Heine hardcore II - Die späten Jahre. Freudhold Riesenharf

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Название Heine hardcore II - Die späten Jahre
Автор произведения Freudhold Riesenharf
Жанр Языкознание
Серия Fiktive Biografie Heinrich Heines
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742736116



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Die damals mächtigen Sozialverbände argumentieren unter anderem damit, dass die Filme Jugendliche, die zwischen Fiktion und Wirklichkeit nicht unterscheiden könnten, zu Unmoral und Kriminalität erziehen würden. Dies führt zu einer Verdrängung der Pornografie in den Untergrund. Ist vielleicht sogar schon das Drehen verboten? Jedenfalls ist es der einzige Porno aus jener Zeit, den Henri zu sehen bekommt.

      Wie reagiert der unsterbliche Dichter darauf? Pornografie sieht er noch nicht, aber schon der junge Harry gerät früh in den Bann des allgegenwärtigen Fortschritts. Im zartesten Alter stößt der Knabe in den Zeitschriften und Journalen in Samsons Düsseldorfer Heim auf Abbildungen der schönsten Mädchen und Frauen, oft hochgeschürzt und leicht bekleidet in erotisch aufreizenden Posen. Die schönsten Girls mit den verlockendsten Körpern in den reizendsten, spekulativsten Posen bieten sich dem Betrachter mit Leib und Seele zur Liebe an. Betty ist eifrig bemüht, wie die romantischen Romane, so ebenso auch die schlüpfrigen Fotos von ihm fernzuhalten. Aber Kinder suchen sich ihr Gift selber aus: Jedes Weib ist mir eine geschenkte Welt, ich schwelge in den Melodien ihres Antlitzes, und mit einem einzigen Blick meines Auges kann ich mehr genießen als andere mit ihren sämtlichen Gliedmaßen zeit ihres Lebens.

      Wie reagiert auf diese schöne neue Welt promiskuitiver Bilder die zart aufkeimende Sinnlichkeit eines kleinen, ebenso von Natur durch eine überaus stark entwickelte Libido wie durch eine überaus symbiotische Mutterbindung geprägten Jungen? Überflüssig, es zu bemerken: Die Erinnerung an Bettys weiße warme Brust und weichen weißen Leib, und seine unsägliche Lust daran, ist, auch wenn er sich seiner einmal entwöhnen musste, immer noch lebendig in ihm – hat er sie, wenn auch nicht so hautnah, doch immer noch täglich vor sich –, so dass er die gleiche süß-selige Lust bald auch bei anderen Frauen sucht. Denn auch die fremden weiblichen Wesen sind ihm nicht minder schön und reizend, und ihre Leiber nicht minder weich und warm, und auch ihr Schoß nicht minder verlockend als Betty's.

      Von Gertrud, Katharine, Silvia, den Flammen seiner frühen Kindheit, hörten wir schon. Sein heißes Blut füllt – wie bei Rousseau – unaufhörlich sein Hirn mit Mädchen und Frauen, aber da er keine Ahnung hat, was man wirklich mit ihnen macht, beschäftigt er sie in der Einbildung nach seinen Phantasien, ohne zu wissen, was er weiter mit ihnen anfangen soll; und diese Gedanken halten seine Sinne in einer sehr lästigen Tätigkeit, er kann sich nicht Ruhe vor ihnen verschaffen. Mit hinzu kommen jetzt all die verfänglichen Bilder aus den Zeitschriften und Journalen, die Fotomodelle und Pin-up-girls, die Leinwandschönheiten, Starlets und Stars, die Schauspielerinnen, Tänzerinnen, Schönheitsköniginnen, oder auch einfach nur die Werbeikonen für weibliche Unterwäsche. Wann immer der Knabe auf die halbnackten oder nackten Modelle in einem illustrierten Journal stößt, fühlt er sich von einer ihn bis ins Innerste seines Blutes durchdringenden Glut durchflossen, und diese dunkle Achselbeuge, jene formvollendete Schulter, diese Wölbung des Bauches, jene Rundung des Schenkels, diese hügelige Ausgebeultheit in einem Schoß verheißen ihm keine geringere Lust, als er sie je in Bettys Armen erlebte.

      In einer von ihnen abonnierten Zeitschrift erscheint Woche für Woche auf der ersten oder letzten Seite als Blickfänger ein spärlich bekleidetes Pin-up, das seines besonderen Sex-appeals wegen ausgewählt wurde, und Woche für Woche spannt der Kleine auf diese verführerische Ikone der Lust, um sie, unbemerkt von den Eltern, ideell auszusaugen wie ein Schmetterling den Nektar aus der Blume. Seine Empfänglichkeit für weibliche Schönheit ist beispiellos und unerschöpflich. Einmal sieht er ein Bild von Marisa Solinas aus einem Zirkusfilm in einem weißen Trikot und einem blauen Cape, die eine Hand an den Bauch, die andere auf ihren Schenkel gelegt, den Daumen in ihrer Leiste, und es benimmt ihm förmlich den Atem.

      Als er in einem harmlosen Erdkundebuch der Grundschule die Fotografie einer jungen Inderin auf einem Reisfeld erblickt, ist er von dem schönen Gesicht so gebannt, dass er es sein Leben lang nicht mehr vergisst.

