Heine hardcore II - Die späten Jahre. Freudhold Riesenharf

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Название Heine hardcore II - Die späten Jahre
Автор произведения Freudhold Riesenharf
Жанр Языкознание
Серия Fiktive Biografie Heinrich Heines
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742736116



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Psychiatrie die fehlerhafte Tendenz, die Neigung zur sexuellen Selbstbefriedigung als etwas Pathologisches anzusehen und sie einer charakterlichen Fehlhaltung zuzuschreiben. Man unterschätzt den einfachen Umstand, dass ein Mensch mit einem angeborenen überstarken Trieb ja praktisch gar nicht anders kann, als auf die Dauer der Liebessucht zu verfallen. Wie der junge Rousseau: Mein erhitztes Blut füllte unaufhörlich mein Hirn mit Mädchen und Frauen, aber da ich keine Ahnung hatte, was man wirklich mit ihnen macht, beschäftigte ich sie in der Einbildung seltsamerweise nach meinen Phantasien, ohne zu wissen, was ich weiter mit ihnen anfangen sollte; und diese Gedanken hielten meine Sinne in einer sehr lästigen Tätigkeit.

      Wie Felix Krull bei Thomas Mann: Da habe ich denn vor allem anzuführen, dass jene Angelegenheit sehr frühzeitig in meinem Leben eine Rolle zu spielen, meine Gedanken zu beschäftigen, den Inhalt meiner Träumereien und kindischen Unterhaltungen zu bilden begann: lange nämlich, bevor ich irgendeinen Namen dafür besaß oder mir auch nur von ihrer weiteren und allgemeinen Bedeutung ein Bild zu machen wusste, so dass ich die lebhafte Neigung zu gewissen Vorstellungen und das durchdringende Vergnügen daran durch geraume Zeit für eine ganz persönliche und anderen gar nicht vorstellbare Eigentümlichkeit hielt, über die ihrer Sonderbarkeit halber lieber nicht zu sprechen sei. Da es mir an einer eigentlichen Bezeichnung dafür gebrach, so fasste ich diese Empfindungen und Eingebungen bei mir selbst unter dem Namen ,Das Beste' oder ,Die große Freude' zusammen und hütete sie als ein köstliches Geheimnis … In der Tat grenzte meine Begabung zur Liebeslust ans Wunderbare; sie übertraf, wie ich noch heute glaube, das gemeine Ausmaß bei weitem.

      Ihm selbst, Heine, schreibt Isidor Sadger eine überstarke Sinnlichkeit zu. Ist das aber schon bei ihnen so, dann ist es in Myriaden anderen Fällen auch nicht anders. Erkennen die Psychiater das aber an, verdienen sie nicht mehr daran. Ist das mit ein Grund für den ketzerischen Spruch, die Psychoanalyse selber sei die Krankheit, von der sie uns zu heilen verspricht? … –

      Dann ist da die teils kommerziell-antiautoritäre, teils regierungsamtlich-sozialliberale Revolution der sechziger und frühen siebziger Jahre; und schließlich die so genannte Neosexuelle Revolution in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Letzteres ist ein unspektakulärer, weil eher unterschwellig und gleichsam hinter den Kulissen verlaufender tiefgreifender Wandel der Sexualmoral in den Ländern der westlichen Welt nach der 68-er Bewegung.

      Gar für den Beginn einer neuen sexuellen Revolution hält die Zeitschrift stern den Roman Schoßgebete von Charlotte Roche, auch wenn Charlotte eigentlich bloß offen und unverblümt ausspricht, was inzwischen sowieso jeder weiß und denkt.

      Genau genommen ist es sein semitischer Stammesgenosse, der ostjüdische Gummifabrikant Israel Fromm, der der sexuellen Revolution durch seine Kondom-Produktion einen entscheidenden Anstoß gibt.

       Dieses Kondom ist eine dünne Hülle, zumeist aus vulkanisiertem Kautschuk, die ebenso vor der Empfängnis wie sexuell ansteckenden Krankheiten schützt. Sie wird vor dem Geschlechtsverkehr über den erigierten Penis des Mannes gestreift, der dann innerhalb ejakuliert. Zur Aufnahme des Spermas dient das so genannte Reservoir, eine Ausbuchtung an der Spitze des Gummis. Die ersten Kondome waren aus gewebtem Stoff und als solche bei der Verhütung nicht besonders brauchbar. Die ersten wirksamen Kondome wurden aus Schafsdärmen oder anderen tierischen Membranen gefertigt. Solche Formen sind auch heute noch erhältlich. Sie gelten bei manchen als sinnlicher, fühlen sich dank weniger Elastizität und Slip-Stick anders an, sind jedoch nicht so effektiv wie künstlich hergestellte. Der physikalische Stick-Slip-Effekt – Haftgleiteffekt – bezeichnet allgemein das Ruckgleiten von gegeneinander bewegten Körpern, wie beispielsweise ratternde Scheibenwischer, die am Latexluftballon oder Rand eines Trinkglases rubbelnde nasse Fingerkuppe, oder eben auch die Geschlechtsteile von Mann und Frau. Bereits Casanova benutzte Kondome, die im 18. Jahrhundert so genannten English Overcoats, zum Schutz vor der Syphilis. Laut der verbreitetsten Theorie über die Herkunft des Namens leitet er sich von Oberst Dr. Condom ab, dem Hofarzt von Charles II. von England, der zur Empfängnis- und Infektionsverhütung angeblich Hammeldärme empfahl.

