Название | Vorsicht Schule |
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Автор произведения | Regine Wagner-Preusse |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783750219038 |
Frau Bäker-Schulz spricht leiser:
„Die Chefin ist natürlich alarmiert. Die will, dass ihre Schule nach außen gut dasteht. – Was soll ich deiner Meinung nach machen?“
Bernd, der Klassenlehrer, antwortet nicht.
Eigentlich ist Bernds Klasse nicht die schlechteste. Eine neunte Realschulklasse. Die Schüler arbeiten mit in Elisabeths Deutschunterricht, stellen Fragen und liefern Redebeiträge, die manchmal sogar originell und witzig sind. Bei Gruppenarbeit wird nicht nur geschwatzt, sondern Elisabeth kann in akzeptabler Zeit mit guten Ergebnissen rechnen. Die meisten machen sogar Hausaufgaben. Elisabeth kontrolliert regelmäßig. Darauf können sie sich verlassen.
Bernd stöhnt: „Die Klasse platzt aus allen Nähten. 29, neunundzwanzig! Das ist zu viel. Das bringt alle an ihre Grenzen, Schüler und Lehrer. Es ist nicht besonders laut in der Klasse. Doch in den Unterrichtsstunden herrscht eine permanente, zappelige Unruhe: Füße scharren, Stühle rücken, Papiergeknister, Tuscheln, Kichern. Annette und Jens halten Händchen. Annettes Hand wandert auf Jens Oberschenkel. Demonstrativ. Aber das stört nicht weiter. Sollen sie doch, Hauptsache Ruhe.
Kurz vor Unterrichtsende entgleitet die Situation. Auch die Bravsten sind dann nicht mehr zu bremsen. Taschen werden gepackt. ‚Ich bin noch nicht fertig. Die Stunde beende immer noch ich. Setzt euch gefälligst wieder hin!‘ Keine Reaktion. Stattdessen drängen alle zur Tür.“ Bernd schaut auf den Flur, in den sich durch geöffnete Klassentüren ungeduldige Schülertrauben zwdrängen.
„Überall das Gleiche. Trotzdem ein untragbarer Zustand.“
„Warum bekommt man so ein Problem nicht in den Griff. Wird so etwas nicht thematisiert in den Konferenzen an der Dorfschule?“
Bernd antwortet nicht.
„Gehen wir zum Parkplatz?“, Elisabeth sieht zu Frau Bäker-Schulz.
„Ich fahre mit dem Zug, ich habe kein Auto.“
„Sie wohnen doch auch in der Stadt, ich könnte Sie mitnehmen.“
„Wenn es Ihnen nichts ausmacht...“
„Ich unterrichte Deutsch in der Parallelklasse. Da könnten wir doch zusammenarbeiten.“
„Gern. Ich bin aber nicht immer in der Stadt. Eigentlich wohne ich in Walddorf.“
„Das ist doch in der Nähe von Bebra. Da haben Sie ja einen weiten Weg hierher.“
„Deshalb habe ich in der Stadt noch ein Zimmer gemietet.“
„Aber von Altstadt bis zur Dorfschule sind es noch 30 dreißig Kilometer.“
„Ich möchte nicht auch noch in diesem Dorf wohnen. Und in Altstadt, da habe ich studiert, da bin ich immer gern gewesen. Am Montag komme ich mit dem Zug. Am Mittwoch fahre ich zurück nach Walddorf zu meiner kranken Mutter. Donnerstags fahre ich wieder nach Altstadt und bleibe bis Freitagnachmittag.“
„Da sind Sie ja viel unterwegs.“
„Meine Mutter ist dement, da geht es nicht anders.“
„Warum lassen Sie sich nicht versetzen in die Nähe ihres Heimatortes.“
„Da gibt es kein Gymnasium. Vor zehn Jahren bekam ich die Planstelle hier im Dorf. Hier gibt es zwar eine gymnasiale Oberstufe, aber in all den Jahren war ich nur im Haupt- und Realschulbereich eingesetzt.“
‚Wie hält die das bloß aus‘, denkt Elisabeth und blickt Frau Bäker-Schulz von der Seite an. ‚Die ist doch auch schon über fünfzig und sicher schon seit Ewigkeiten in der Schule.‘
„Sie müssen weiterfahren, die Ampel hat schon vor einer Weile auf Grün geschaltet“, bemerkt Frau Bäker-Schulz angespannt und mit leiser Stimme vom Beifahrersitz.
