Dudu. Karl Noordwyk

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Название Dudu
Автор произведения Karl Noordwyk
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742743176



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Banalitäten hin und her geschrieben, ohne wirklichen Tiefgang. Das ist ein wesentlicher Faktor! Wenn er seine Sorgen, Befürchtungen mit jemanden teilen kann, dann ist das etwas ganz besonderes. Und Dudu schreibt ganz offen über ihre Krankheit, wie sie damit umgeht, welche Medikamente sie einnehmen muss. Diese Konversation erzeugt Vertrauen. Was kann intimer sein als von seiner Krankheit, seinen Ängsten, seinen Befürchtungen zu schreiben? Schließlich wird dann auch noch über die Familie geredet. Die Familie spielt eine große Rolle in Dudus Leben. Sie unterstützt sie in ihrem Kampf ums Leben. Niemand stirbt gerne, weder Dudu, noch Karl. Obwohl das Leben doch so beschissen ist. Das Leben kann schön sein - manchmal - meist ist es beschissen! So fühlt es sich an und das ist nur schwer zu akzeptieren. Beide sind tödlich krank, dass wissen sie und es macht ihnen nichts aus! Sie haben sich an den Tod gewöhnt. Sie begegnen ihm täglich. "Normale" Menschen verdrängen ihn, wollen nichts darüber wissen, nur bei diesen beiden ist es anders. Gestorben wird immer, nur das Sterben findet unsichtbar statt, in Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Für sie wird der Tod nicht unvorbereitet kommen. Der Verlust des Lebens ist ein schleichender Prozess. Die Energie des Körpers ist aufgebraucht. Das Leben schwindet. Der Tod begleitet uns, vom Tag unserer Geburt an. Kaum wird man geboren, beginnt das Sterben. Viele Menschen denken solange nicht über den Tod nach, bis sie direkt davon betroffen sind. Dann stellen sich Unbehagen ein, Angst und oft auch der Wunsch nach Verdrängung. Allerdings meist nur über die Vergänglichkeit der anderen. Die Endlichkeit des eigenen Lebens blenden viele weiterhin häufig aus. Karl und Dudu wissen, dass sie sterblich sind. Die Frage die sie sich stellen ist eine ganz andere. Wie wollen wir leben, bevor wir sterben? Sie sind der Auffassung, dass das Leben, das ihnen so große Schwierigkeiten bereitet, doch lebenswert gestaltet werden kann und muss. Es hat keinen Sinn zu Hause zu sitzen und auf den Tod zu warten. Das Leben soll Freude bereiten, Spaß machen! Das Leben ist endlich, selbst wenn man erst mit über 100 stirbt. Sie haben sich das bewusst gemacht, sie schätzen es mehr. Bei denen, die sich mit der Unausweichlichkeit des eigenen Sterbens auseinandersetzen, geht es irgendwann nicht mehr um die Fragen, warum oder ob, sondern mehr darum wie. Die meisten Menschen wollen zu Hause sterben, ohne Schmerzen, ohne Angst. Der Sterbeprozess kann über viele Tage und Nächte sich hinziehen, diesen Zustand fürchten die beiden. Während dieser Dämmerzeit scheinen die Sterbenden immer mal wieder zwischen der diesseitigen und der jenseitigen Welt zu pendeln. Aber erst wenn die Seele tatsächlich bereit ist und den physischen Körper aufgeben möchte, die Kraft die den Körper und Seele zusammen hält zerreißt. In diesem Moment geht die Seele in die geistige Welt über und das Leben weicht aus dem Körper. Alle körperlichen Schmerzen des Erdenlebens werden mit dem Körper zurück gelassen. Der tatsächliche Tod ist letztlich ein Loslassen. Ein Loslassen von dieser Welt mit allen materiellen Anhäufungen. Und ein Loslassen von dem Ehepartner, den Kindern, den engen persönlichen Bindungen. Dieses Loslassen fällt den Sterbenden verständlicherweise sehr schwer und die Anwesenheit von Familienmitgliedern am Totenbett verlängert den Sterbeprozess. Dies ist der Grund warum viele Menschen nach tagelangem Todeskampf genau dann sterben wenn gerade niemand im Raum ist. Karl glaubt daran, wenn er stirbt, dann wird er alleine sein, niemand wird bei ihm sein, niemand wird ihm beistehen. Dudu wird weg sein, was soll diese junge schöne Frau an der Seite eines Sterbenden? Er kann sich damit abfinden, zurechtkommen. Er ist alt, der größte Teil seines Lebens liegt hinter ihm. Vor ihm kann nicht mehr viel liegen, kommen, was geschehen ist, liegt schon zurück. Das ist für beide eine große Gemeinsamkeit. Sie können frei reden, das Sterben ist kein Tabuthema mehr. Das Abtasten hat ein Ende. Sie wissen was vor ihnen liegt und sie haben keine Angst. Das Gemeinsame überwiegt! Der Altersunterschied spielt keine Rolle. Ob schön oder hässlich, niemand fragt mehr danach, reich oder arm, wem kümmert das? Jeden Tag haben sie ein Gespräch, sie reden viel, haben sich viel zu erzählen. Es gibt kein Ende. Oft sprechen sie stundenlang miteinander. Es gibt immer etwas Neues zu berichten. Dudu war im Spital, das muss berichtet werden, das Ergebnis natürlich auch. Das sind die regelmäßigen Kontrollen. Und auch Karl war im Spital,auch das muss ausführlich berichtet werden. Die Familie nimmt auch teil an den Ergebnissen, vieles wird diskutiert. Was wichtig ist, dass ist die Familie, sie muss hinter dem Kranken stehen, muss ihm den Rücken stärken, freihalten, ihn unterstützen. Ohne das, geht es nicht! Die Gespräche werden immer intimer, schließlich wird über Sex gesprochen. Dudu sagt, dass sie sich heute nicht wohlfühlt. Das ist ein Zeichen, eine Gelegenheit für Karl. Er antwortet, dass er das richtige Medikament dafür hätte. "Und das wäre?", fragt Dudu nichtsahnend. "Ich habe eine Injektion zur Hand, die würde dir bestimmt helfen", antwortet Karl. "Eine Injektion?", fragt Dudu nach. Karl weiß, dass Dudu noch nicht begriffen hat von was er spricht. "Das Serum hab ich auch dabei!" Für einige Zeit kommt keine Antwort, dann ein Lachen. "Du bist ja ein ganz schlimmer!" Jetzt muss auch Karl lachen, es ist ein erlösendes Lachen, das sie seinen Scherz so gut aufgenommen hat. "Ich habe einige Zeit gebraucht um dahinter zu kommen, was du meinst", sagt Dudu, "du sprichst über Sex!" Gut, dass sie mich nicht sieht, denkt Karl, denn der kalte Schweiß steht auf seiner Stirn. "Wir haben jetzt über uns geredet, über unsere Familien, über unsere Krankheit, über die Behandlung, über die Medikamente die wir einnehmen, es wird Zeit, dass wir einen Schritt weiter gehen. Wir brauchen nicht über Sex zu reden, wir können Scherze machen, so wie ich es gerade getan habe", meint Karl und Dudu stimmt zu. "Leben, Sterben, Liebe, Sex gehört alles zusammen." Sie verstehen sich gut. Es vergeht kein Tag ohne eine Nachricht, und wenn sie noch so kurz ist, es genügt ihm, dass er weiß, dass es ihr gut geht. An manchen Tagen sendet er Bilder von sich, teilweise alte Bilder, teilweise neue und immer möchte Dudu wissen was sie da sehen kann. Wenn sie eine Nachricht sendet, dann schreibt sie "handsome." Er hält das für einen Witz, diese Bezeichnung gefällt ihm nicht so ganz, er ist nicht "handsome", dass weiß er von den vielen anderen Frauen, die den Kontakt abgebrochen haben, als sie Karls Bild sahen. Wenn Karl eine Nachricht sendet, dann bezeichnet er sich als Zombie, als "lebender Toter". Das führt wieder zu Gelächter bei Dudu, die das überhaupt nicht so sieht. Monster, ist auch eine Bezeichnung die ihm einfällt. Auch das führt zu Gelächter. Dudu meint, ein Mann wie er kann kein Monster sein. Ein Zombie ja, ein Monster sicher nicht! "Warum ein Zombie!", fragt Dudu nach. "Weil wir nur mit diesen schrecklichen Medikamenten leben können. Viele von uns sehen so aus, mich eingeschlossen. Jeder kann sehen, dass ich etwas habe, leide, krank bin. Ich bin ein Zombie! Und so fühle ich mich auch." Noch haben sie sich nicht von Angesicht zu Angesicht gesehen, aber sie sind sich sehr vertraut. Es ist wirklich nicht sehr glaubhaft, dass sich Menschen auch mit einem Mailverkehr näherkommen können. Aber so war es. Das Leben ist manchmal ganz schön verrückt.

