Beutezug. Sarah L. R. Schneiter

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Название Beutezug
Автор произведения Sarah L. R. Schneiter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748565888



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die Kämpferin schon vor mehr als einer brenzligen Situation bewahrt.

      „Hallo, Reisende“, grüßte sie mit der üblichen Floskel, als sie an den Tisch trat, dazu so einnehmend sie konnte grinsend, etwas, das ihr nicht im Geringsten lag. „Fährt einer von euch zufälligerweise nach Deru?“ Tatsächlich sah der große Bärtige auf, musterte sie interessiert und nickte bedächtig. „Das tun wir in der Tat, Fremde. Mit wem habe ich das Vergnügen?“

      „Nani Walji“, stellte sie sich vor, zog einen Stuhl heran und setzte sich unaufgefordert. Es gab in ihrer Welt gewisse Regeln, wie man sich zu verhalten hatte, sei es nun, in einer Bar mindestens leicht angetrunken zu wirken, oder sich so betont lässig wie möglich aufzuführen. Passte sie nicht in das Muster, würde ihr niemand vertrauen oder sie übers Ohr hauen wollen. Nani hatte nach jahrelanger Erfahrung keine Probleme damit, es war ihr rasch leichtgefallen, sich unter Raumfahrern und Glücksrittern zu bewegen und als ihresgleichen angenommen zu werden. „Ich bin auf der Suche nach einer günstigen Passage.“

      Der Bärtige hielt ihr die Hand hin, Nani schlug ein. „Marcus Shahi, freut mich. Ich bin der Captain eines Frachters. Deru ist unser nächster Zwischenhalt, vielleicht werden wir uns ja einig.“ Nani war froh, das zu hören; sie hatte ein gutes Bauchgefühl bei der Sache, ihr Instinkt ließ sie selten im Stich. Dieser Marcus schien der Typ Mensch zu sein, den es eher wenig kümmerte, wer auf seinem Schiff mitreiste, solange der Passagier bezahlte und keinen Unfug anstellte. Er musterte sie skeptisch, nahm sich Zeit, bis er schlussendlich meinte: „Also, Nani Walji … hast du was ausgefressen?“

      „Nichts, was auf dich zurückfällt, wenn du mich mitnimmst“, gab sie möglichst entspannt zurück. Es war keine gute Idee, so zu tun, als wäre sie unbescholten, sie hatte gelernt, dass direkte Offenheit ohne wirklich ihre Untaten einzugestehen oft der einfachere Weg war. Außerdem war es nicht ratsam, mehr die Harte zu spielen, als es ihr jemand abkaufte; wäre sie zu verschlossen, vertraute ihr niemand genug, um sie auf sein Schiff zu lassen. Marcus brummte „M-hm“ und nahm einen großen Schluck aus seinem Glas, das er mit einem lauten Knall abstellte. „Okay.“ Natürlich musste er jetzt eine dramatische Pause einlegen, enervierte sich die fusselige Abenteurerin. Sie konnte zwar die Lockere spielen, aber diese Art der Spannung mochte sie definitiv nicht, sie wollte ihn packen und mit „Komm schon!“ anschreien. Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, fügte er hinzu: „Na gut. Die Passage ist hundertfünfzig Lipos für eine Kabine und das Essen, unser Frachter heißt ‚Vela‘, Liegeplatz 715. Wir brechen morgen Vormittag um zehn Uhr auf, selbstverständlich warten wir keine Nachzügler ab.“

      „Deal.“ Nani schlug in die dargebotene Hand ein. Dieser Marcus war ein Geschäftspartner ganz nach ihrem Gusto: Wortkarg, sehr praktisch orientiert und zweifellos pflegeleicht. Sie kannte diesen Menschenschlag, ihn würde es nicht interessieren, woher sie kam, wohin sie ging oder was sie alles auf dem Kerbholz hatte. Ihn kümmerte lediglich, ob sie bezahlte. „Ich werde da sein.“

      „Na, dann sehen wir uns morgen.“ Er unterbrach sich, auf den Tisch gestikulierend. „Außer natürlich, du willst noch einen mit uns trinken.“

      Nani musterte die anderen Crewmitglieder der Vela. Zu Marcus’ Rechten saß eine schlaksige, vielleicht russischstämmige Frau mit schwarzen Haaren, die eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr selbst hatte, ein typischer Raumfahrer-Haudegen. Neben ihr türmte sich ein rothaariger Hüne von einem Mann auf, dessen großer Bierkrug im Gegensatz zu ihm nahezu mickrig wirkte und der dritte im Bunde war ein athletischer, dunkelhäutiger Mann, der gelangweilt aussah, obschon er am meisten Kreditchips vor sich auf der Tischplatte liegen hatte; offenbar der Gewinner des Kartenspiels. Nani überlegte kurz, doch entschied sich schlussendlich dagegen. „Danke, aber ich habe Hunger und auf dem Weg hierhin einen Essensstand gesehen, ich werde mir wohl später noch einen Snack holen. Wir treffen uns morgen gegen zehn Uhr.“

      Zufrieden verabschiedete sie sich und schlenderte, einigen betrunken Tanzenden ausweichend, zurück zur Theke. Um die Crew kennenzulernen blieb ihr auch auf der langen Reise noch genug Zeit, sollte ihr nach Gesellschaft sein. Die Nacht war noch jung und Nani hatte ihre Passage gesichert, es gab also keinen Grund, den Rest ihres Aufenthalts hier nicht auszukosten. An der Bar angelangt, rief sie dem Barkeeper über den Lärm mit ihrem leeren Glas gestikulierend zu: „Hey, noch so einen Fusel, bitte!“ Das mädchenhafte Kichern über ihren platten Witz konnte sie sich glücklicherweise verkneifen, es hätte so ganz und gar mit ihrem Image gebrochen.

