Die Tugend von Tokyo. Götz T. Heinrich

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Название Die Tugend von Tokyo
Автор произведения Götz T. Heinrich
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844227055



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geworden sein. "Wie komme ich zu dieser Ehre?"

       Leichtes Schmunzeln vom Vordersitz. "Darüber wurde ich nicht informiert, Inspektor Toritaka-san."

       Höfliche Kriminelle. Der Inspektor sank ein wenig tiefer in die Lederpolster. dass es gefährlich werden konnte, wenn er Nachforschungen im Yakuza-Milieu anstellte, hatte er sich schon selbst denken können. Warum hatte er vorher nicht wenigstens für ein paar brauchbare Tips in Dezernat 7 angefragt? Wahrscheinlich hätte man ihn dabei davor gewarnt, irgend etwas alleine und ohne Rückendeckung zu unternehmen. Einmal hatte die Organisation jetzt schon unterschätzt, und er konnte nur hoffen, dass man ihm die Gelegenheit gab, aus diesem Fehler zu lernen.

       Vorerst einmal lernte Toritaka allerdings, dass Leiter von Verbrechenssyndikaten offensichtlich recht weit am Stadtrand wohnten. Die Fahrt dauerte fast anderthalb Stunden, und obwohl die getönten Scheiben des Wagens eigentlich seine Sicht nach draußen nicht behinderten, musste er doch feststellen, dass der japanische Regen alles in einem grauen Schleier verschwimmen ließ, was weiter als zehn Meter entfernt war. Keine Chance, den Fahrtweg genau nachzuvollziehen, auch wenn er bezweifelte, dass das die Absicht seiner "Chauffeure" gewesen war - die wichtigeren Grundstücke der Oyabuns waren ohnehin öffentlich bekannt.

       Als die Fahrt aber zu Ende war, stellte der Inspektor durchaus erfreut fest, dass er recht genau wusste, wo er war. Es musste irgendwo hinter Tsukishima sein, wenn er die Silhouette der Großstadt in der Entfernung richtig deutete, und das Auto hatte vor einem großen, freistehenden Anwesen gehalten, das offenbar noch aus dem neunzehnten Jahrhundert stammen musste. Sicherlich, im zweiten Weltkrieg war bei der Bombardierung Tokyos alles zerstört worden, doch wer danach noch das nötige Geld hatte, um seinen Grundbesitz halten zu können, der hatte auch die Mittel, sie wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen. So auch hier: eine altertümlich wirkende Mauer aus großen, ungleich geformten Quadern umgab einen Hügel, auf dessen Spitze wie ein kleines Schmuckkästchen ein traditionelles japanisches Villenhaus stand. Das Plätschern vom Inneren des Anwesens verriet ihm, dass es einen Teich geben musste, in den der Regen gerade strömte, und wahrscheinlich lag dieser Teich inmitten eines kleinen eleganten Gartens, wo es auch eine Teestube gab, und auf der anderen Seite des Anwesens lag eine künstlich angelegte heiße Quelle...

       Aihara schien ein Interesse zu haben, dass er das Anwesen auch zu sehen bekam, denn man bat ihn aus dem Auto und führte ihn zu Fuß durch das große, beeindruckende Holzportal auf das Grundstück, während der BMW wieder im Regen verschwand. Der schweigsame Mann im Anzug hielt einen Schirm über den Inspektor, während der andere, der bisher freundliche Höflichkeit an den Tag gelegt hatte, hinter beiden herlief. Leider verhinderte der immer noch dichte Regen, dass Toritaka außer der Allee von Kirschbäumen, die kurz vor ihrer vollsten Blüte standen, viele Details wahrnehmen konnte.

       Man brachte ihn den Hügel hinauf bis zum flachen, mit einfacher Eleganz bestechenden Villengebäude. Die Türe wurde geöffnet, und eine in eine reichlich anachronistisch anmutende Hausmädchenuniform gekleidete Frau reichte dem Inspektor Haussandalen und einen offenbar handgefärbten Yukata, den traditionellen Hausmantel. Toritaka schlüpfte aus seinen Straßenschuhen und gab Mantel und Jackett ab, ehe er den Yukata überzog, sich wortlos vor der Angestellten verneigte und sich dann wieder zu seinen Begleitern umsah. Die machten keine Anstalten, sich fürs Hausinnere umzukleiden, statt dessen deutete der Stumme der beiden auf die einzige Schiebetüre, die neben der Eingangspforte noch aus dem Vorraum führte.

       Mit einem Schulterzucken wandte sich der Inspektor um und trat auf die Tür zu. Noch ehe er sie erreichte, wurde sie von innen geöffnet, und vor ihm zeigte sich ein erstaunlich breiter, schmaler Raum. Die Decke war sehr niedrig, gerade einmal knappe einsachtzig, und es hingen Lampions zur Beleuchtung herab. Ein langer, flacher Tisch, um den Sitzkissen verteilt waren, zog sich quer durch den Raum, und direkt gegenüber der Eingangstüre kniete auf einem solchen Sitzkissen ein Mann mittleren Alters mit sehr offensichtlich gefärbtem schwarzen Haar, dessen Portrait jeder höhere Polizist Tokyos gut kannte: Aihara, Oyabun des Yamaguchi-Syndikats. Auch er war in einen der Hausmäntel gekleidet; es war allerdings offensichtlich, dass er darunter keine weiteren Sachen mehr trug.

