Heine hardcore II - Die späten Jahre. Freudhold Riesenharf

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Название Heine hardcore II - Die späten Jahre
Автор произведения Freudhold Riesenharf
Жанр Языкознание
Серия Fiktive Biografie Heinrich Heines
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742736116



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bei Intellektuellen gar nicht so selten ist, überhaupt erst mit 43, so dass bei ihm der Zeitraum von der Pubertät bis zum Leben mit Mathilde – der Zeitraum, wenn auch nicht der nachhaltigsten Kraft, so doch der loderndsten sinnlichen Glut – nicht bloß zehn, sondern, bis er sie kennenlernt, annähernd zwanzig Jahre beträgt. Er strengt daher seine Vernunft auch gar nicht erst weiter vergeblich an. Wir sahen es an seiner Notonanie, und wie er manch zotenhafte Anekdote oder schlüpfrige Stelle aus dem Alten Testament, den Carracci-Zyklus und zahllose andere erotische Sujets der Arche Noä kraft poetischer Phantasie zu lebendiger Gegenwart erweckte. Wir sahen es beginnend bei Adam und Eva im Paradies, bei der Geschichte Lots und seiner Töchter, die er lebensnah reproduzierte; wir sahen es an der Geschichte Thamars und Juda's; David und Bathseba's; Susanna's im Bade; Judiths und Holofernes'. Wie sahen es, ins Literarische gewendet, an Ophelia und Horatio, an Kleists Marquise von O. und an Nabokovs Lolita. Diese und unzählige andere Episoden erweckt der junge Harry zu leidenschaftlichem Leben und zieht seine einsame Lust daraus. Ist das ein ,Laster', dann hat Kant wohl Recht mit seiner Behauptung. Wir zögern aber, es so zu benennen.

      Ist das aber eine Lösung? Die sexuelle Selbstbefriedigung wirkt im Wesentlichen über die erotische Phantasie, und gewöhnt man sich an die sexuelle Selbstbefriedigung, dann konditioniert man sich auf die erotische Phantasie. Er begegnet der sexuellen Lust zuerst in der Onanie, und begegnet ihr desto intensiver, je größer und schneidender das Gefühl seiner Einsamkeit ist. Denn, so die Gefährlichen Liebschaften des Choderlos de Laclos: Die Einsamkeit steigert die Lust ins Ungeheuere.

      Damit vergleichen Mann und Frau dann später aber auch ihre Lust beim realen Verkehr der Geschlechter. Die sexuelle Selbstbefriedigung ist wie eine Blaupause künftiger Lust: eine Schablone, ein Versprechen, das durch den wirklichen Beischlaf eingelöst und gar übertroffen werden soll. Der Einzelne in seiner verliebten Phantasie verwechselt seine einsame Lust mit der Lust, die er mit einer wirklichen Geliebten hat. Begegnen Mann und Frau sich dann erstmals sexuell, sind sie längst auf die ipsistische Phantasie geprägt.

      Aber nicht nur während seiner einsamen Jugend befriedigt Harry sich selbst. Er tut es en passant auch noch in Paris bei seiner Liebe zu Morelle. Hat er sich nicht durch Lolita zu jugendgefährdenden Phantasien hinreißen lassen? Sogar in der Erwartung von Crescence noch bewahrte er seine Erotica aus dem Söller der Arche Noä.

      Ja, sogar in seiner Ehe mit Mathilde noch identifiziert er sich mit Horatio, der von Ophelias nächtlichem Besuch wider Willen übermannt wird. Im Gedenken an Frisettes Cancan masturbiert er heimlich im Ehebett. Das heißt Freuds Begrifflichkeit weit überstrapazieren und ist keine ,Notonanie' im eigentlich freudianischen Sinne mehr. Was aber dann?

      Onanie, die gar nicht abgenötigt wird, ist freiwillige, selbstgewählte, spontane Onanie. Onanie sogar noch in der Ehe. An einen solchen Gedanken aber wagten sich nicht einmal die Philosophen Kant und von Hartmann. Ist das vielleicht das Unnatürliche und also ein echtes Laster?

       Ist die sexuelle Selbstbefriedigung durch die lange Einsamkeit konditioniert, dann erscheint es aber wieder als ganz verständlich und natürlich, wenn sie auch weiterhin praktiziert wird, und es wäre eher unnatürlich und erstaunlich, wenn sie von einem Tag zum andern einfach aufgegeben würde. Dies zumal dann, wenn man bedenkt, dass Henris Ehe kein Einzelfall ist, sondern, wie zuletzt der Film American Beauty zeigt, es auch noch in anderen Ehen so zugeht. Also auch hier wieder kein echtes ,Laster'.

      29: Linda

      Die Matura nennt man jetzt Abitur. Nach dem Abitur, als seine Klasse auf eine Autorallye geht, macht er eine Spanienreise, um nach dem andalusichen Flamenco zu recherchieren. Er begegnet Pepi und Loli in der Straße Ramón y Cajal und Marina, die aus Marokko herüber getrampt kommt, und hört zum ersten Mal von dem Stargitarristen Paco de Lucía.

