Название | Fjodor Dostojewski: Hauptwerke |
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Автор произведения | Fjodor Dostojewski |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754189153 |
»Sie sind wohl wieder einmal ins Faseln gekommen, Ferdyschtschenko!« fuhr der General auf.
»Aber was haben Sie denn, Exzellenz?« erwiderte Ferdyschtschenko, der darauf gerechnet hatte, ein Wortgefecht herbeizuführen und weiter zu salbadern. »Beunruhigen Sie sich nicht, Exzellenz; ich kenne meinen Platz: wenn ich sagte, daß Sie und ich der Löwe und der Esel aus der Krylowschen Fabel seien, so übernehme ich natürlich die Rolle des Esels und Euer Exzellenz die des Löwen, wie es ja auch in der Krylowschen Fabel heißt:
›Der mächt'ge Leu, der einst die Wälder
Erschreckte, war nun altersschwach.‹
Ich aber, Exzellenz, bin der Esel.«
»Mit letzterem bin ich einverstanden«, platzte der General heraus.
Alles, was Ferdyschtschenko da sagte, war ja plump, absichtlich plump; aber es war nun einmal üblich geworden, daß man Ferdyschtschenko die Rolle eines Clowns spielen ließ.
»Nur deshalb verstattet man mir ja hier den Zutritt und duldet mich«, hatte Ferdyschtschenko einmal erklärt, »damit ich in diesem Genre rede. In der Tat, könnte man sonst einen Menschen von meiner Art empfangen? Ich begreife ja das alles. Na, kann man etwa mich, den armseligen Ferdyschtschenko, neben einen so feinen Gentleman wie Afanasi Iwanowitsch setzen? Wenn man es doch tut, so gibt es dafür nur eine Erklärung: man tut es eben deshalb, weil es undenkbar ist.«
Aber wenn er auch gewöhnlich plump war, so war er doch auch oft bissig und manchmal sogar in hohem Grade, und das war es, woran Nastasja Filippowna Gefallen zu finden schien. Wer bei ihr zu verkehren wünschte, dem blieb nichts anderes übrig, als diesen Ferdyschtschenko zu ertragen. Er hatte vielleicht die volle Wahrheit erraten, als er die Vermutung ausgesprochen hatte, daß sie ihn deswegen empfange, weil er gleich bei seiner ersten Anwesenheit durch sein Wesen auf Tozki einen unerträglichen Eindruck gemacht hatte. Ganja seinerseits mußte sich von ihm eine endlose Reihe von Martern gefallen lassen, und in dieser Hinsicht wußte sich Ferdyschtschenko seiner Gönnerin sehr nützlich zu machen.
»Zuerst werde ich vom Fürsten verlangen, daß er uns ein modernes Lied vorsingt«, bemerkte Ferdyschtschenko und paßte auf, was Nastasja Filippowna dazu sagen werde.
»Ich glaube nicht, daß er das tun wird, Ferdyschtschenko, und möchte Sie bitten, nicht zu sehr ins Zeug zu gehen.«
»Ah, ah! Nun, wenn er unter Ihrem besonderen Schutz steht, dann werde auch ich mich erweichen lassen ...«
Aber Nastasja Filippowna stand, ohne auf ihn zu hören, auf und ging selbst dem Fürsten entgegen.
»Ich habe bedauert«, sagte sie, vor ihn hintretend, »daß ich vorhin in der Eile vergessen habe, Sie einzuladen, und ich freue mich sehr, daß Sie mir jetzt selbst die Gelegenheit geben, Ihr entschlossenes Verhalten zu loben und Ihnen dafür zu danken.«
Während sie das sagte, blickte sie den Fürsten forschend an, bemüht, über den Grund seines Kommens Klarheit zu erlangen.
Der Fürst hätte auf ihre freundlichen Worte vielleicht etwas erwidert; aber er war dermaßen von ihrer Erscheinung überrascht und geblendet, daß er kein Wort herausbringen konnte. Nastasja Filippowna bemerkte dies mit Vergnügen. Sie war an diesem Abend in großer Toilette und machte einen außerordentlich starken Eindruck. Sie ergriff ihn bei der Hand und führte ihn zu den Gästen. Unmittelbar vor dem Eingang in den Salon blieb der Fürst plötzlich stehen und flüsterte ihr in großer Erregung hastig zu:
»An Ihnen ist alles vollkommen ... sogar Ihre Magerkeit und Blässe ... man möchte Sie sich gar nicht anders vorstellen ... Ich hatte ein so starkes Verlangen, zu Ihnen zu gehen ... ich ... verzeihen Sie mir ...«
»Bitten Sie nicht um Verzeihung!« erwiderte Nastasja Filippowna lachend, »dadurch wird Ihre ganze Sonderbarkeit und Originalität zerstört. Und es wird doch mit Recht über Sie gesagt, daß Sie ein sonderbarer Mensch seien. Also Sie halten mich für vollkommen, ja?«
»Ja.«
»Sie sind zwar sonst ein Meister im Erraten; aber hier haben Sie sich doch geirrt. Ich werde Sie noch heute daran erinnern.«
Sie stellte den Fürsten den Gästen vor, von denen er der größeren Hälfte bereits bekannt war. Tozki sagte ihm sogleich eine Liebenswürdigkeit. Alle schienen etwas lebendiger zu werden; alle begannen auf einmal zu reden und zu lachen. Nastasja Filippowna wies dem Fürsten einen Platz an ihrer Seite an.
