Kairos. Christian Friedrich Schultze

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Название Kairos
Автор произведения Christian Friedrich Schultze
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750223929



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hatten unser inneres Planetensystem, besonders aber den unweit von unserer Erde kreisenden Nachbarplaneten, in Bezug auf ihre Kolonisationsabsichten näher inspiziert. Offenbar hatten sie bereits mehrere Solarsysteme ihres immerhin einige dutzend Lichtjahre umfassenden Aktionsradius´ auf bewohnbare Planeten untersucht.

      Die habitable Zone der für humanoides Leben in Frage kommenden Sonnen ist ja von unseren Astrobiologen einigermaßen klar definiert worden. Solch ein Wandelstern muss nach deren Erkenntnissen eine mittlere Temperatur von zwei bis drei Grad Celsius, ideal zwischen minus fünfzig und plus fünfzig Grad, sowie eine Anziehungskraft zwischen dem 0,7 bis 1,4-fachen der Erdanziehung besitzen. Nur dann kann sich eine wie immer geartete Atmosphäre und Wasser im flüssigen Zustand halten und die Gravitation wird andererseits nicht zu stark. Vor allem aber muss er vor der harten, kosmischen Strahlung geschützt sein. Dies sind die uns bekannten unabdingbaren Voraussetzungen für alles höhere biologische Dasein, welche auch für sie gegolten haben müssten.

      Mars war ihnen damals als ein grüner Reflektierer aufgefallen und schien ihnen brauchbare Bedingungen für eine Kolonisierung zu bieten. Im Gegensatz zum dritten Planeten besaß dieser zwei kleinere Monde, von denen einer ziemlich nahe um seinen Wandelstern rotierte. Ihrem kartoffelähnlichen Aussehen nach handelte es sich wohl, anders als bei der Erde, um eingefangene Asteroiden. Ihre Umlaufbahnen verliefen einigermaßen stabil, so dass sie von den beiden Trabanten die nächsten hunderttausend Jahre nichts befürchten mussten.

      Primaten hatten sie auf ihm nicht vorgefunden, wohl aber eine mannigfaltige Tier- und Pflanzenwelt, die sie noch im Naturzustand, das heißt, völlig frei von technischen und technologischen Veränderungen einer intelligenten Spezies, vorfanden. Lediglich eine flugfähige Säugetierart besaß ein leistungsfähigeres Gehirn mit besonderen, außergewöhnlichen sinnlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten, wie Magnetsensitivismus und Ultraschallortung. Diese merkwürdigen Säuger hatten soziale Formationen gebildet, die von ihnen als Anfänge kulturellen und technischen Lebens gedeutet wurden.

      Nachdem die Anunnaki ihr Immunsystem an die für sie fremden Mikroben des vierten Planeten angepasst hatten, war es ihnen nach einigen Jahrzehnten kriegerischer Auseinandersetzungen gelungen, jene Urbewohner des Mars zu unterwerfen und schrittweise für ihre Zwecke dienstbar zu machen. In einem Zeitraum von etwa hundert Generationen entwickelten sie sich zu einer Population von rund einer Milliarde ihrer Art, während die Marsflederer von ihnen aus rein pragmatischen Gründen in einem nach unseren Maßstäben gewaltigen Genozid auf rund dreißig Millionen Exemplare dezimiert wurden. Auf diese Weise behielten die Anunnaki die Oberhand in ihrer neuen Kolonie. Die Domestizierung dieser merkwürdigen Marsflederer wurde von ihnen dabei weniger auf deren Ausbeutung und Unterdrückung ausgerichtet, als auf Kooperation im Rahmen der besonderen Leistungen, die diese Flugsäuger entsprechend ihren speziellen Eigenschaften anbieten konnten. Allerdings vermieden es die Besucher auf dem Mars, die Intelligenz dieser Mitbewohner zu befruchten oder Mischwesen zu erzeugen, wie sie es später auf der Erde versuchten.

      In den Ozeanen des Mars lebte, wie auf unserer heutigen Erde, ungleich mehr Getier als auf dem Festland. Die aus den Meeren und anderen Gewässern gewonnenen Würmer und Fische waren Hauptlieferanten für die von ihnen benötigten Eiweiße und Kohlehydrate. Säuger aßen sie dagegen nicht.

      Die interstellaren Wanderer hatten nach ihrer Ankunft im Sonnensystem auch Erde und Venus als mögliche Habitats untersucht. Während Venus wegen ihrer zu heißen und zu dichten Atmosphäre als Lebensstern völlig ausfiel, stellten sie in jener grauen Vorzeit in der Atmosphäre der Erde außer den überwiegenden Gasen Stickstoff, Sauerstoff und Kohlendioxid neben Methan noch weitere für sie schädliche Bestandteile der Luft fest. Wegen der starken Vulkanaktivitäten an fast allen Orten der Oberfläche unseres Planeten und besonders auch in den Ozeanen an den Schnittstellen der Kontinentalplatten, wurden auch immer wieder größere Mengen an Schwefelwasserstoffen und Kohlenmonoxiden freigesetzt, die für ihre Stoffwechselsysteme ebenso lebensbedrohlich waren, wie sie es für uns sind.