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      Kann denn die Gegenwart ohne die weiter existierende Vergangenheit existieren?, fragt sich Karl. Wenn etwas unwiederbringlich verschwunden ist wie die Vergangenheit ist es dann überhaupt möglich Einfluss auf die Gegenwart zu nehmen? Ist die Vergangenheit weg hat sie auch keinen Einfluss mehr auf die Gegenwart. Karl hat eine mögliche Antwort parat. Er denkt es existieren weder Zukunft noch Vergangenheit. Nur die Gegenwart; wenn überhaupt... Es kann nur die Gegenwart existieren, die Vergangenheit ist vorbei und die Zukunft kommt erst. Er weiß, dass das was er gerade gedacht hat, schon wieder die Vergangenheit ist, also nicht mehr existent ist. Wir können nur aus der Vergangenheit lernen, um in der Gegenwart unsere Zukunft zu formen. Wie bin ich nur auf sie gekommen? Zwar ist es wiederum keine Frage, dass unsere Vergangenheit als Menschheit sich als Tradition niederschlägt und in unserem geistigen Entwicklungsstand Ausdruck findet. und dennoch.... , ja, er glaubt, wir lernen nicht aus der Geschichte. insofern und insoweit, hat die Vergangenheit keinerlei wirklichen Einfluss auf die Gegenwart. die Geschichte zeigt jedenfalls, dass Menschen, Völker und Staaten ohne mit der Wimper zu zucken weiterhin munter und immer die selben Fehler begehen, die auf Grund der gemeinsamen Erfahrung hätten vermieden werden können und müssen. dass liegt möglicherweise daran, dass kollektive Entscheidungsfindung nach gruppendynamischen Spielregeln geschehen statt rationalen oder auch nur instinktiv-zweckmäßigen, wie das etwa bei einer Person der Fall wäre. Ein einzelner Mensch, ja ein einzelnes Tier lernt immer dazu. die Menschheit dagegen ist unbelehrbar, weil sie kein Individuum ist. so zu tun, zu reden, zu schreiben und zu denken als wäre sie eins, ist ein sehr verbreiteter dummer Fehler. Er nimmt an, dass er eine tiefere, soziologisch ontologische Fragestellung vorschwebt. Wie kann etwas , was nicht ist, ins Gewicht fallen, als ob es wäre? Wahrscheinlich kann es auch nicht. Der Volksmund scheint es zu wissen. Nicht umsonst heißt es ja, die Sache ist für mich gestorben.