Fjodor Dostojewski: Hauptwerke. Fjodor Dostojewski

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Название Fjodor Dostojewski: Hauptwerke
Автор произведения Fjodor Dostojewski
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754189153



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häßlich vor. Er kehrte wieder um und gelangte auf eben dem Weg, auf dem er tags zuvor mit Jepantschins zum Bahnhof gegangen war, zu der grünen Bank, die ihm für das Rendezvous bezeichnet war, setzte sich darauf und lachte plötzlich laut auf, worüber er sofort in starke Entrüstung geriet. Seine traurige Stimmung hielt immer noch an; er wäre am liebsten irgendwohin davongegangen, er wußte nur nicht, wohin. Über ihn auf einem Baum sang ein Vögelchen, und er begann es mit den Augen im Laubwerk zu suchen; plötzlich flatterte das Vögelchen von dem Baum fort, und in demselben Augenblick mußte er unwillkürlich an jene Fliege im warmen Sonnenstrahl denken, von welcher Ippolit in seiner Erklärung gesagt hatte, sie kenne ihren Platz in dem allgemeinen Festchor und nehme an diesem teil, während er allein ein Ausgestoßener sei. Dieser Gedanke hatte schon vorhin auf ihn einen starken Eindruck gemacht, und er erinnerte sich jetzt daran. Längst Vergessenes wurde jetzt in ihm rege und trat ihm plötzlich klar vor die Seele.

      Das war in der Schweiz gewesen, im ersten Jahr seiner Kur, sogar in den ersten Monaten. Er war damals noch ganz wie ein Idiot, konnte nicht einmal ordentlich sprechen und war manchmal nicht imstande, zu verstehen, was man von ihm verlangte. Er war einmal an einem klaren, sonnigen Tag in die Berge gegangen und wanderte dort, mit einem qualvollen Gedanken beschäftigt, der aber durchaus keine deutliche Gestalt annehmen wollte, lange umher. Über ihm war der leuchtende Himmel, unten der See, ringsum der helle Horizont in weiter, weiter Entfernung. Er schaute dies alles lange an und wurde dabei von einem schmerzlichen Gefühl gepeinigt. Er erinnerte sich jetzt, daß er damals seine Hände nach dieser hellen, endlosen Bläue ausstreckte und weinte. Es war ihm eine Qual, daß er alldem ganz fremd gegenüberstand. Was war denn dies für ein Festschmaus, was war denn dies für ein steter, endloser, großer Feiertag, zu dem es ihn schon lange, schon immer, schon seit seiner Kindheit hinzog, und zu dem er doch nie gelangen konnte? Jeden Morgen ging dieselbe helle Sonne auf; jeden Morgen stand über dem Wasserfall ein Regenbogen; jeden Abend flammte der höchste, schneebedeckte Berg dort in der Ferne am Rande des Himmels in purpurner Glut auf; jede kleine Fliege, die im warmen Sonnenstrahl um ihn herumsummte, nahm an diesem ganzen Festchor teil, kannte ihren Platz, liebte ihn und war glücklich; jedes Gräschen wuchs und war glücklich! Und alles hatte seinen gewiesenen Weg, und alles kannte seinen Weg und kam singend und ging singend; nur er wußte nichts und verstand nichts, weder die Menschen noch die Töne; er stand allem fremd gegenüber; er war ein Ausgestoßener. Er konnte seinen Gedanken damals natürlich nicht mit diesen Worten aussprechen und ausdrücken; er quälte sich taub und stumm; aber jetzt schien es ihm, als habe er all dies schon damals gesagt, all diese selben Worte, und als habe Ippolit das über die Fliege Gesagte von ihm selbst, aus seinen damaligen Worten und Tränen, herübergenommen. Er war davon überzeugt, und das Herz begann ihm bei diesem Gedanken heftig zu klopfen ...

      Er schlief auf der Bank ein; aber seine Unruhe setzte sich auch im Schlaf fort. Unmittelbar vor dem Einschlafen erinnerte er sich an die Befürchtung, daß Ippolit ein Dutzend Menschen ermorden werde, und mußte über das Absurde dieser Vorstellung lächeln. Um ihn herum herrschte eine schöne, reine Stille; nur die Blätter rauschten leise, und davon schien es ringsumher noch stiller und einsamer zu werden. Er träumte sehr viel, und es waren lauter unruhige Träume, infolge deren er alle Augenblicke zusammenschrak. Schließlich träumte er, es käme eine Frau zu ihm; er kannte sie, kannte sie mit Schmerzen; er konnte einem jeden ihren Namen nennen, sie einem jeden zeigen; aber seltsam: sie hatte jetzt ein ganz anderes Gesicht als dasjenige, das er immer gekannt hatte, und er gab sich mit innerer Qual alle mögliche Mühe, sie nicht als jene Frau wiederzuerkennen. In diesem Gesicht lag so viel Reue und Angst, daß es schien, sie sei eine furchtbare Verbrecherin und habe soeben eine schreckliche Tat begangen. Eine Träne zitterte auf ihrer blassen Wange; sie winkte ihm mit der Hand und legte den Finger an die Lippen, wie wenn sie ihn auffordern wollte, ihr leise zu folgen. Das Herz stand ihm still; um keinen Preis, um keinen Preis wollte er sie für eine Verbrecherin halten; aber er fühlte, daß sogleich etwas Schreckliches vorgehen werde, durch das sein ganzes Leben werde beeinflußt werden. Sie schien ihm etwas zeigen zu wollen, ganz in der Nähe, im Park. Er erhob sich, um ihr nachzugehen, und auf einmal hörte er, wie neben ihm jemand frisch und fröhlich lachte; eine Hand befand sich in der seinigen; er erfaßte diese Hand, drückte sie kräftig und erwachte. Vor ihm stand laut lachend Aglaja.