      Dennoch entwickelte sich in den Meeren auch dieses dritten Planeten bereits in jener Zeit regelmäßig höheres biologisches Leben, das allerdings oft heftigen unterseeischen Kataklysmen zum Opfer fiel. Außerdem entdeckten die Anunnaki zwei weitere schwerwiegende, für sie negative Besonderheiten auf der Gaia, wie sie den dritten Wandelstern dieses Solsystems nannten: Die DNA-Spirale des dortigen Lebens drehte überwiegend entgegengesetzt zu der ihrigen. Ihre weiteren Bioanalysen sprachen ebenfalls dafür, dass sie vorerst nicht in der Lage waren, auf diesem Stern ein neues Leben für sich aufzubauen. Die Durchschnittstemperatur des Mars war zudem bereits einige Grade niedriger, und damit angenehmer für sie, als auf Gaia. Der kleinere, vierte Planet der Sonne bot den Anunnaki zu jener Zeit also insgesamt verträglichere Biokomplexe und günstigere Aussichten zur Reproduktion ihrer eigenen Art.

      Kehren wir aber zurück zu Mars, dem damals ´Grünen Reflektierer´.

      Das Mikrobenproblem auf unserem äußeren Nachbarplaneten war von ihnen also in relativ kurzer Zeit gelöst worden. In den Anfangsjahren dieser Besiedelung waren sie, wie bereits erwähnt, oftmals gezwungen, kleinere und größere Aufstände der Marsflederer bekämpfen. Diese Aborigines waren anfangs ziemlich erfolgreich darin, überraschende Guerillaattacken auf die Neuansiedlungen der Weltraumwanderer durchzuführen. Sie sahen diese Okkupanten gefühlsmäßig und objektiv richtig als Feinde ihrer Population und wollten sich ihnen nicht freiwillig unterwerfen. In Schwärmen von abertausenden geräuschlosen Nachtseglern fielen sie immer wieder in die Behausungen und Depots der Anunnaki ein und töteten viele von ihnen, indem sie mit ihren scharfen Gebissen einfach ihre Kehlen oder Hauptschlagadern durchtrennten und ihnen das Blut aussaugten. Oftmals raubten sie auch ihre Kinder, die sie gern als Nahrung horteten und in kannibalischer Art und Weise verzehrten.

      Die Vorstellungswelten der Flederer waren aufgrund ihres niedrigen Entwicklungsstandes weitgehend abergläubischer Natur. Aber wegen ihrer speziellen Fähigkeiten, im Dunkeln mit Ultraschallortung und unter Nutzung von Magnetströmungen des Planeten fliegen und operieren zu können, waren sie in den ersten Jahrzehnten ein äußerst schwieriger Gegner für die Neusiedler. Erst als die Anunnaki durch mehrfache massive Feldzüge und unter rigorosem Einsatz bakterieller Massenvernichtungsmittel diesen Flugsäugern, die zudem noch überwiegend unterirdisch in weitverzweigten Höhlensystemen des Festlandes hausten, ihre absolute Überlegenheit unter Beweis gestellt hatten, blieb es in den folgenden Jahrhunderten einigermaßen friedlich auf dem ´Grünen Reflektierer´. Fortan dienten die fliegenden Säuger den Anunnaki in vielfältiger Weise.

      Doch dann kam es etwa zwanzigtausend Jahre vor unserer Zeitrechnung unter den Marskolonisatoren zum Streit. Der Hauptgrund war die als notwendig erachtete zahlenmäßige Begrenzung der eigenen Population. Die Grenzen des Wachstums auf dem kleinen Planeten waren erreicht worden. Das natürliche biologische Gleichgewicht war in Gefahr, aus den Fugen zu geraten. Entweder mussten sie ihre Vermehrung begrenzen, oder Teile ihrer Population mussten auf einen anderen Stern auswandern.

      Auf den sich nördlich und südlich gegenüberliegenden Seiten des zentralen Ozeans bildeten sich zwei politische Lager, die zunehmend begannen, sich wegen ihrer unterschiedlichen Auffassungen und Ideologien und wegen ihrer Überlebensressourcen zu bekriegen. Anstatt weiter interstellare Raumfahrt, galaktische Energiegewinnung, gemeinsame Planetenbesiedelung im Sonnensystem oder die Erkundung intelligenten Lebens in ferneren Fixsternsystemen zu betreiben, verbrauchten die streitenden Parteien fast ihre gesamten geistigen und moralischen Kräfte in dem Bestreben, der anderen Seite die jeweilige eigene Vorstellung von der Nutzung der Energieressourcen und der Beschränkung des Wachstums mit Gewalt aufzwingen zu können. Der Rüstungsaufwand, der für beide Seiten erforderlich wurde, um ein funktionierendes Gleichgewicht der Abschreckung aufrecht zu halten, stieg daraufhin ins Unermessliche.

      Als sich aus dem extrasolaren Raum schließlich wieder einmal einer der großen Asteroiden näherte, welche zu dieser Zeit noch zahlreicher durch das Weltall vagabundierten als heute, und sie dann sogar erkennen mussten, dass dieser genau auf ihren ´Grünen Reflektierer´ zuraste und mit größter Wahrscheinlichkeit auf der nördlichen Hälfte einschlagen würde, reichten ihre zersplitterten materiellen und energetischen Kapazitäten nicht annähernd aus, diese Kollision zu verhindern. Ebenso wenig waren sie in der knappen