      Langsam ließ sie ihren Blick durch den rauchgeschwängerten, von Schweiß und Alkoholgeruch erfüllten Raum streifen, darüber sinnierend, ob ihr einer der Männer hier gefiel. Das Gute an ihrem Lebensstil war, dass sie ihre kleinen Abenteuer ohne großen emotionalen Ballast haben konnte, denn bevor sich etwas Ernstes entwickelte, war sie sowieso längst auf der nächsten Welt, ohne Bindung, ohne Verpflichtungen. Heute sagte ihr eigentlich niemand wirklich zu, also widmete sie sich stattdessen wieder ihrem Drink sowie dem mittlerweile noch übellaunigeren Barkeeper, der ihn vor sie gestellt hatte und jetzt auf die Bezahlung des horrenden Preises wartete. Sie hegte keine Absicht, sich ein Nachtlager zu suchen, schlafen konnte sie schließlich auch, wenn sie unterwegs war. Nur, was sie unternehmen sollte, wusste sie noch nicht.

      „Scheiße, Scheiße, Scheiße!“, zeterte Nani vor sich hin, während sie durch die morgendlichen, nach Flieder duftenden engen Gässchen der Stadt hechtete, eilig auf den Chronometer ihres Coms sehend: Neun Uhr einundfünfzig. Hastig wich sie einer Gruppe Händler aus, die vor einem der Marktstände in einer angeregte Unterhaltung vertieft waren und stieß sich dabei den Kopf an einer der unzähligen, überall aufgehängten bunten organischen Glühlampen, die glücklicherweise nicht explodierte. Einen derben Fluch auf den Lippen eilte Nani weiter, denn sie wusste sehr wohl, dass kaum eine Frachtercrew auf eine Anhalterin wartete, das lohnte sich schlichtweg für niemanden. Wieso hatte sie sich am Ende doch auf ein One-Night-Stand einlassen und sogleich verschlafen müssen? Es war immer dieselbe Geschichte, auf jeder verdammten Welt, immer verpennte man in irgendeinem fremden Bett, regte sie sich auf.

      Verschwitzt und ungeduscht bog sie in die Eingangshalle des Frachthafens, vorbei an all den vermeintlich gescheiterten Existenzen und gleichgültigen Arbeitern, die mechanisch ihrem alltäglichen Trott nachgingen. Außer Atem langte sie bei der Ausreisekontrolle an: Die großen holographischen Ziffern über ihr zeigten Neun Uhr achtundfünfzig an. Der Zollbeamte sah ihren roten Kopf, den halbherzig gepackten Rucksack, aus dem noch ein Ärmel ihrer Jacke hing und den Schweiß auf ihrem grauen Tank-Top, er begann sogleich zu grinsen und winkte sie sehr zu ihrer Freude ohne weitere Kontrolle durch. Nani nickte dankbar, ehe sie weitersprintete, sie könnte es sich nicht verzeihen, wenn sie diesen Frachter verpasste. Einen derart guten Deal bekäme sie für diese Reise wohl kaum mehr, das wusste sie. Wo hatte dieser, wie hieß er doch gleich, Marcus, genau, gesagt, dass er seinen Kasten abgestellt hatte? Nani rupfte unsanft ihr Com aus der Hosentasche und prüfte ihre Notizen, ohne dabei in ihrem Lauf innezuhalten: Liegeplatz 715.

       Der hellblaue Himmel über dem weitläufigen Landefeld versprach einen heißen Tag, Silhouetten von Sternenschiffen glitzerten in der Morgensonne und Nani verfluchte, sich am Vorabend nicht nach dem Schiffstyp erkundigt zu haben, denn dies hätte ihre frenetische Suche um einiges erleichtert. Sie folgte stattdessen den auf den bröckelnden Asphalt aufgemalten Nummern, grenzte alle paar dutzend Meter ihre Zone weiter ein, erst lenkte sie ein Pfeil zu den Liegeplätzen 500 bis 1000, dann nahm sie eine Abzweigung zu 700 bis 800 und so ging ihr Marathon weiter. Selten war Nani in eine Situation geraten, in der sie derart dankbar für ihre gute Kondition war und das wollte etwas heißen, denn sie hatte schon einige Schießereien und Gefechte überlebt.

      Keuchend spurtete Nani einer Reihe Großfrachter entlang, jeder Liegeplatz war mindestens hundert Meter breit, die meisten bedeutend mehr. Sie hätte nicht mehr sagen können, wie viele Kilometer sie schon zurückgelegt hatte, zweifelte aber keine Sekunde daran, dass es mehrere gewesen sein mussten, immerhin hatte sie eben gefühlt die halbe Stadt und einen bedeutenden Teil des Landefelds gequert. In der grellen Sonne, die schon am Morgen unerbittlich auf sie hinunterbrannte, war Nani jedes Mal froh, wenn sie in den Schatten eines der Frachtschiffe geriet. Die aufgemalten Nummern verschwammen in ihrem Gesichtsfeld bereits leicht, sie wusste, lange könnte sie die Strapazen nicht mehr durchhalten. Sich sowie ihre Faulheit verfluchend, las sie die Nummer