Das schmale Fenster. Friedrich Haugg

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Название Das schmale Fenster
Автор произведения Friedrich Haugg
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844253658



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nur aus zwei Elementen, dachte er: Linkskurven und Rechtskurven. Was ist denn daran so besonders, dass es einen Großteil der Menschen so begeistert? Der Anblick von Miriam gab ihm den Grund. Wie sie in totaler Beherrschung der dynamischen Kräfte, gleitend und fließend den natürlichsten Weg fand, wie sie der Schwerkraft ein Schnippchen schlug und sie für sich nutzte, machte ihm Gänsehaut. Er konnte ja immer alles sehen, weil er es nie schaffte, vor sie zu kommen. Im Stillen bedankte er sich für ihre Geduld, auf ihn zu warten. Es machte ihr aber wohl nichts aus. Gefordert war sie ohnehin nicht und so genoss sie einfach den Tag. Einmal dachte er, ich fahre ihr einfach nach. Vielleicht komme ich dann hinter das Geheimnis. Und siehe da, gleich schwebte er wie sie, alles war leicht und schön und ihn überkam eine große Euphorie bis zu dem Augenblick, in dem sein Flug mutierte zu einem wirbelnden schneeaufspritzenden Durcheinander der einzelnen Körper- und Ausrüstungsteile. Er sortierte alles von oben nach unten und war nach der positiven Bestandsaufnahme immerhin sehr erfrischt.

      Der zweite Abend war weniger wissenschaftlich und ebenfalls überaus angenehm. Einspielen musste sich nichts. Wie bei alten Freunden. Das waren sie ja wohl auch.

      Beim Frühstück klingelte Martins Handy wie ein Feueralarm im Paradies. Es war Frank.

      „Hallo Martin, wo bist du?“

      „In Sörenberg beim Skifahren, warum?“

      „Ich habe das mit dem USB-Stick dem Werkschutz gemeldet und jetzt ist plötzlich die Kripo da. Ich musste in die Firma fahren, weil sonst keiner verfügbar war.“

      Der Schock war besonders heftig, weil er im paradiesischen Bewusstseinszustand nicht auf Abwehr vorbereitet war.

      „Du hast was?“

      „Es ging nicht anders. So steht es in meinem Vertrag.“

      „Dass du fehlende USB-Sticks melden musst?“

      „Nein, natürlich nicht.“ Er hörte sich etwas ungehalten an. „Es geht einfach generell um Vorkommnisse, die die Geheimhaltung betreffen. Und das ist wohl hier der Fall!“

      Mein Gott, wen hat er sich da eingestellt. Seine gesamte, adrenalingeschwängerte Energie richtete sich jetzt als Zorn auf Frank.

      „Aber da war doch gar nichts Wichtiges drauf. Weißt du eigentlich, was du da angerichtet hast?“

      „Ich habe nur das gemacht, wozu ich mich verpflichtet habe.“ Er klang standhaft und unbeeindruckt. Was Martin noch mehr reizte, zumal er gar nichts Objektives entgegenzuhalten hatte. Im mentalen Deadlock sagte er erst einmal gar nichts.

      „Bist du noch dran? Ich empfand es als meine Pflicht, dich sofort zu informieren und zu fragen, was ich jetzt tun soll.“

      Ogottogottogott. Seine Pflicht!

      „Jaja, ich bin noch dran.“ Er wartete, bis sein Gehirn einen Denkvorgang erzeugen konnte.

      „Sag denen nichts. Du hast den Vorteil, dass du ganz neu bist. Mach' mit ihnen einen Termin aus für mich, zum Beispiel am nächsten Dienstag. Und dann informierst du bitte Sean, der ist wohl der einzige vom Vorstand, der erreichbar ist. Du findest ihn ganz sicher im Trading-Room.“

      „O.K.“ Frank hatte aufgelegt. Ungläubig schaute Martin sein Telefon an.

      „Was war das denn?“,fragte Miriam.

      „Dieser Wahnsinnige hat das mit dem fehlenden Stick an die große Glocke gehängt. Der Werkschutz hatte nichts Besseres zu tun, als die Polizei anzurufen. Und jetzt ist die Kacke am Dampfen.“ Eine ungewöhnliche Ausdrucksweise für Martin.

      „Er hat was?“

      „Kaum zu glauben, aber er fühlt sich auch noch im Recht...“ Es klingelte.

      „Geht klar. Am Dienstag um 10 Uhr im Kommissariat. Der Kommissar lässt dir einen schönen Gruß ausrichten. Sean suche ich noch und werde ihn finden, versprochen. Also noch einen schönen Urlaub. Und Grüße an Miriam.“ Wieder aufgelegt.

