Название | Fjodor Dostojewski: Hauptwerke |
---|---|
Автор произведения | Fjodor Dostojewski |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754189153 |
Die Szene wurde sehr widerwärtig; aber Nastasja Filippowna lachte, statt wegzugehen, immer weiter, als ob sie sie absichtlich verlängern wollte. Nina Alexandrowna und Warja erhoben sich gleichfalls von ihren Plätzen und warteten erschrocken und schweigend, was das für einen Ausgang nehmen werde. Warjas Augen funkelten; aber auf Nina Alexandrowna übte all dies physisch eine sehr üble Wirkung aus: sie zitterte und drohte im nächsten Augenblick in Ohnmacht zu fallen.
»Nun, wenn's nicht anders ist, dann hundert! Noch heute übergebe ich Ihnen hunderttausend Rubel! Ptizyn, sei mir behilflich; du machst dabei einen guten Profit!«
»Du bist verrückt geworden!« flüsterte im Ptizyn zu, der rasch zu ihm herantrat und ihn am Arm faßte. »Du bist betrunken; es wird nach der Polizei geschickt werden müssen. Wo glaubst du denn zu sein?«
»Er ist betrunken und renommiert«, sagte Nastasja Filippowna, wie um ihn zu reizen.
»Ich renommiere nicht; das Geld wird da sein, zum Abend wird es da sein ... Ptizyn, sei mir behilflich, du alter Wucherer; nimm dafür, soviel du willst; aber beschaffe mir zum Abend hunderttausend Rubel; ich will doch zeigen, daß ich nicht kneife!« rief Rogoschin verzückt und enthusiastisch.
»Aber was soll denn das eigentlich vorstellen?« rief Ardalion Alexandrowitsch auf einmal in zornigem, drohendem Ton und ging auf Rogoschin zu.
Die Plötzlichkeit, mit der sich der bisher so schweigsame Alte einmischte, hatte etwas sehr Komisches, und man hörte auch wirklich lautes Lachen.
»Wo kommt denn der her?« fragte Rogoschin lachend. »Komm mit uns, Alter; da sollst du dich mal toll und voll saufen!«
»Aber das ist ja eine Gemeinheit!« rief Kolja, der vor Scham und Ärger geradezu weinte.
»Ist denn kein Einziger unter euch, der es unternimmt, dieses schamlose Weib hinauszuschaffen?« rief plötzlich, zitternd vor Zorn, Warja.
»Also mich nennt man ein schamloses Weib!« entgegnete Nastasja Filippowna mit verächtlicher Heiterkeit. »Und ich, dumm wie ich bin, komme hierher, um die beiden Damen auf den Abend zu mir einzuladen! Sehen Sie, Gawrila Ardalionowitsch, wie mich Ihr Schwesterchen behandelt!«
Ein Weilchen stand Ganja infolge der heftigen Worte seiner Schwester wie vom Blitz getroffen da; aber als er sah, daß Nastasja Filippowna sich diesmal wirklich zum Fortgehen anschickte, stürzte er wie ein Rasender auf Warja zu und packte sie wütend bei der Hand.
»Was hast du getan?« schrie er und sah sie an, als ob er sie auf dem Fleck zu Asche verbrennen wollte.
Er hatte vollständig die Fassung verloren, und sein Verstand funktionierte nur mangelhaft.
»Was ich getan habe? Wohin zerrst du mich? Du verlangst doch nicht etwa, daß ich sie um Verzeihung dafür bitten soll, daß sie deine Mutter beleidigt hat und hergekommen ist, um dein Haus zu beschimpfen, du gemeiner Mensch?« rief Warja wieder und blickte ihren Bruder triumphierend und herausfordernd an.
Ein paar Sekunden lang standen sie einander so gegenüber, Gesicht gegen Gesicht. Ganja hielt immer noch ihre Hand mit der seinigen gefaßt. Warja suchte sich einmal und noch einmal mit aller Gewalt loszureißen, vermochte es aber nicht und spie plötzlich, ganz außer sich, dem Bruder ins Gesicht.
»Ist das ein Mädchen!« rief Nastasja Filippowna. »Bravo, Ptizyn, ich gratuliere Ihnen!«
Dem so beleidigten Ganja wurde es trübe vor den Augen; er verlor völlig die Herrschaft über sich und holte mit aller Kraft gegen seine Schwester aus. Der Schlag hätte sie sicherlich gerade ins Gesicht getroffen. Aber plötzlich wurde Ganjas Hand durch eine andere im Schwung festgehalten.
Zwischen ihm und seiner Schwester stand der Fürst.
»Hören Sie auf, es ist genug!« sagte er nachdrücklich, aber am ganzen Leibe wie von einer sehr heftigen Erschütterung zitternd.
»Wirst du mir denn immer im Weg sein?« brüllte Ganja, ließ Warjas Hand los und versetzte in sinnloser Wut mit der freigewordenen Hand dem Fürsten aus aller Kraft eine Ohrfeige.
