Die Rache der Zarentochter. Tatana Fedorovna

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Название Die Rache der Zarentochter
Автор произведения Tatana Fedorovna
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742746184



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wahrscheinlich nur auf unseren Tod. Alle spürten, dass etwas anders als sonst war.

      Keiner sprach nun ein Wort, da die Angst ihre dunklen Flügel ausgestreckt hatte. Ich war mit fast dreiundzwanzig Jahren das älteste Kind und bildete den äußeren Abschluss unserer verängstigten nächtlichen Gruppe.

      Furcht schnürte unsere Hälse zu und ließ bei meiner Schwester Anastasia unentwegt Tränen kullern. Diesen Gefallen wollte ich unseren Feinden nicht gewähren. Meine Hände zitterten jedoch erneut wie Espenlaub und abermals fürchtete ich die Kapsel zu verlieren.

      Wir würden sicher sterben, wurde mir voller Schrecken bewusst. Ich fühlte es instinktiv. Es gab keine Rettung. Das war unser letzter Morgen. Ich machte mich bereit und zwang mich vor Angst nicht ohnmächtig zu werden. Ich musste klaren Verstand bewahren, damit mich das geheime Mittel vielleicht doch rettete. Ja, ich wollte leben, leben, nur leben. Dafür war ich nun bereit alles zu tun, selbst Gott abzuschwören. Sein Himmelreich interessierte mich nicht, nur das wundervolle Geschenk des Lebens auf dieser Erde. Eine düstre Traurigkeit durchschlich meinen Geist tötend mein Inneres.

      Der kleine Zarewitsch hustete und weinte. Mama strich ihm zärtlich über das Gesicht. Ihr Blick lag jedoch beschwörend auf mir. Leider hatten wir uns aus meiner heutigen Sicht zu oft gestritten, da ich sehr eigensinnig sein konnte. Wie gern hätte ich all meine harten Worte nun in Worte der Liebe verwandelt. Für mich war dies die kostbarste aller Familien. Ich umschloss das Elixier in der Hand noch fester. Es gab mir Halt.

      Papa sah mich traurig, aber konsterniert an. In seinen warmen Augen stand alle Liebe dieser Welt. Er verabschiedete sich so von mir.

      Diesmal würde ich jedoch Mamas Rat folgen. Warum hatte Papa nicht schon früher auf sie gehört?! Wer weiß besser als eine Mutter, was für ihre Kinder gut ist? Sein Rat erwies sich leider zu oft als falsch und seine Versprechen als wertlos.

      Wir hätten dieses hinterhältige Land verlassen sollen, wie es uns die Verwandten unserer Mutter geraten hatten. Das Volk, dem Papa sich so verbunden fühlte, spuckte jetzt auf uns. Es war unsere Henker.

      In einem günstigen Moment, während ich mich bekreuzigte, ließ ich das kleine Gefäß in meinen Mund gleiten und positionierte es unter meinen Backenzähnen. Ein kräftiger Biss sollte es bersten lassen. Hoffentlich funktionierte das Elixier so, wie Mama es mir gesagt hatte. Ich wollte unbedingt leben und nicht sterben! Noch nie war mir dies so kostbar erschienen. Mein Hals schnürte sich panisch zu. Verzweifelt wandte ich mich nun doch wieder an Gott: Wenn es dich gibt, lass uns nicht sterben! Schenk uns ein Wunder!

      Papa sah mich mit großen leidvollen Augen an. Mama nickte mir fordernd zu.

      Ich schloss als Antwort ganz langsam und leicht meine Lider. Ein nur für mich erkennbares Lächeln zeichnete sich im besorgten Gesicht meiner wunderbaren Mutter ab. Auf eine gute Mutter kann man sich bis zu seinem letzten Atemzug verlassen. Das wurde mir jetzt bewusst. Ja, meine Mama war eine sehr gute Mutter. Diese bekreuzigte sich nun ebenfalls. Sie hatte mit dem Leben abgeschlossen. Dann sah sie liebevoll zu meinem Vater. Würde es das letzte Mal sein?

      Rasputin hatte alles richtig vorausgesagt. Wir Romanows würden vertilgt werden und Russland zusammenbrechen.

      Hätten doch nur die Weißgardisten Jekaterinburg schneller und überraschend gestürmt. Es war besser, im Kampf zu sterben, als weiter von diesen herzlosen Monstern der Revolution erniedrigt zu werden. Vielleicht sollten wir uns auf sie stürzen und sie überraschen. Was konnten wir schon verlieren?

      Die Tür öffnete sich. Die beiden Ungarn im Raum hielten demonstrativ ihre Hände an die Pistolen und funkelten uns nun mit giftigen Augen an. Unsere Blicke wandten sich ängstlich, leider auch mit etwas Hoffnung gemischt, den Eintretenden zu. Vielleicht war alles ein Irrtum?