      Sie lachte; aber sie war zugleich unwillig.

      »Er schläft! Sie haben geschlafen!« rief sie verwundert und geringschätzig.

      »Sie sind es!« murmelte der Fürst, der noch nicht ganz zu sich gekommen war und sie mit Erstaunen erkannte.

      »Ach ja! Das Rendezvous ...! Ich habe hier geschlafen.«

      »Das habe ich gesehen.«

      »Hat mich außer Ihnen niemand geweckt? War außer Ihnen niemand hier? Ich glaubte, es sei ... eine andere Frau hier gewesen.«

      »Eine andere Frau sollte hier gewesen sein?«

      Endlich hatte er seine Gedanken wieder vollständig gesammelt.

      »Es war nur ein Traum«, sagte er nachdenklich. »Sonderbar, daß mir in einem solchen Augenblick so etwas träumte ... Setzen Sie sich!«

      Er faßte sie bei der Hand und veranlaßte sie, sich auf die Bank zu setzen; er selbst setzte sich neben sie und überließ sich seinen Gedanken. Aglaja begann das Gespräch nicht, sondern blickte den neben ihr Sitzenden nur unverwandt an. Er schaute sie ebenfalls an, aber manchmal so, als ob er sie überhaupt nicht vor sich sähe. Sie errötete.

      »Ach ja!« sagte der Fürst zusammenfahrend. »Ippolit hat sich erschossen!«

      »Wann? In Ihrer Wohnung?« fragte sie, aber ohne großes Erstaunen. »Gestern abend lebte er ja doch wohl noch? Wie konnten Sie denn nach einem solchen Vorfall hier schlafen?« rief sie, plötzlich lebhaft werdend.

      »Aber er ist ja nicht tot; die Pistole versagte.«

      Auf Aglajas dringendes Verlangen mußte der Fürst sogleich und in aller Ausführlichkeit alle Ereignisse der vergangenen Nacht erzählen. Sie trieb ihn während der Erzählung alle Augenblicke zur Eile, unterbrach ihn aber selbst fortwährend mit Fragen, und zwar betrafen diese fast immer nebensächliche Dinge. Unter anderm hörte sie mit großem Interesse an, was Jewgeni Pawlowitsch gesagt hatte, und stellte einige Male sogar Fragen darüber.

      »Nun aber genug! Wir müssen uns beeilen«, schloß sie, nachdem sie alles gehört hatte. »Wir können hier nur eine Stunde bleiben, bis acht Uhr, weil ich um acht Uhr unter allen Umständen zu Hause sein muß, damit die andern nicht erfahren, daß ich hier gesessen habe. Ich bin aber in einer ernsten Angelegenheit hergekommen und habe Ihnen vieles mitzuteilen. Nur haben Sie mich jetzt ganz aus dem Konzept gebracht. Was Ippolit betrifft, so meine ich, es war das Richtige, daß seine Pistole versagte; das paßt zu seiner Persönlichkeit am besten. Aber sind Sie überzeugt, daß er sich tatsächlich erschießen wollte und es nicht bloß Humbug war?«

      »Es war bestimmt kein Humbug.«

      »Das ist das Wahrscheinlichste. Er hat also auch geschrieben, Sie sollten mir seine Beichte bringen? Warum haben Sie sie mir nicht gebracht?«

      »Aber er ist ja nicht gestorben. Ich werde ihn fragen, ob ich es unter diesen Umständen tun soll.«

      »Bringen Sie sie mir auf jeden Fall; Sie brauchen gar nicht erst zu fragen. Es wird ihm vielleicht sehr angenehm sein, weil er vielleicht mit der Absicht auf sich geschossen hat, daß ich dann seine Beichte lesen sollte. Bitte, lachen Sie nicht über meine Worte, Ljow Nikolajewitsch; es ist wohl möglich, daß es sich so verhält.«

      »Ich lache nicht; denn ich bin selbst davon überzeugt, daß dies teilweise sehr wohl möglich ist.«

      »Sie sind davon überzeugt? Sie glauben das wirklich auch?« fragte Aglaja höchst erstaunt. Sie stellte ihre Fragen schnell und redete hastig, geriet aber manchmal in Verwirrung und brachte die Sätze oft nicht zu Ende. Alle Augenblicke kündigte sie ihm eilig etwas Bevorstehendes an; überhaupt befand sie sich in außerordentlicher Unruhe, und obwohl sie eine sehr tapfere, herausfordernde Miene annahm, war sie vielleicht doch etwas feige. Sie trug ein ganz