Название | Der letzte Schnappschuss |
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Автор произведения | Thomas Riedel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783746757186 |
»Dass kann ich erst sagen, wenn ich den Grund kenne … Ich bitte Sie, finden Sie die Wahrheit heraus, Mr. Bradley«, erwiderte er ernst. Seine Kiefer mahlten und seine Backenmuskeln zuckten. »Ich will es wissen. Ich muss es wissen. Ich muss alles wissen. Selbst wenn es sehr bitter für mich sein sollte.«
5
Der Mann, der aus dem schwarzen ›Ford Modell T‹ stieg, trug einen grauen altmodischen Anzug, der vor dem großen Krieg einmal modern gewesen sein mochte. Er sah abgetragen aus und war an den Ärmelstößen und Ellenbogen deutlich abgestoßen. Das ließ schon auf den ersten Blick darauf schließen, dass der Mann in diesem Anzug nicht gerade mit irdischen Gütern gesegnet war.
Der Mann im grauen Anzug war von mittelgroßer Statur, sein Gesicht rund und pockennarbig. Er schien von slawischer Herkunft zu sein. Seine Augen erinnerten an zwei schwarze Knöpfe. Er hatte einen dicken muskulösen Nacken und Hände, mit denen er sicher fest zupacken konnte, wenn es verlangt wurde. Sein Äußeres hatte nichts Gewinnendes an sich. Sein Blick war verschlossen, grimmig, unaufrichtig. Er hatte mit den Zähnen einen großen Kaugummiklumpen geknetet, der ihm nun zu geschmacklos geworden war. Deshalb spuckte er ihn in hohem Bogen auf den Gehsteig. Die Kugel rollte in die Gosse. Der Mann holte zwei neue Pfefferminzkaugummi-plättchen aus der Tasche und schob sich die weißgraue Masse zwischen die vom Kariesteufel angenagten Zähne.
Er blickte auf das Grundstück von Malcolm McFlaherty. Genauer gesagt auf die Villa. Dann bückte er sich in den Wagen, klappte das kleine Türchen des Handschuhfachs nach unten und holte ein handliches Fernglas heraus. Er setzte sich die Stielaugen vors Gesicht und blickte durch das Fernglas auf das Haus. Als sich das Eingangstor öffnete, straffte sich der Körper des Mannes.
Bradley trat mit McFlaherty aus dessen Villa. Die beiden Männer reichten sich die Hände. Es war ein kurzes Schütteln, gefolgt von ein paar Worten, die der Mann über die Distanz nicht hören konnte. Dann tippte Bradley lächelnd mit einem Finger an die Krempe seines ›Homburger‹, nickte McFlaherty noch einmal und ging zu seinem ›Cunningham‹. Der Wagenschlag schwang auf und er ließ sich hinter das Lenkrad fallen.
Der Mann sah die kleine weiße Wolke aus dem Auspuff fliegen. Bradley hatte den Anlasser betätigt und den Motor gestartet. Gleich darauf setzte sich der sportliche Zweisitzer in Bewegung.
Der Unbekannte im abgenutzten Anzug nahm das Fernglas von den Augen. Er handelte jetzt schnell, beinahe überstürzt. Er sprang in seine schwarze ›Tin Lizzy‹, warf die Fahrertür hinter sich zu, legte das Fernglas in das Handschuhfach, klappte den Deckel zu und wartete geduckt, bis der blaue Sportwagen zur Grundstücksausfahrt kam. Kauernd wartete er, während er den Motor seines eigenen Wagens kommen ließ.
Bradleys ›Cunningham‹ rollte auf die Straße heraus und fädelte sich nach rechts in den Verkehr ein.
Der Mann wartete noch eine halbe Minute, ehe er Bradley folgte.
6
Bradley dachte über den neuen Fall nach. Es war ein ungewöhnlicher Auftrag. Der Tod der Frau war ein Geheimnis, denn schließlich brachte sich niemand ohne Grund um. Nichts ließ darauf schließen, dass Whitney McFlaherty zum Zeitpunkt, als sie zu dieser Verzweiflungstat geschritten war, geistig umnachtet gewesen war. Dass sie sich in einer aussichtslosen Situation befunden hatte, hatte sie in ihrem Abschiedsbrief angedeutet. Eine Zeile mehr wäre schön gewesen und hätte vielleicht erklärt, warum sie sich für diesen Schritt entschieden hatte. Doch diese Zeile war nicht geschrieben worden.