      Im Türrahmen erschien die Gestalt des verhassten Kommandanten Jakow Michailowitsch Jurowski. Er ähnelte jetzt einer Ausgeburt der Hölle. Sein kalter, herzloser Blick richtete sich auf meine Mutter, die ehemalige Zarin von Russland. Er strich sich genüsslich durch seinen schmutzigen Bart. Demonstrativ langsam holte er ein Schreiben aus seiner Jacke und grinste böswillig. Ein paar Sekunden, die mir wie Stunden erschienen, vergingen. Hinter ihm tauchten weitere Soldaten mit Gewehren auf, an denen wie auf dem Schlachtfeld Bajonette befestigt waren. Sie richteten diese nun auf uns. Eine Gegenwehr war unmöglich.

      Die Kühle des Raumes wich einer besonderen Kälte. Diese war der Atem des Todes. Nur wer schon einmal in der Nähe eines Sterbenden war, kennt ihn. Dieser Hauch lässt das Mark gefrieren und jeden bis in die Knochen erschauern. Von wildem Entsetzen gefasst wollte ich Fortrennen. Voller Liebe versuchte ich nochmals meine Schwestern, unseren wundervollen und kranken Bruder, die geliebte Mama und unseren tapferen Vater mit einem letzten zärtlichen Blick zu bedenken. Diese starrten jedoch angstvoll auf Jurowski. Durch die vielen Heilsbücher, die wir in den letzten Monaten gelesen hatten, sollten wir eigentlich besser auf diese Stunde vorbereitet sein. Die herzlose Wirklichkeit war jedoch immer anders, schlimmer als erwartet und der eigene Geist schwächer und voller Angst. Sterben ist niemals leicht.

      Alle meine Muskeln begannen zu vibrieren. Dabei klapperte sogar die Kapsel verräterisch im Mund unter den Zähnen. Ich musste auf den richtigen Moment warten, so wie Mama mich angewiesen hatte. Es war dieses unendlich schnelle Zittern der Todesangst. Ich sah, dass auch die Lippen meiner Geschwister bibberten und durchsichtiger Schleim aus Marias Nase lief. Sie kümmerte sich nicht darum und war dem Wahnsinn nahe, entstellt von der Blässe der Todesangst.

      Mama beherrschte sich noch immer. Sie war stärker als wir.

      Unser Henker verlas den Inhalt des Blattes. Alles war so unwirklich. Ich verstand nur, dass der Dämon der Hölle unser Todesurteil vortrug. Der Uraler Sowjet hatte es gestern beschlossen und übte somit Selbstjustiz. Es gab selbst für uns Kinder keinen Prozess, keinen Anwalt, nur diesen heimtückischen Mordbefehl. War das die Idee von Gerechtigkeit, welche die Revolutionäre selbst für sich laut einforderten? Es ist so leicht über andere zu richten!

      Alles wirkte in diesem Moment entrückt und unwirklich. Es fühlte sich an, als verließe mein Bewusstsein schon in diesem Moment den Körper und war nur noch ein Zuschauer der Ereignisse. War alles ein böser Traum, aus dem ich vielleicht bald erwachte? Das konnte doch nicht die Realität sein? Es musste irgendetwas passieren, dass dieses Missverständnis beseitigte!

      Mama und ich bekreuzigten uns nochmals. Niemand will seinen eigenen Tod wahrhaben.

      Papa fragte der Realität entrückt: „Was?“ Wie banal diese Frage klang.

      Die Männer zielten nun genauer auf unsere elfköpfige Gruppe. Sie schienen den Ablauf ihres Verbrechens genau besprochen zu haben, da auf jeden von uns ein anderer Rotgardist seine Gewehrmündung richtete. Auf mich war die von Pawel Medwedew gerichtet. Die Möbel fehlten deswegen im Raum, weil sie unseren Tod bereits detailliert geplant hatten. Das wurde mir jetzt bewusst.

      Der Kommandant Jurowski trat mit gezogenem Revolver auf Papa zu. Zwei Schüsse peitschten durch den Raum. Dann schoss er auf Mama. Unsere Eltern fielen als Erste getroffen zu Boden. Aljoscha, der vor Entsetzen aufgesprungen war, schaute zitternd auf die Getroffenen.

      Ich biss nun mit aller Kraft zu. Länger durfte man keinesfalls warten. Die Umhüllung barst knirschend. Etwas Glas schnitt sich in meine Zunge und Zahnfleisch. Den Schmerz spürte ich in diesem Moment nicht. Der Inhalt schmeckte bitter und faulig. Brennend ergoss sich eine Flüssigkeit in den Magen und verströmte glühenden Schmerz.

      Nun feuerten alle Soldaten gleichzeitig. Die Kraft des starken Mittels krümmte mich jedoch in diesem Moment. Ein Geschoss zischte an mir vorbei. Durch die plötzliche Bewegung hatte es mich verfehlt. Eine weitere Kugel traf mich darauf jedoch mit Wucht vor die Brust und schmetterte meinen zarten Körper schmerzhaft gegen die Wand.

      Überall peitschten Schüsse. Federn flogen durch den Raum. Die Kammerdienerinnen versuchte voller Verzweiflung die Schüsse mit den Kissen abzuwehren, die sie vorsichtshalber mitgenommen hatten. Es war unermesslich laut. Pulverdampf trübte die Sicht. Der Rauch des Pulvers konnte ja nicht durch die geschlossenen Fenster entweichen.

      Ich war jedoch nicht tot. Wir hatten in unsere Mieder auf Mamas Anweisung schon in Tobolsk