      Von der Reise zurück, sucht er besonders die Hamburger Alsterpavillons auf. Besonders vor dem einen, dem so genannten Schweizerpavillon, lässt sich gut sitzen, wenn es Sommer ist und die Nachmttagssonne nicht zu wild glüht, sondern nur heiter lächelt und mit ihrem Glanz die Linden, die Häuser, die Menschen, die Alster und die Schwäne, die sich darauf wiegen, fast märchenhaft lieblich übergießt. Da lässt sich gut sitzen, und da sitzt er gut gar manchen Sommernachmittag und denkt, was ein junger Mensch eben so denkt, nämlich gar nichts, und betrachtet, was ein junger Mensch eben so betrachtet, nämlich die jungen Mädchen, die vorübergehen – und da flattern sie vorüber, jene holden Wesen mit ihren geflügelten Häubchen und ihren verdeckten Körbchen, worin nichts enthalten ist – da trippeln sie dahin, die bunten Vierlanderinnen, die ganz Hamburg mit Erdbeeren und eigener Milch versehen, – da stolzieren die schönen Kaufmannstöchter, mit deren Liebe man auch so viel bares Geld bekommt – da wandeln Priesterinnen der schaumentstiegenen Göttin, hanseatische Vestalen, Dianen, die auf die Jagd gehen, Najaden, Dryaden, Hamadryaden und sonstige Predigerstöchter – ach! da wandelt auch Minka und Heloisa! Wie oft sitzt er vor dem Pavillon und sieht sie vorüberwandeln in ihren rosagestreiften Roben. – „Prächtige Dirnen!“, rufen die tugendhaften Jünglinge, die neben ihm sitzen – Die eine möcht ich mir mal als Frühstück, und die andere als Abendbrot zu Gemüte führen, und ich würde an solchem Tage gar nicht zu Mittag speisen. Harry sagt nie etwas dergleichen und denkt seine süßesten Garnichtsgedanken und betrachtet die Mädchen und den heiter sanften Himmel und die stille blaue Alster, worauf die Schwäne so stolz und so lieblich und so sicher umherschwimmen.

      Kommst Du dort viel unter Weiber? schreibt er aus der Ferne an Immanuel Wohlwill. Nimm Dich in acht, die Hamburgerinnen sind schön. Die Röcke der bunten Vierlanderinnen sind inzwischen merklich kürzer geworden – so minimal, dass man früher nur davon träumen konnte und sie wortwörtlich Miniröcke heißen.

       Der Minirock ist als kurzer Rock so geschneidert, dass sein unterer Saum mehr oder weniger weit oberhalb des Knies der Trägerin endet. Harry sieht es desto lieber, je weiter oberhalb er endet. In seiner Grundform war der Rock zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Kulturen als praktische Bekleidung in Form einer um die Hüfte gebundenen Verhüllung der primären Geschlechtsmerkmale zur ungehindert-beinfreien Bewegung bekannt. In der Antike waren, wie man in den Sandalenfilmen sieht, Miniröcke auch als Männerröcke beliebt. Heute noch gehören rote Miniröcke zur traditionellen Stammestracht der Massai-Männer. Der Minirock im engeren Sinn wird erst Anfang der 1960er Jahre in England von der Designerin Mary Quant für die Damenwelt neu entdeckt. Zunächst in der Öffentlichkeit aufgrund seiner erotisch interpretierten Signalwirkung skandalisiert, ist er eines der prägenden Beispiele für die Popkultur und die Kleidermode der weiblichen Jugend der westlichen Welt in den 1960er und 1970er Jahren. Später etabliert sich der Minirock – auch erweitert als Mini-Kleid – in unterschiedlichen Stil-Variationen in der Alltagsbekleidung von säkular ausgerichteten Industriegesellschaften und wird hauptsächlich in den warmen Jahreszeiten getragen.

       Erstmals wird der aus Deutschland der frühen 1930er Jahre stammende und durch Quant wiederentdeckte Minirock 1962 in der britischen Vogue abgebildet. Schon drei Jahre später ist das zunächst als skandalös verunglimpfte Kleidungsstück zu einem weltweiten Verkaufsschlager geworden. Der französische Modedesigner André Courrèges etabliert den Minirock in der Pariser Modewelt. Mary Quant erhält für ihren Mut und ihre sinnlichen Kreationen 1966 den Order of the British Empire; zur Verleihung im Buckingham Palace erscheint sie im Minirock.

       Sommers 1968 erklimmt der Minirock seine maximale Popularität, und 1969 als Mini-Mini oder Mikrorock die höchstmögliche Saumhöhe, wobei das Höschen zum öffentlich sichtbaren Bestandteil der Mode avanciert. Das gilt teils als Provokation oder Ausdruck einer allgemeinen Respektlosigkeit, teils aber auch als Zeichen des neuen Selbstbewusstseins der von überkommenen Zwängen befreiten Damenwelt. Die neue Länge setzt sich in allen Gesellschaftsschichten durch. Selbst das britische Königshaus gibt dem Trend nach und akzeptiert eine Länge von genau sieben Zentimetern über dem Knie. Miniröcke gibt es bald in allen Materialien, von edel bis billig, und sie werden bei jeder Gelegenheit, selbst im Winter, getragen. Die Strumpfindustrie zieht bald nach und bringt statt Nylonstrümpfen Strumpfhosen auf den Markt, die die Beine ins richtige Licht rücken. Auch Kleider werden gemäß