      Charles Goodyears bahnbrechende Erfindung von 1839: die Vulkanisierung von Kautschuk, führt zur Herstellung von wasser-, wärme- und kältefestem sowie bruchstabilem Gummi. 1855 wird so das erste Gummi-Kondom fabriziert und 1870, mit zwei Millimetern Dicke vernäht, serienmäßig produziert. Ende des 19. Jahrhunderts verkauft die Maison A. Claverie, Paris, aufgerollte Kondome mit Reservoir unter dem Artikelnamen Le Parisien – der Pariser. Sie sind aus dehnbarem Gummi und gegebenenfalls mehrmals verwendbar. Eine Weiterentwicklung des populären Produkts hat am unteren Rand des Reservoirs einen angeklebten Stachelring aus Gummi und heißt Le Parisien Dentelé, der gezahnte Pariser. Die französischen Versandfirmen für Ehehygiene befinden sich nur in Paris. Sie vertreiben die gleichen Kondome unter verschiedenen Namen, z. B. Le Bijou, das Juwel. In Deutschland wird 1888 Frauen und Jugendlichen durch Bundesratsverordnung die Arbeit in Präservativfabriken aus moralischen Gründen verboten.

       Die eigentliche Revolution in der hedonstischen Gummichemie aber verdanken wir wie gesagt Israel Fromm, der 1916 unter dem Firmennamen Fromms Act das weltweit erste Kondom ohne störende Naht, einfachheitshalber Fromms genannt, auf den Markt bringt. Der inzwischen Julius genannte Israel ist das zweite Kind einer armen ostjüdischen Familie aus dem damals zum Russischen Reich gehörenden Teil Polens. Seine Eltern leben im Schtetl, dem jüdischen Armenviertel von Konin. Wegen ihrer Armut und Perspektivlosigkeit emigriert die Familie 1893 nach Berlin, lebt im Scheunenviertel nahe dem Alexanderplatz und verdient ihren Lebensunterhalt mit Heimarbeit durch Herstellung und Verkauf von Zigaretten. Die Fromms landen in der Mulackstraße, der ärmsten und verrufensten Ecke Berlins, wo laut einem zeitgenössischen Autor „Schwerverbrecher und Dirnen mit ihrem arbeitsscheuen Anhang“ hausen.

      Neben seiner Arbeit als Zigarettenverkäufer studiert Julius in Abendkursen Chemie. 1906 heiratet er seine schwangere Verlobte. Insgesamt hat das Paar drei Söhne. Nach dem frühen Tod seiner Eltern übernimmt er 1912 die Verantwortung für seine sechs jüngeren Geschwister und macht sich selbstständig. 1914 gründet er in einer Hinterhofwerkstatt im Prenzlauer Berg sein Fabrikations- und Verkaufsgeschäft für Parfümerie und Gummiwaren. Er experimentiert viel mit Gummi und erfindet das transparente und nahtlose Kondom aus Naturkautschuk, bei dem ein Glaskolben in eine Rohgummilösung getaucht wird. Als Ein-Mann-Unternehmer vertreibt er es über den Drogeriehandel.

       1916 bringt er mit seiner florierenden, deflorierenden Fromms Act Gummiwerke GmbH sein erstes Markenkondom unter dem Namen Fromms Act unter die Leute. Die damals gebräuchlichen Kondomarten, meist aus Tierdärmen, Fischblasen oder Gummiprodukten genäht, sind ziemlich unbeliebt, schützen jedoch vor der Syphilis und anderen venerischen Übeln. Fromms modernes Produkt wird zum Verkaufsschlager, ab 1930 sind verhütende Latex-Kondome allgemein erhältlich. Angesichts eines bereits 90-prozentigen Marktanteils meint Israel zu seinem Werbechef: Schreiben Sie: Die Konkurrenz platzt. In Deutschland sind die Fromms so populär, dass in Berlin sogar die Bier-Kabarettisten und Piano-Humoristen darüber herziehen: Fromms zieht der Edelmann beim Mädel an, singen sie, oder: Wenn's Euch packt, nehmt Fromms Act, wahlweise auch: Ich bin ganz Fromms – zum Platzen gespannt. Allerdings hat ein junger Mann wie Harry beim Produkt seines Stammesgenossen, außer im Bordell, eigentlich gar nichts zum Lachen, solange er nicht auch ein Mädel hat, das dabei mitmacht, mitlacht.

      Der Verkauf von Kondomen ist bis Mitte des 20. Jahrhunderts vielerorts verboten, beziehungsweise nur zu medizinischem Gebrauch erlaubt. Im rückständigen Irland beispielsweise gilt eine solche Regelung sogar noch bis Anfang der 1990er. Fromm macht ein sagenhaftes Geschäft, als im Ersten Weltkrieg Kondome zum Standardequipment der Soldaten gehören. Die deutsche, französische und britische Armee verteilt Kondome kostenlos unter ihre Soldaten; nicht dagegen die US-Armee, so dass amerikanische Soldaten häufiger Geschlechtskrankheiten kriegen als andere. Die frühen Latex-Kondome sind einander so ähnlich wie ein Ei dem andern. Der Unterschied ist bei einigen Kondomen das Fehlen des heute gebräuchlichen Reservoirs. Eine frühe Entwicklung, die short cap, die nur über die männliche Eichel gestreift wird, versagt allerdings bei der Reduzierung von Schwangerschaften und Krankheiten.

      In den folgenden Jahrzehnten entwickeln Hersteller Kondome