»Oh, oh!« schrie Kolja und schlug die Hände zusammen. »Ach mein Gott!«
Von allen Seiten erschollen Ausrufe. Der Fürst war ganz blaß geworden. Mit einem eigenartigen, vorwurfsvollen Blick sah er Ganja gerade in die Augen; seine Lippen zitterten und strengten sich an, etwas zu sagen; ein seltsames und ganz unmotiviertes Lächeln verzerrte sie.
»Nun, wenn mir das auch widerfährt ... aber sie ... sie lasse ich nicht schlagen!« sagte er endlich leise.
Aber seine Empfindungen wurden doch zu mächtig; er wandte sich von Ganja weg, verbarg das Gesicht in den Händen, ging in eine Ecke, stellte sich mit dem Gesicht gegen die Wand und sagte mit fast versagender Stimme: »Oh, wie werden Sie sich Ihres Benehmens schämen!«
Ganja stand in der Tat wie vernichtet da. Kolja stürzte auf den Fürsten zu, um ihn zu umarmen und zu küssen. Nach ihm drängten sich Rogoschin, Warja, Ptizyn, Nina Alexandrowna und alle andern heran, selbst der alte Ardalion Alexandrowitsch.
»Es hat nichts auf sich, es hat nichts auf sich!« murmelte der Fürst nach allen Seiten hin, immer noch mit demselben unmotivierten Lächeln.
»Und er wird es auch bereuen!« schrie Rogoschin. »Du wirst dich schämen, Ganja, daß du ein solches ... Schaf« (er konnte kein andres Wort finden) »beleidigt hast! Fürst, mein liebes Kerlchen, scher dich nicht um diese Bande; laß sie und komm mit mir! Da wirst du sehen, wie Rogoschin die Leute behandelt, die er gern hat.«
Auf Nastasja Filippowna hatten Ganjas Tat und die Antwort des Fürsten ebenfalls einen tiefen Eindruck gemacht. Ihr meist blasses, nachdenkliches Gesicht, das die ganze Zeit über mit dem bisherigen gekünstelten Lachen nicht hatte harmonieren wollen, war jetzt augenscheinlich von einem neuen Gefühl erregt; jedoch wollte sie's nicht zeigen, und der spöttische Ausdruck bemühte sich gleichsam, auf ihrem Gesicht zu verbleiben.
»Wirklich, ich habe dieses Gesicht schon irgendwo gesehen!« sagte sie dann ernst, indem sie sich an ihre frühere Frage wieder erinnerte.
»Und Sie schämen sich auch nicht! Ist denn das Ihr wahres Wesen, wie Sie sich jetzt geben? Wie wäre denn das möglich!« rief auf einmal der Fürst im Tone ernsten, starken Vorwurfs.
Nastasja Filippowna war erstaunt; sie lächelte, aber nur als ob sie etwas hinter dieser Miene zu verbergen suchte; dann richtete sie einen etwas verlegenen Blick auf Ganja und verließ den Salon. Aber sie war noch nicht zum Vorzimmer gelangt, als sie plötzlich umkehrte, schnell an Nina Alexandrowna herantrat, ihre Hand ergriff und an ihre Lippen führte.
»Ich bin ja wirklich nicht so; er hat es erraten«, flüsterte sie rasch und leidenschaftlich, und eine dunkle Röte übergoß auf einmal ihr ganzes Gesicht. Darauf kehrte sie um und ging diesmal so eilig hinaus, daß sich niemand in der Geschwindigkeit darüber klarwerden konnte, weshalb sie eigentlich zurückgekehrt war. Sie hatten nur gesehen, daß sie Nina Alexandrowna etwas zugeflüstert und ihr, wie es schien, die Hand geküßt hatte. Aber Warja hatte alles genau gesehen und gehört und verfolgte sie erstaunt mit den Augen.
Ganja kam zur Besinnung und stürzte zu Nastasja Filippowna hin, um sie hinauszubegleiten; aber sie war schon aus dem Zimmer. Er holte sie auf der Treppe ein.
»Begleiten Sie mich nicht weiter!« rief sie ihm zu. »Auf Wiedersehen heute abend! Ich erwarte Sie bestimmt; hören Sie wohl?«
Verwirrt und nachdenklich ging er zurück; ein schweres Rätsel lastete auf seiner Seele, mit noch schwererem Druck als bisher. Auch an den Fürsten mußte er denken ... Er war bis zu dem Grade in seine Gedanken vertieft, daß er kaum bemerkte, wie Rogoschins ganze Rotte, die hinter ihrem Anführer her eilig die Wohnung verließ, sich an ihm vorbeiwälzte und ihm in der Tür sogar ein paar Stöße versetzte. Alle redeten laut miteinander über irgend etwas. Rogoschin selbst ging mit Ptizyn und besprach mit ihm eifrig eine wichtige und anscheinend unaufschiebbare