       Kaum kann er lesen, verfällt er auf die serienmäßigen Comic-Strip-Hefte, die es im Zeitschriftenhandel gibt. Darin geht es zumeist darum, schöne Frauen von kühnen Helden aus den Händen ruchloser Entführer befreien zu lassen. So rettet der Ritter Sigurd die züchtigsten Burgfräulein. So kommt der athletische Dschungelheld Tarzan im Lendenschurz zu seiner halbnackten Freundin Jane. So werden bei James Fenimore Cooper die entführten Frauen vom Marterpfahl befreit. Ihr Lohn ist dann die Frauenliebe, die Liebe der Frauen. Er empfindet es wie der junge Jean-Paul Sartre: Heute muss ich sehr über die Leute lachen, die sich über den Einfluss von Fantômas oder André Gide aufregen: glauben sie etwa, dass sich die Kinder nicht selbst ihre Gifte aussuchen? Das meinge verschlang ich mit der ängstlichen Nüchternheit der Süchtigen.

      Und dann erst der Film! Schon ab sechs oder sieben, als er ohne Begleitung ins Kino darf, sieht er die wöchentlich wechselnden Monumental- und Sandalenfilme mit den muskulösen Helden – Mark Forest, Gordon Scott, Ed Fury, Steve Reeves –, die die lieblichsten Frauen aus den Händen ihrer widerlichen Bedränger retten und sie zur Belohnung dafür freien dürfen. Abends vor dem Einschlafen träumt er sich selbst an die Stelle dieser muskulösen Athleten, und wie sie die Liebe der Schönen und Schönsten gewinnen. Vielleicht ist es neben der überstarken Libido des Knaben das Bewusstsein seiner eigenen kleinen, kaum mittelgroßen Statur, die er mit idealen Identifikationsfiguren kompensiert. So, träumt er, wird auch er eines Tages eine schöne Frau erobern, ohne sich bewusst zu machen, dass er selber niemals so aussehen wird wie seine herkulischen Helden ... –

      Es ist, als sähe er seine erotischen Idole aus der Arche Noä, allen voran Carraccis Modelle, jetzt in vivo vor sich. Einmal, er muss um die neun herum sein, führt Betty – die keine Ahnung davon hat, was sie da anstellt – ihn leichtfertiger Weise in die beiden Fortsetzungsfilme Der Tiger von Eschnapur und Das indische Grabmal, die im exotischen Milieu Indiens spielen. Ein deutscher Ingenieur, verkörpert von dem blendend aussehenden Paul Hubschmid, soll für einen indischen Maharadscha – Walther Reyer – ein prächtiges Grabmal bauen. Exotisches Abenteuer in grandioser Ausstattung – verkitschte Trivialromantik im Stil der fünfziger Jahre; nicht zu vergleichen mit Fritz Langs früheren Meisterwerken, lies er später in den Kritiken. Er ist aber gerade im Alter des Kitsches, ist ihm wehrlos ausgeliefert, und was interessieren ihn alle Meisterwerke, wenn die hinreißende Debra Paget, eine der schönsten Schauspielerinnen ihrer Zeit, als Tempeltänzerin Sita vor der vollbrüstigen Skulptur der Göttin Kali-Durga tanzt? Ist Debra vielleicht kein Meisterwerk? Ihre Schönheit ist durchaus nichttrivial. Dabei hat sie fast nichts an und schlängelt sich praktisch nackt auf dem blanken Lehmboden vor einer sie züngelnd beschleichenden Kobra. Sie steht da, die entblößten Schenkel weit in Form eines Rechtecks gespreizt, halb in der Hocke und wippt mit dem nur von einem spärlichen Dreieck verdeckten Schoß aus den Hüften heraus vor und zurück, während sie auf den Zehenspitzen die Ballen der zarten Füße rhythmisch vom Boden abspreizt.

      Gerade so wippend, stellt er sich vor, würde sie sich auch in den Armen eines Geliebten spreizen. Ist da nicht die giftzahnscharf nach ihr züngelnde Kobra wie das Symbol eines schlangengeilen Dämons, der die Schöne zum Fressen gern vernaschen wollte? Kein Wunder, dass der junge Maharadscha so unsterblich in sie verliebt ist.

      Wie hoch ergreift den Kindersinn da eine Ahnung von der Liebe Dingen! Werden die Dinge, wenn sie wirklich sind, auch wirkliche Erfüllung bringen?

      Ist Debra Paget nicht wie eine wiedererstandene Mata Hari? Ihre erotischen Tempeltänze, die man heute regelmäßig zu Festtagen im Fernsehen sieht, sind für die Fünfzigerjahre so gewagt, dass sie für die in den USA laufende Fassung nicht ungekürzt gezeigt werden dürfen und unbedingt beschnitten werden müssen. International erlangen sie regelrechten Kultstatus. Der junge Harry aber sieht sie, vielleicht, weil Deutschland einen seiner besten Regisseure nicht kastrieren will, in ihrem ganzen exotisch verruchten Zauber. Sein Kindersinn erschauert vor ahnungsvoller Lust bis auf den Grund: welch unbeschreibliche Wonne, nachts im Bett diesen anmutig-süßen Frauenleib zu kosen … Welch unaussprechliche Wollust, diese holdselige Venus mit ihrem schönen Leib und ihren Brüsten und ihrem Schoß und ihren Füßchen in den Armen zu haben … Wie tief fühlt er es dem verliebten Chandra alias Walther Reyer nach, der sie so mit den Augen verschlingt, als saugte er mit bloßen Blicken seine Lust aus ihr. Die indischen Motive der Arche Noä zeigten vor alters, was die schöne Bajadere unter ihrem keuschen Dreieck verbirgt und was man alles damit anstellen