Seine Aufgabe bestand nun darin, den Abschiedsbrief um genau diesen Punkt zu ergänzen. »Das wird keine leichte Aufgabe«, seufzte er halblaut vor sich hin, während er das Autoradio einschaltete. Der Sender spielte gerade ›When the Moon shines on the Moonshine‹ von Bert Williams. Er mochte das Stück und seine Finger klopften den Takt auf dem Lenkrad mit. Er hörte erst auf, als er wieder einen Routineblick in den Seitenspiegel warf. Wie sonderbar, dachte er, dieses schwarze ›Ford Modell T‹ ist ja immer noch da.
Bradley hatte ihn zum ersten Mal bemerkt, als er McFlahertys Grundstück verlassen hatte. Inzwischen war er eine Viertelstunde unterwegs, und der ›Ford Modell T‹ folgte immer noch seinen Stopplichtern. Er machte das Radio aus, um sich nicht ablenken zu lassen. »Da stimmt doch irgendetwas nicht. Kann das ein Zufall sein?«, murmelte er halblaut.
Im Vokabular eines Privatdetektivs durfte es das Wort Zufall nicht geben. ›Zufälle‹ durfte nicht vorkommen, sonst geriet er eines Tages ganz zufällig unter die Räder.
Er beschloss, einen kleinen Test zu machen. Er fuhr auf die nächste besser ausgebaute Straße und beschleunigte ein wenig, wobei er die Geschwindigkeitsbegrenzung mit Absicht deutlich überschritt.
Der ›Ford Modell T‹ überschritt sie ebenfalls. Das war bereits der zweite Minuspunkt für den Verfolger.
Nun änderte Bradley mehrmals die Fahrtrichtung. Der schwarze Wagen blieb hinter ihm. Das konnte kein Zufall mehr sein. Der Bursche macht das nicht gerade besonders clever, dachte Bradley. Wahrscheinlich ein Anfänger. Er blickte grimmig in den Spiegel. Warum interessierte sich der andere so für ihn? Er schüttelte ärgerlich den Kopf. Es kann der Frommste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.
Bradley hätte jetzt nach Hause fahren und den Verfolger einfach vergessen können. Da er aber von Natur aus äußerst neugierig war, wollte er der Sache auf den Grund gehen. Er wollte wissen, warum man solches Interesse an ihm hatte – und warum er auf einmal beschattet wurde.
Er verließ London in nördlicher Richtung. Er ließ den ›Cunningham‹ auf eine schmale Sandstraße rollen, fuhr an zwei stillen Weihern vorbei und einer Wiese, auf der eine kleine Herde von britischen Langhornrindern stand, die seine schnelle Fahrt mit melancholischem Interesse betrachtete. Nun fuhr er auf ein kleines Wäldchen zu. Die Sonne strahlte auf die Blätter der ausladenden Baumkronen. Licht und Schatten fanden sich zu einem reflexartigen Spiel. Die sandige Straße führte gerade mitten durch das Wäldchen, bis sie einen scharfen Knick nach links machte. Bevor Bradley in die enge Kurve fuhr, blickte er noch einmal in den Rückspiegel. Natürlich, dachte er grinsend. Mein Schatten ist immer noch da.
Er trat kräftiger auf das Gaspedal. Sein ›Cunningham‹ jagte um die Kurve und entschwand so für kurze Zeit den Blicken des Verfolgers. Nun handelte Bradley blitzschnell. Er trat hart auf die Bremse und ließ die Räder blockierten. Die Pneus knirschten geräuschvoll über den Sand und schon stand der Wagen. Er stellte den Motor ab, nahm den Schlüssel an sich und sprang aus dem Sportwagen
Noch war das ›Ford Modell T‹ nicht zu sehen, aber er konnte ihn bereits hören – vor allem aber konnte er die hochsteigende Staubwolke erkennen, die von dem Fahrzeug aufgewirbelt wurde.
Bradley lief auf das Unterholz zu und versteckte sich hinter dem dicken Stamm einer altehrwürdigen Eiche. Ohne sonderliche Aufregung wartete er ab. Er war neugierig: Neugierig auf den Kerl, der ihn verfolgte. Neugierig auf die Antworten, die ihm dieser Kerl geben musste, wenn er verhindern wollte, dass ihm die Schneidezähne ausgeschlagen wurden.
Der schwarze Wagen schaukelte heran.
Bradley sah ihn, als er vorsichtig hinter dem Baum hervorspähte.
Als der Fahrer Bradleys ›Cunningham‹ erblickte, trat er abrupt auf das Bremspedal. Die Pneus seines Wagens knirschten wie zuvor die Reifen des ›Cunningham‹. Das Automobil kam zum Stehen.