Blauer Himmelsstern. Bianca Wörter

Читать онлайн.
Название Blauer Himmelsstern
Автор произведения Bianca Wörter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656685



Скачать книгу

Dieses wunderbare Blau ließ mich augenblicklich meine wirren Gedanken vergessen. Er hatte Macht über mich, ich konnte es nicht leugnen, aber diese Macht war eine andere als die, die er angedeutet hatte. Vielleicht konnte er mir helfen, herauszufinden, was für eine Macht mir das Amulett ermöglichen sollte.

      „Hast du auch die Macht gespürt, als du das Amulett getragen hattest?", wollte ich von ihm wissen.

      „Nein, bei mir hatte es nur die Träume geformt. Die volle Macht daraus zu schöpfen, ist nur einem Engel möglich."

      Und ich las weiter in seinen Gedanken, dass ihm keine Erlaubnis zugesprochen war, das Amulett zu tragen. Im Gegenteil, es wäre sehr gefährlich für ihn geworden bis hin zu einer tiefen Ohnmacht und Gefangener seines eigenen Traumes zu werden. Sein Vater hatte ihn gewarnt, aber er war genauso neugierig wie ich. Das Verbot seines Vaters zu ignorieren hatte schließlich dazu geführt, dass er mich gefunden und nach Randor gebracht hatte. Ich vermutete, dass er mit der Macht des Amulettes die Macht des Wissens besaß und sich nicht mehr an mich erinnern konnte, weil er es nicht mehr trug. Ich blickte ihn mit einem wissenden Ausdruck in meinen Augen an und sah das Verständnis in Don‘kars Augen aufglimmen. Er nahm mich in die Arme und hielt mich eine halbe Ewigkeit sanft an sich gedrückt. Es war so schön, dass ich mir wünschte, er würde mich nie wieder loslassen und ich könnte die Zeit anhalten.

      Ich fürchtete, dass ich genau das getan hatte, denn etwas verwirrte mich in diesem Moment, beunruhigte mich.

      Etwas war anders.

      Die Flammen im Kamin, die lustig vor sich hin loderten, nachdem Don‘kar die Glut geschürt und neue Holzscheite nachgelegt hatte, flackerten nicht mehr. Das Feuer stand still, die Schatten an der Wand in meinem Blickfeld blieben an der gleichen Stelle stehen. Was mich noch mehr entsetzte, war die Tatsache, dass Don‘kars Herz aufgehört hatte zu schlagen. Ich löste mich aus seinen steifen Armen und er stand weiter in der liebkosenden Haltung da. Entsetzt schlug ich mir die Hände vor‘s Gesicht, unterdrückte einen Aufschrei und zwang mich, schnell nachzudenken. Ich hatte mir gewünscht, dass der Augenblick nie aufhören würde und genauso war es geschehen. Mit aller Macht konzentrierte ich mich auf den Wunsch, dass die Zeit in ihrem Verlauf weitergehen sollte. Die Flammen und die Schatten an der Wand begannen einen Augenblick darauf wieder ihr Spiel zu vollführen, den ewigen Tanz bis zum Erlöschen und auch Don‘kar regte sich wieder.

      „Ich war ein wenig müde, muss eingeschlafen sein, aber ich hatte dich doch im Arm gehalten...", stammelte Don‘kar verwirrt, als er mich ein paar Schritte vor sich stehen sah.

      Ich blickte ihn stumm an, konnte ihm aber die Wahrheit nicht sagen. Er hätte es genauso wenig wie ich verstanden. Das belastete mich. Ich konnte die Macht nicht einschätzen, aber wusste nun, dass sie existierte und größer war, als mein Verstand es erfassen konnte. Ich wusste nicht, ob Don‘kar gestorben wäre, wenn die Zeit noch länger erstarrt geblieben wäre. Ich wusste nicht, ob die Zeit nur in der Hütte oder ob in diesen Momenten auf ganz Randor die Zeit still gestanden hatte oder im ganzen Sonnensystem oder sogar im ganzen Universum! Ein Gedanke begann mich besonders zu quälen: War Randor eine Welt im blauen Himmelsstern oder war dieser ein Tor zu einem anderen Universum, einem anderen Sonnensystem? War ich gefangen in einer kleinen, blauen Glasmurmel oder hatte es mich in ein weit entferntes Sonnensystem geschleudert? So viele Fragen und keine einzige Antwort! Vielleicht würde ich nie eine Antwort darauf erhalten.

      Don‘kar konnte mein Verhalten immer weniger verstehen und ich nahm es ihm nicht übel, da ich selbst nicht wusste, was warum geschah. So verschloss ich meine Gedanken in meinem Innersten und entschied, die Dinge von nun an auf mich zukommen zu lassen. Das ständige tiefe, verzweifelnde Grübeln machte mich krank, ich musste einfach dem Kommenden mit Mut entgegensehen.

      „Wie geht es Ralin?", fragte ich, um ein wenig abzulenken und die angespannte Situation zu entschärfen.

      „Nach unserem Ritt ist er ein wenig erschöpft gewesen aber jetzt steht er seit einer Weile voller Ungeduld im Stall und brennt darauf, wieder weite Strecken zu ziehen. Wir sind sonst beinahe jeden Tag in der Eiswüste geritten."

