Der Idiot. Fjodor Dostojewski

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Название Der Idiot
Автор произведения Fjodor Dostojewski
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754188651



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Anordnungen getroffen zu haben; Schneider habe ihm noch zwei Jahre lang Unterhalt gewährt und ihn behandelt; er habe ihn zwar nicht völlig geheilt, aber doch eine erhebliche Besserung seines Zustandes herbeigeführt; zuletzt habe er ihn auf seinen eigenen Wunsch und infolge eines eingetretenen Ereignisses jetzt nach Rußland geschickt.

      Der General war sehr erstaunt. »Und Sie kennen bei uns in Rußland niemand, absolut niemand?« fragte er.

      »Zur Zeit kenne ich niemand ... aber ich hoffe ... außerdem habe ich einen Brief erhalten ...«

      »Aber Sie haben doch wenigstens«, unterbrach ihn der General, ohne auf das, was der Fürst von einem Brief sagte, recht hinzuhören, »irgend etwas gelernt, und Ihre Krankheit hindert Sie nicht, eine nicht gerade mühevolle Stelle auf irgendeinem dienstlichen Gebiet anzunehmen?«

      »Oh, daran wird sie mich gewiß nicht hindern. Und was eine Stelle betrifft, so ist es sogar mein lebhafter Wunsch, eine solche zu erhalten, weil ich selbst gern sehen möchte, wozu ich tauglich bin. An meiner geistigen Bildung habe ich die ganzen vier Jahre lang beständig gearbeitet, wiewohl nicht in regelrechter Form, sondern nach des Professors eigenem System, und es ergab sich, daß ich dabei sehr viele russische Bücher las.«

      »Russische Bücher? Also können Sie Russisch lesen und schreiben, und zwar schreiben ohne orthographische Fehler?«

      »Oh, das kann ich sehr wohl.«

      »Vortrefflich! Und wie steht es mit der Handschrift?«

      »Meine Handschrift ist vorzüglich. Hierin besitze ich vielleicht sogar Talent; ich bin geradezu ein Kalligraph. Gestatten Sie, daß ich Ihnen sofort etwas zur Probe schreibe!« sagte der Fürst eifrig.

      »Haben Sie die Freundlichkeit! Es ist das sogar erforderlich ... Und diese Ihre Bereitwilligkeit gefällt mir sehr, Fürst; Sie sind wirklich sehr liebenswürdig.«

      »Sie haben so prächtige Schreibutensilien: was für eine Menge Bleistifte und Federn und wie kräftiges, prachtvolles Papier ...! Und was haben Sie für ein wundervolles Arbeitszimmer! Diese Landschaft hier kenne ich: es ist eine Ansicht aus der Schweiz. Ich glaube sicher, daß der Maler das Bild nach der Natur gemalt hat und daß ich diese Örtlichkeit gesehen habe: es ist aus dem Kanton Uri ...«

      »Das kann leicht sein, wiewohl das Bild hier gekauft ist. Ganja, gib dem Fürsten Papier; hier sind Federn und Papier. Bitte, setzen Sie sich an dieses Tischchen! Was ist das?« sagte der General zu Ganja gewendet, der unterdessen aus seinem Portefeuille eine Photographie in großem Format herausgenommen hatte und sie ihm nun zeigte. »Ah, Nastasja Filippowna! Hat sie dir das selbst geschickt? Selbst?« fragte er Ganja lebhaft und mit dem größten Interesse.

      »Sie hat es mir soeben gegeben, als ich da war, um ihr zu gratulieren. Ich hatte sie schon lange darum gebeten. Ich weiß nicht, ob das nicht etwa von ihrer Seite eine Anspielung darauf sein soll, daß ich selbst mit leeren Händen, ohne ein Geschenk, an einem solchen Tag zu ihr kam«, fügte Ganja mit einem unangenehmen Lächeln hinzu.

      »Aber nein!« unterbrach ihn der General im Tone fester Überzeugung. »Was ist das bei dir für eine seltsame Gedankenverbindung! Die sollte eine solche Anspielung machen ... und dabei ist sie überhaupt ganz und gar nicht eigennützig. Außerdem: was könntest du ihr schenken? Dazu gehören ja doch Tausende! Etwa dein Bild? Apropos, hat sie dich noch nicht um dein Bild gebeten?«

      »Nein, das hat sie noch nicht getan, und sie wird es auch vielleicht nie tun. Sie denken doch gewiß an die heutige Abendgesellschaft, Iwan Fjodorowitsch? Sie haben doch gewiß auch eine ausdrückliche Einladung erhalten?«

      »Gewiß, ich denke daran, gewiß, und werde hingehen. Selbstverständlich! Ihr Geburtstag, an dem sie fünfundzwanzig Jahre alt wird! Hm ...! Aber weißt du, Ganja, ich will es dir nur in Gottes Namen verraten. Bereite dich vor! Sie hat mir und Afanasi Iwanowitsch versprochen, sie werde heute abend bei sich zu Hause das letzte Wort sagen: sein oder nicht sein. Also mache dich darauf gefaßt, weißt du!«

      Ganja geriet auf einmal in eine solche Bestürzung, daß er sogar ein wenig blaß wurde. »Hat sie das wirklich gesagt?« fragte er, und es war, als zittere ihm die Stimme.