Elisabeth sieht wieder auf die Straße, doch die Gedanken sind bei ihrer Mitfahrerin. Lange, schüttere hellbraune Haare umrahmen das schmale Gesicht von Frau Bäker- Schulz. Die Haut ist blass, sehr blass, eher grau. Die Brille mit dem silberfarbenen Metallrand und den großen Gläsern stammt sicher noch aus den Achtzigern. Alles ist grau an dieser Frau. Der Pullover hellgrau, der Schal blaugrau mit blassrosa Muster. Die viel zu weiten Jeans sind nicht jeansblau, sondern mausgrau. Darin können nur viel zu dünne und leichenblasse Beine stecken… Frau Bäker-Schulz wirkt kränklich, hat lange, bleiche, knochige Hände und eine schlecht durchblutete Haut. Und erst die Stimme: Ohne Klang, monoton, nicht von hier, sondern als käme sie aus einem dunklen, fensterlosen Verlies. So eine Stimme hat nur jemand, der flach atmet, dessen Atem es nicht wagt, den Brustkorb zu weiten und den Resonanzkörper zum Klingen zu bringen. Eine Stimme der Angst.
„Wo kann ich Sie absetzen?“
„In der Stadtstraße, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“
„Das ist bei mir um die Ecke“, bemerkt Elisabeth. „Dann können wir ja zusammen fahren, wenn es vom Stundenplan passt.“
„Dann bis morgen. Ansonsten können S i e mich ja anrufen. Ich möchte niemandem zur Last fallen.“ Mit müden Schritten und hängenden Schultern verschwindet Frau Bäker-Schulz in dem schmutziggrauen Mietshaus, wo sie ein Zimmer bewohnt.
Silja
Bernd läuft vor dem Klassenzimmer auf und ab: „Ich halte es nicht mehr aus in dieser Klasse. Ich kann die nicht mehr sehen. Ich musste einfach mal raus.
Vor der Silja musst du dich in achtAcht nehmen. Die ist gefährlich. Die macht mich wahnsinnig.“
Elisabeth ist sie bisher noch nicht aufgefallen.
Noch nicht.
Silja hat lange dunkle Haare und braune Augen. Sie ist nicht banal hübsch: Sie wirkt klug, ist keine schlechte Schülerin. Elisabeth spürt Siljas Blick auf sich ruhen. Abschätzend, höhnisch und doch auf diffuse Weise leer. Silja wirkt unnahbar, von ihr geht etwas Kaltes und Irritierendes aus.
Unterrichtsbeginn. Die Klasse wird leise. Da wird die Tür mit lautem Knall ins Schloss geworfen. Silja ist zu spät. Aufreizend langsam geht sie zu ihrem Platz rechts neben dem Lehrertisch, setzt sich ohne Entschuldigung und fällt Elisabeth ins Wort, laut zu einer Schülerin im hinteren Teil der Klasse: „Kannst du mir nach der Stunde ein Pizzastück mitbringen? Ich will noch mal zur Burkhardt, die muss…“ Silja ist kaum zu stoppen.
„Silja, ich muss nach der Stunde mir dir reden... Warum warst du zu spät? Warum hast du dich nicht entschuldigt?“ Silja schweigt, ihren Mund umspielt die Andeutung eines Lächelns, sie sieht Elisabeth an, die Augen blicken ohne Ausdruck. Angedeutetes Schulterzucken.
„Warum störst du den Unterricht, indem du mir ins Wort fällst und sehr laut ein Privatgespräch beginnst? Du kennst die Regeln und hältst dich nicht daran. Warum? Was ist mit dir los?“
„Meine Therapeutin sagt, im Moment sei es schwierig.“
„Schwierig?“
„Ja, mit mir.“ Das sagt Silja mit ausdrucksloser Stimme und so unbeteiligt, als spräche sie von einer Fremden.
„Ich erwarte, dass du dich an die Regeln hältst.“
Silja schweigt, blickt Elisabeth an, blickt durch sie hindurch.
Elisabeth spürt kein Mitleid, nur Ablehnung, eine nagende Wut, die sie sprachlos zu machen droht. Warum kann sie keine Empathie aufbringen für dieses Mädchen, das offenbar große Probleme hat?
Silja springt über den Tisch, rennt immer wieder durch die Klasse, schnappt sich den Besen und kehrt. „Silja, setz dich hin!“
„Aber ich habe doch diese Woche Ordnungsdienst.“
„Jetzt nicht, erst fünf Minuten vor Schluss!“
Silja kehrt weiter, schüttet den Kehricht in den Mülleimer, wirft den Mülleimer um. „Oh, das tut mir leid.“ Beginnt von Neuem zu