      „Bis ich da war."

      „Ja, bis du da warst."

      Ich begann, mich ein wenig schuldig zu fühlen, weil beide wegen mir ihren gewohnten Tagesablauf geändert hatten.

      Aufmunternd bestätigte ich: "Jetzt braucht ihr keine Rücksicht mehr auf mich zu nehmen, ich bin in Ordnung."

      „Du kannst mit auf die Jagd kommen, wenn du möchtest", bot mir Don‘kar an.

      Oh ja, dachte ich, aber ich konnte doch zu Fuß keine weiten Strecken im hohen Schnee zurücklegen. Das wollte ich ihm lautstark sagen, hielt allerdings inne, als ich einen seiner Gedanken auffing und dieser mich so sehr beunruhigte, dass ich stutzte. Was hatte er da gedacht? Hab ich das wirklich richtig verstanden?

      ‚Wie sie wohl aussehen wird?‘

      Wie ich wohl aussehen werde? Wieder ein Geheimnis, das er mir verschwiegen hatte! Ich wollte die Dinge auf mich zukommen lassen, doch nun überholten mich die Ereignisse wieder einmal mit Lichtgeschwindigkeit! Wie ich wohl aussehen werde? Ein Mensch, ein Engel, ein Wächter. Ich spürte, dass er etwas anderes damit meinte, denn die Macht des Amulettes begann sich in mir zu regen. Und ein Gefühl, das alles schon einmal erlebt zu haben. Doch wo? Und wann? Und warum? Wie ich wohl aussehen werde?

      „Wollen wir gehen?", fragte ich und der Bann, in den meine labyrinthartigen Gedankengänge mich gezogen hatten, war gebrochen.

      Don‘kars Gesicht erstrahlte. Als er die Tür öffnete, erfasste mich ein eiskalter Luftstrom, wirbelte meine Haare ins Gesicht und zerrte an meinem Körper. Er legte sich kurz darauf und doch hatte ich in diesem Luftstrom etwas gefühlt, das ich mit den Worten magisch, geheimnisvoll und unergründlich beschreiben konnte. Dieses Gefühl hinderte mich daran, das Vulkanfell mitzunehmen, das ich dringend gegen die vorherrschende Kälte benötigte.

      Wie ich wohl aussehen werde? Ich hatte Macht, ich würde etwas sein, was nie ein Mensch zuvor gewesen war, ich würde ein Wesen mit unendlicher Macht sein, ein Wesen mit unsterblicher Magie. In diesem Moment wurde mir bewusst, warum ich immer dachte, dass ich alles schon einmal erlebt hatte. Es war ein Déjà-vu in dem Sinne, dass mein Traum auf einmal für mich Realität wurde – jetzt augenblicklich! Diese Erinnerung verdeutlichte mir, dass ich die Macht nicht erst besaß, seit ich das Amulett trug, ich besaß sie von Anfang an, das Amulett hatte diese Erinnerung wieder geweckt, ließ mich die Macht fühlen, die tief in mir geschlafen hatte. In diesem Moment der Erkenntnis fühlte ich mich unbeschreiblich mächtig. Das Gefühl der Macht in mir verstärkte sich so sehr, dass ich dachte, ich würde vor Glück und Freude beinahe sterben. Endlich war der leere Raum in mir, dem ein besonderes Gefühl gefehlt hatte, wieder angefüllt. Ich war vollständig. Ich lebte!

      Don‘kar sank vor mir auf die Knie und verwirrt blickte ich ihn an.

      „Steh bitte auf!", bat ich ihn und bemerkte, was ihn so sehr verwirrte, dass er vor mir auf die Knie sank.

      Ich starrte an mir herunter und erkannte, dass mein ganzer Körper in einem blauen, einem sehr bekannten blauen Licht leuchtete, geradezu darin eingehüllt war. Ich berührte Don‘kar sanft an den Schultern und wollte ihn auf die Beine ziehen, denn ich wusste, warum er vor mir kniete. Er hatte zum ersten Mal den Beweis gesehen, dass ich die Macht tatsächlich besaß. Es war ein Zeugnis meiner Macht, aber das ganze Ausmaß eröffnete sich mir noch nicht. Ich war mir sicher, dass ich es bald herausfinden würde.

      Don‘kar stand zögernd auf: "Ich habe es gewusst, die ganze Zeit. Du bist der Engel, die Wächterin."

      Wir liefen gemeinsam in den Stall, in dem Ralin stand. Der Stall grenzte an die Hütte und war beinahe so groß wie diese. Um in den Stall zu gelangen, mussten wir um die Hütte herum gehen und schon hörte ich das aufgeregte Schnauben und Wiehern des Pferdes, das uns gewittert hatte. Während des kurzen Weges unter den dunklen Tannen um die Hütte herum berührte ich Don‘kar sanft am Arm.

      „Knie nie wieder vor mir nieder. Du hast mich aus der Eiswüste gerettet, dir verdanke ich mein Leben", betonte ich ernst.

      „Warum hast du das Fell