      »Vorgestern hat sie uns ihr Wort darauf gegeben. Wir haben sie beide so in die Enge getrieben, daß sie nicht anders konnte. Nur bat sie uns, dir vorher nichts davon mitzuteilen.«

      Der General blickte Ganja forschend ins Gesicht; Ganjas Bestürzung mißfiel ihm offenbar.

      »Halten Sie es sich gegenwärtig, Iwan Fjodorowitsch«, sagte Ganja in aufgeregtem, unsicherem Ton, »daß sie mir ja für meine Entschließung volle Freiheit gelassen hat bis zu dem Augenblick, wo sie selbst sich entschieden haben wird; und auch dann habe ich es immer noch in der Hand, mein Wort ...«

      »Also willst du vielleicht ... also willst du vielleicht ...«, unterbrach ihn der General erschrocken.

      »Ich habe nichts gesagt.«

      »Aber ich bitte dich, was willst du uns antun?«

      »Ich weigere mich ja nicht. Ich habe mich vielleicht nicht richtig ausgedrückt ...«

      »Das fehlte auch noch, daß du dich weigertest!« rief der General unwillig, ohne seinen Ärger verbergen zu wollen. »Lieber Freund, was du jetzt zu tun hast, ist nicht etwa, dich ›nicht zu weigern‹, sondern bereitwillig, mit Vergnügen, mit Freude ihr Jawort zu empfangen ... Wie steht es denn bei dir zu Hause?«

      »Bei mir zu Hause? Bei mir zu Hause geht alles nach meinem Willen. Nur mein Vater treibt seine Dummheiten wie gewöhnlich; er ist jetzt schon ein ganz verkommener Mensch; ich rede mit ihm gar nicht mehr, aber ich halte ihn kurz im Zaum und würde ihm, weiß Gott, die Tür weisen, wenn ich nicht auf die Mutter Rücksicht nähme. Die Mutter weint natürlich fortwährend, und die Schwester erbost sich; aber ich habe ihnen schließlich klipp und klar gesagt, daß ich mein Schicksal selbst zu bestimmen habe und im Haus meine Anordnungen befolgt zu sehen wünsche. Meiner Schwester wenigstens habe ich das in Gegenwart der Mutter mit aller Deutlichkeit gesagt.«

      »Recht klug werde ich aus der Sache immer noch nicht, lieber Freund«, bemerkte der General nach denklich, wobei er die Achseln etwas in die Höhe zog und die Arme ein wenig ausbreitete. »Nina Alexandrowna hat mir noch neulich, als sie hergekommen war (du erinnerst dich wohl?), etwas vorgestöhnt und vorgejammert: ›Was haben Sie denn eigentlich?‹ fragte ich sie. Schließlich kam es heraus, daß sie darin eine Art von ›Entehrung‹ sehen. Nun möchte ich bloß wissen, was darin für eine Entehrung liegen soll! Wer kann Nastasja Filippowna irgendeinen Vorwurf machen oder ihr irgend etwas Schlechtes beweisen? Etwa daß sie mit Tozki ein Verhältnis gehabt hat? Aber das ist ja doch lauter dummes Zeug, namentlich in Anbetracht gewisser Umstände! ›Sie werden sie doch auch nicht mit Ihren Töchtern verkehren lassen‹, sagte sie. Na, so was! Ei, ei, Nina Alexandrowna! Das ist ja doch eine arge Verkennung ... eine arge Verkennung ...«

      »Der eigenen Stellung«, ergänzte Ganja den Satz des Generals, der nach einem Ausdruck suchte. »Aber sie versteht ihre Stellung; seien Sie ihr nicht böse! Ich habe ihnen übrigens damals gehörig den Kopf gewaschen, damit sie sich nicht wieder in fremde Angelegenheiten hineinmischen. Und doch bleibt bisher bei uns zu Hause alles nur deswegen im Geleise, weil das letzte Wort noch nicht gesprochen ist; aber das Gewitter rückt heran. Wenn heute das letzte Wort gesprochen wird, dann ist damit alles entschieden.«

      Der Fürst, der in einer Ecke bei seinem kalligraphischen Probestück saß, hörte dieses ganze Gespräch mit an. Nun war er fertig geworden, trat an den Tisch und überreichte dem General sein Blatt.

      »Also das ist Nastasja Filippowna?« sagte er, indem er das Porträt aufmerksam und neugierig betrachtete. »Ein wunderbar schönes Weib!« setzte er sogleich lebhaft hinzu.

      Das Porträt stellte in der Tat eine Frau von ungewöhnlicher Schönheit dar. Sie hatte sich in einem schwarzen Seidenkleid von außerordentlich einfachem, elegantem Schnitt photographieren lassen; das anscheinend dunkelblonde Haar zeigte eine schlichte, für das Haus bestimmte Frisur; die Augen waren dunkel und tief, die Stirn nachdenklich; das Gesicht trug einen leidenden und dabei, wie es schien, doch hochmütigen Ausdruck. Sie war im Gesicht