      Woher wusste er denn das? „Woher weiß er, dass du mit mir gefahren bist?“ Es irritierte ihn fast noch mehr als Frank's voreilige Handlung.

      „Ich habe keine Ahnung. Ich habe niemandem davon erzählt. Der hat nur auf den Busch geklopft. Ich fand ihn von Anfang an komisch. Typisch reiches Söhnchen, beste Schule und für sein Alter unangemessen arrogant.“

      „Den vom Werkschutz knöpfe ich mir aber vor.“

      „Hat keinen Sinn, er hat nur nach Vorschrift gehandelt. Wenn der Verdacht auf Werksspionage besteht, muss er die Polizei informieren. Er konnte gar nicht anders.“

      „Du stehst wohl auf der Seite dieser Idioten.“ Das war ziemlich blöd. „Entschuldige, gleich kann ich wieder denken.“ Miriam reagierte gar nicht darauf.

      „Das Dumme ist,“ fuhr Martin fort, „dass der Verdacht nur auf dich, Frank und August fällt. Ihr wart die einzigen im Labor.“

      „Und der große Unbekannte.“ Miriams Bemerkung rief nicht einmal ein müdes Lächeln hervor.

      Sie gingen wieder Skifahren, Aber diesmal war es nicht das Gleiche. Auch das gegenseitige Versprechen, sich den Tag nicht verderben zu lassen, wirkte nur äußerlich.

      Am Dienstag stand er pünktlich um Zehn vor der Kantonspolizei und fragte nach Kommissar Dylan Berner. Er wartete schon im Verhörzimmer, das auch als Besprechungsraum genutzt wurde.

      „Hallo Dylan, habt Ihr nichts zu tun? Keine Drogen - und Gewalttaten?

      „Hallo Martin. Tut mir leid, dein Weihnachten gestört zu haben. Aber wenn dein Palast ruft, hat das Volk zu gehorchen.“ Berner war ein echter Linker. So weit das in der Schweiz überhaupt möglich war.

      „Wer hat denn gerufen?“

      „Na, der Meier Andy vom Werkschutz. Der ist eigentlich okay, aber er konnte wohl nicht anders. Wir sind natürlich schon auch alle im Kanton interessiert, dass deiner Firma kein Schaden zugefügt wird – von Amis oder Japsen oder anderen Schlitzaugen.“ Der letzte Teil des Satzes war nicht links, sondern schweizerisch patriotisch.

      „Was für ein Schaden denn? Es war doch nur ein USB-Stick.“

      „Na na. Du weißt doch wohl selbst, wie viel da drauf passt.“

      „Auf den Inhalt kommt es an.“

      „Eben. Und darüber wissen wir nichts. Kannst du uns sagen, was da drauf sein könnte?“

      „Ehrlich gesagt nein, nicht wirklich. Privater Kram vielleicht, lustige Filmchen oder im schlimmsten Fall ein paar zwischengespeicherte Dokumente. Du weißt ja, wie so etwas läuft.“

      „Das Problem haben wir immer öfter. Da gibt es millionenteure Sicherheitsvorkehrungen und dann kopiert jeder Esel – Verzeihung, dich meine ich natürlich nicht – wichtige Sachen auf so einen Stick. Und das wissen die Verbrecher, die Profis für die Wirtschaftsspionage natürlich auch. Eine richtige Schwachstelle. War es eigentlich dein Stick?“

      „Nicht einmal das kann ich dir sagen.“ Martin musste ihm Recht geben, das Ausmaß dieser Kleinigkeit könnte unvorhersehbar groß und unangenehm werden.

      Leutnant Andri Paul kam dazu, missmutig und autoritär wie immer.

      „Sie müssen in ihrem Laden doch wissen, was läuft. Sie sind doch der Chef.“ Welch überflüssiger Einwurf, dachte Martin, versuchte aber eine Eskalation des Gesprächs zu vermeiden.

      „Da haben sie schon Recht. Aber ich muss gestehen,“ er sagte 'gestehen', und fand das recht leichtsinnig,“ dass es so viele, auch selbst gekaufte Sticks gibt, da verliert man einfach die Kontrolle.“

      „Bei einer so international agierenden Firma ist das ein wenig unprofessionell, oder?“

      Aber in allen Firmen ist das so, wollte Martin sagen, fand das aber nicht besonders hilfreich.

      „Es tut mir leid, wir versuchen das abzustellen. Früher hat man die PC's ohne CD-Laufwerk aufgestellt, aber ohne USB-Schnittstelle geht