»Aber was ist denn eigentlich an dem Erscheinen des Fürsten so Verwunderliches?« überschrie Ferdyschtschenko alle. »Die Sache ist doch klar; die Sache spricht für sich selbst!«
»Die Sache ist nur zu klar und spricht nur zu sehr für sich selbst!« sagte auf einmal Ganja, der bisher geschwiegen hatte. »Ich habe den Fürsten heute fast ununterbrochen beobachtet, von dem Augenblick an, als er in Iwan Fjodorowitschs Wohnung zum erstenmal Nastasja Filippownas Bild auf dem Tisch liegen sah. Ich erinnere mich sehr genau, daß mir gleich dabei ein Gedanke an das kam, was mir jetzt zur vollen Überzeugung geworden ist und was mir, beiläufig gesagt, der Fürst selbst gestanden hat!«
Ganja hatte das alles sehr ernst, ohne die geringste Spur von Scherzhaftigkeit, ja mit finsterer Miene gesagt, was einen ziemlich seltsamen Eindruck machte.
»Ich habe Ihnen keine Geständnisse gemacht«, antwortete der Fürst errötend; »ich habe nur eine Frage beantwortet, die Sie an mich richteten.«
»Bravo, bravo!« rief Ferdyschtschenko. »Das ist wenigstens aufrichtig gesprochen, aufrichtig und zugleich schlau!«
Alle lachten laut.
»Schreien Sie doch nicht so, Ferdyschtschenko!« sagte Ptizyn unwillig halblaut zu ihm.
»Solche Bravourstücke hätte ich wahrhaftig nicht von Ihnen erwartet, Fürst«, bemerkte Iwan Fjodorowitsch. »Zu welcher Menschenklasse muß man Sie danach rechnen? Und ich hatte Sie für einen Philosophen gehalten! Ja, ja, die stillen Wässerchen!«
»Und daraus, daß der Fürst bei einem harmlosen Scherz rot wird wie ein unschuldiges junges Mädchen, schließe ich, daß er als ein ehrenwerter Jüngling in seinem Herzen die löblichsten Absichten hegt«, sagte oder, richtiger, lispelte auf einmal ganz unerwartet der zahnlose siebzigjährige Lehrer, der bis dahin vollständig stumm gewesen war und von dem niemand hatte erwarten können, daß er im Laufe dieses Abends überhaupt ein Wort reden würde.
Alle lachten nur noch mehr. Der Alte, der wahrscheinlich glaubte, man lache über seine geistreiche Bemerkung, begann, alle ansehend, noch stärker als sie zu lachen, wobei er in ein heftiges Husten hineingeriet, so daß Nastasja Filippowna, die wunderlicherweise zu all solchen originellen Greisen, Greisinnen und selbst Halbnarren eine besondere Zuneigung hatte, sogleich anfing, ihn zu liebkosen und zu küssen, und ihm noch Tee reichen ließ. Von der eintretenden Dienerin ließ sie sich eine Mantille bringen, in die sie sich einhüllte; auch gab sie Befehl, noch Holz im Kamin nachzulegen. Auf die Frage, wie spät es sei, antwortete die Dienerin, es sei schon halb elf.
»Meine Herrschaften, wollen Sie nicht Champagner trinken?« schlug Nastasja Filippowna plötzlich vor. »Ich habe alles vorbereiten lassen. Vielleicht wird Sie das lustiger machen. Bitte, ohne sich zu genieren!«
Die Einladung zu trinken, und namentlich in so naiven Ausdrücken, machte sich von Nastasja Filippownas Seite recht sonderbar. Alle kannten die strenge Etikette, die auf ihren früheren Abendgesellschaften geherrscht hatte. Überhaupt gestaltete sich dieser Abend lustiger, aber in ungewöhnlicher Weise. Die Aufforderung zum Champagnertrinken lehnten die Gäste nicht ab; zuerst nahm sie der General an, dann die gewandte Dame, der alte Lehrer, Ferdyschtschenko, danach alle andern. Auch Tozki griff nach einem Glas, in der Hoffnung, dem neuen Ton, der jetzt angeschlagen war, dadurch eine gewisse harmonische Färbung zu verleihen, daß er ihm nach Möglichkeit den Charakter eines liebenswürdigen Scherzes gab. Ganja war der einzige, der nichts trank. Aus den sonderbaren, mitunter sehr scharfen und hastigen, ausfälligen Bemerkungen Nastasja Filippownas, die sich ebenfalls Champagner geben ließ