       "Willkommen in meinem Zuhause", begrüßte der Oyabun seinen Gast höflich, jedoch mit unbewegtem Gesicht, und er verneigte sich nur einige Zentimeter, gerade genug, dass der Etikette Genüge getan war. Toritaka beeilte sich, die Verneigung zurückzugeben und widerstand erfolgreich dem Drang, sich so tief wie nur möglich herunterzubeugen - er stand zwar einem mehr als einflussreichen und gefährlichen Mann gegenüber, aber unterwürfig gegenüber einem Kriminellen wollte er dennoch nicht wirken. "Guten Tag, Aihara-san", erwiderte er und verzichtete damit auf das eigentlich obligatorische Ehrenkürzel "-sama", mit welchem er seinem Gegenüber einen hohen gesellschaftlichen Stand beschieden hätte.

       Der Oyabun schien nichts anderes erwartet zu haben; wenn er das Verhalten als respektlos ansah, zeigte er es zumindest nicht. "Nehmen sie Platz, Toritaka", sagte er ruhig, doch dass er sowohl auf das eigentlich obligatorische "Bitte" als auch auf das "-san"-Suffix verzichtet hatte, machte deutlich, dass er den Inspektor momentan in deutlich unterlegener Position sah. "Ich höre, sie haben Fragen an mich."

       "Ich an sie?" Toritaka kniete sich langsam auf das Kissen gegenüber des Syndikatschefs. "Ich ging vom umgekehrten Fall aus. Immerhin haben ihre Männer mich zu ihnen komplimentiert."

       "Sie hatten offenbar Fragen an den armen Taro", erklärte Aihara, "und Taro ist nicht in der Position, solche Fragen beantworten zu dürfen. Nachdem ich allerdings nichts zu verbergen habe, werde ich ihnen persönlich zur Verfügung stehen. Also, worum geht es ihnen?"

       Die Offenheit des Oyabuns machte den Inspektor stutzig. "Karai Taro-san wird ihnen doch sicherlich erzählt haben, wonach ich ihn fragte." sagte er.

       Ein leicht verärgerter Zug zeigte sich in Aiharas Mundwinkel. "Sie haben vielleicht nicht lange genug mit ihm geredet, um es zu merken", gab er zurück, "aber Taro ist nicht unbedingt jemand, der sich durch besondere Aufmerksamkeit oder ein ausgesprochenes Langzeitgedächtnis auszeichnet. Und wenn ich Fragen stelle, dann nicht deshalb, weil ich die Antwort schon weiß. Im Gegensatz zu dem, was sie vielleicht denken, spiele ich hier keine Spielchen!"

       "Ich bitte um Verzeihung", entschuldigte sich Toritaka sofort und verneigte sich nun doch etwas tiefer. "Ich ermittle in einem Todesfall. Der Verstorbene war Angestellter der Yoshioka-Bank. Nachdem die Yoshioka-Bank in der Vergangenheit bereits einmal Geschäfte mit Personen aus ihren Kreisen getätigt hat..."

       "Diese Geschäfte sind Vergangenheit, wie sie es selbst sagen", unterbach ihn der Oyabun. "Ich habe seit Jahren nichts mehr mit den Leuten von Yoshioka zu tun, und ich empfehle jedem meiner Freunde und Geschäftskollegen, sich von ihnen fernzuhalten. Bei Yoshioka nimmt man es mit dem Steuerrecht nicht sonderlich ernst, und das ist keine Basis für eine gesunde Geschäftsbeziehung."

       Der Inspektor nickte eilig. "Das wollte ich auch nicht unterstellen", sagte er. "Ich bin sicher, es gibt keine gesetzeswidrigen finanziellen Transaktionen mehr zwischen ihren Leuten und den Banken." Zumindest keine, die ich werde aufdecken können, fügte er in Gedanken hinzu. "Aber darum ging es mir auch nicht. Ich suche nach Personen, die legale Geschäftskontakte zu unserem Toten hatte, weil ich hoffe, näheres über die Umstände seines Todes zu erfahren."

       Aihara sah ihn nachdenklich an. "Meine Quellen sagen mir, sie wären bei der öffentlichen Sicherheit beschäftigt", meinte er. "Warum ermittelt das sechste Dezernat in einem Mordfall?"

       "Ich habe nie gesagt, dass es Mord ist", gab Toritaka zu bedenken. "Vorerst ist es ein Todesfall, in dem nicht alle Umstände geklärt sind." Besser, die Frage nicht zu beantworten - eventuell verschlechterte sich die Laune des Oyabuns, wenn er erfuhr, dass der Fall möglicherweise an das Dezernat für Organisierte Kriminalität weitergegeben wurde.

       "Wer ist denn dieser Tote? Einer aus der Yoshioka-Bank, sagten sie?"

       Der Inspektor nickte. "Ein Masakiri Satoshi."

       Die Augen des Oyabuns weiteten sich einen Moment überrascht, dann zogen sie sich verärgert zusammen. "Masakiri Satoshi? Also, Toritaka, ich bin empört, dass sie mir und meinen Partnern unterstellen, mit solchen Leuten Geschäfte zu machen!"

       "Solche Leute?" Toritaka wurde hellhörig. "Nach