähler mit gedämpfter Stimme fort.

      »Ein neuer Ansiedler war wieder bei uns angelangt, und es verstand sich von selbst, daß wir alle ihm bei der Errichtung eines Blockhauses hilfreiche Hand leisteten. Bei der Anzahl von kräftigen Armen, die wir schon zu stellen vermochten, kostete es uns nur die Arbeit von einigen Tagen, um der angekommenen Familie ein Obdach zu verschaffen. — Da jeder Zuziehende sich nur an der äußersten Grenze unserer Farmen anbauen konnte und dabei auch auf die Lage des Bodens und die Nähe des Wassers Rücksicht zu nehmen hatte, so befanden sich die letzten Häuser schon in ziemlicher Entfernung vom Mittelpunkt oder vielmehr von den ältesten Wohnungen unserer Kolonie. Um daher beim Bau eines neuen Hauses Zeit und einen weiten Weg zu sparen, übernachteten die meisten der Arbeiter im Freien zwischen den gefällten Baumstämmen, während ein anderer Teil abends dem heimatlichen Herd zueilte.

      Es war am Abend des zweiten Tages harter Arbeit, als ich, die Axt auf der Schulter, begleitet von meinem ältesten Sohn, den nächsten Weg durch die Wiesen nach unserer Hütte einschlug. Wie immer freute ich mich auch an diesem Abend auf den Empfang meiner Familie und beschleunigte deshalb meine Schritte. Ungefähr die Hälfte des Weges hatte ich zurückgelegt, als einer meiner jüngeren Söhne, der mit den anderen Knaben den Tag bei den Herden zugebracht hatte, mir atemlos entgegenkam und ausrief: »Die Mutter ist krank, und die beiden Pferde sind von den Indianern geraubt worden!«

      Anfangs stand ich wie versteinert, ich fürchtete, dem Kind Fragen vorzulegen, sammelte mich aber gleich wieder und lief, so schnell mich meine Füße zu tragen vermochten, meiner Wohnung zu. In wenigen Minuten war ich dort, sprang an der Stelle vorbei, wo meine besten Pferde, die ich nie zur Herde ließ, zu stehen pflegten — sie waren verschwunden. Dies nicht beachtend, stürzte ich in die Stube, wo ich mich durch einen Blick überzeugte, daß keiner der Meinigen fehlte. Ohne ein Wort zu sprechen, aber innig beglückt, reichte ich meiner Frau, die den jüngsten, zweijährigen Sohn auf ihren Knien hielt, die Hand, und dann erst gewahrte ich die schreckliche Blässe, welche ihre sonst so lebensfrischen Gesichtszüge bedeckte. Ich war tiefbewegt und beobachtete sie traurig, als sie mir mit leidender Stimme die Erlebnisse des Tages erzählte.

      Als nämlich nach Beendigung der Mittagsmahlzeit die größeren Knaben, jeder von ihnen ausgerüstet mit einem tüchtigen Stück Brot, der ältere auch noch mit einer Büchse bewaffnet, fröhlich lärmend wieder zu den Herden geeilt waren, hatte sich meine Frau in den ans Haus stoßenden Garten begeben, um dort Unkraut auszujäten. Unseren jüngsten Sohn hatte sie in den Schatten einiger junger Maisstauden gelegt, wo derselbe bald in Schlaf verfiel. Nach Verlauf einer kurzen Zeit ging die fleißige Hausfrau in die Hütte, um auch dort ihre Arbeiten nicht zu vernachlässigen, und da sie den fest schlummernden Kleinen nicht wecken wollte, die Stelle aber, wo er schlief, vom Haus aus vollständig übersehen konnte, so ließ sie ihn ungestört auf seinem schattigen Lager. Plötzlich rief ein leises Schnauben der Pferde sie ans Fenster, und einen Blick durch dasselbe werfend, gewahrte sie zu ihrem namenlosen Schrecken den Kopf eines Indianers, der kaum zehn Schritte von dem schlafenden Kind aus dem Maisfeld kroch. Was die arme Frau bei diesem Anblick empfand, brauche ich Ihnen wohl nicht zu beschreiben, sie blieb indessen vollkommen im Besitz ihrer Überlegung. Um das Versteck des Kindes dem Wilden, dessen Absicht sie nicht kannte, nicht zu verraten und es ihm dadurch preiszugeben, hütete sie sich wohl, ihre Wachsamkeit durch die geringste Bewegung kund werden zu lassen; ja noch mehr, sie schlich leise in den Winkel, wo unsere Hunde schnarchten, und fesselte diese an einen Block, worauf sie meine Büchse ergriff und sich hinter der Tür so aufstellte, daß sie das Kind überwachen konnte.

      Der Indianer war unterdessen kriechend bis in die Mitte des Hofes gelangt, wo dichte Klettenbüsche ihn verbargen, als ein zweiter Kopf sich aus dem Maisfeld schob, der, nach dem Haus hinüberblickend, meiner Frau ein gräßlich bemaltes einäugiges Gesicht zeigte. — Da sie mein früheres Zusammentreffen mit einem auf diese Weise gezeichneten Indianer kannte, so wurde ihr Entsetzen jetzt noch gesteigert; doch mit Aufbietung ihrer ganzen Kraft vermochte es die treue Mutter, ihre Gefühle zu unterdrücken. Es war ihr nicht fremd, daß das Erwachen des Kindes dieses in die Hände der Räuber liefern mußte, die sich an diesem Tag freilich nur das Stehlen von Pferden zur Aufgabe gemacht zu haben schienen, aber auch gewiß nicht die Gelegenheit versäumt haben würden, ein weißes Kind mit zu ihrem Stamm zu bringen. In Todesangst also bewachte meine Frau mit der Büchse in der Hand den schlummernden Knaben, wobei sie durch den Türspalt die Bewegungen der Wilden beobachtete oder leise den Hunden drohte, die unruhig zu werden begannen.

      Die beiden Indianer hatten sich vorsichtig den Pferden genähert; diese schnaubten anfangs wild und ungefügig, ließen sich dann aber ruhig den Lasso um den Hals schnüren und folgten willig den Räubern, die geräuschlos in das Bett des nahen Baches glitten und samt ihrer Beute hinter dem dichten Buschwerk verschwanden. Um nicht durch voreiliges Geräusch die Gefahr zurückzurufen oder die Aufmerksamkeit von vielleicht noch in der Nähe weilenden Indianern zu erregen, veränderte meine Frau nicht eher ihre Stellung, als bis das Kind erwachte und nach ihr rief. Die Büchse fallen lassend, stürzte sie zu demselben hin, und schnell wie ein Gedanke war sie mit ihm ins Haus zurückgekehrt,