Der einen Glück, der anderen Leid. Patricia Clara Meile

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Название Der einen Glück, der anderen Leid
Автор произведения Patricia Clara Meile
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742789761



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eher misstrauischer Mensch geworden. Ich verhielt mich jedoch freundlich, korrekt und zuvorkommend. Zum Feierabend ihres vierten Tages, musste ich nochmal rasch ins Büro zurück, weil ich mir noch etwas aufschreiben wollte, damit ich es am nächsten Tag nicht vergaß. Milena war nun an ihrem Mobiltelefon. Als ich hereinkam, sagte sie perplex zu der Person am anderen Ende: „Ich kann jetzt nicht reden.“ Natürlich ging ich sofort davon aus, dass sie über mich gelästert hatte. Ich war gekränkt. Bloß kurze Zeit später, begann sich eine andere junge Südosteuropäerin aus dem Kundenservice im gleichen Stockwerk an ihren Rockzipfel zu klammern. Sie gingen nach der Arbeit zusammen weg, machten gemeinsam Pausen und unterhielten sich in ihrer Muttersprache. Das versetzte mir einen erneuten schonungslosen Stich. Ich war eifersüchtig, sehr sogar. Ich hatte begonnen, Milena zu mögen, sie in mein Herz zu schließen. Doch typischerweise rotteten sich auch die Andersstämmigen der zweiten Generation wieder zusammen, obschon sie sogar eingebürgert waren. Die beiden verband wohl einfach mehr – Alter und Herkunft. Als Einheimische wurde ich einmal mehr sozusagen zur Außenseiterin. Es kam mir aussichtslos vor. Merkwürdig, wenn man sich plötzlich wünscht etwas zu haben oder zu sein, was man einst mit verächtlicher Missbilligung betrachtet hat. Warum bildet sich überhaupt diese Parallelgesellschaft der Ausländer und eingebürgerten Ausländer? Sie werden weder in ihrem Ursprungsland, noch im Land der Einwanderung als einheimisch akzeptiert und integriert.

      Doch vermutlich hatte ich Milena unterschätzt. Sie vertraute mir mehr und mehr an, erzählte mir viel aus ihrem Leben, von ihrer Religion, ihrer Herkunft und ihrer Kultur. Mein Interesse stieg, mein Horizont erweiterte sich und meine Toleranz wuchs. Ich genoss ihre Gesellschaft. Wir verbrachten Mittagspausen zusammen, gingen spazieren, einkaufen oder in die Kantine und auch Kaffeepausen machten wir nun öfters. Einmal schlug sie sogar vor, dass wir an einem Sonntag etwas gemeinsam unternahmen. Das freute mich sehr. Ich hatte in einem Gespräch unter Frauen erwähnt, dass mir kräftige Männer mit dem Körperbau von Kampfsportlern gefielen. Also bot sie spontan an, mich zu einem typischen Schweizer Kampfsportanlass zu begleiten. Ich erinnere mich, dass meine beiden angeheirateten Cousins diese volkstümliche Freizeitbeschäftigung in ihrer Kindheit ebenfalls ausgeübt hatten. Ich organisierte die Tickets und holte sie dann bei sich zu Hause ab. Sie schien mich doch auch ziemlich gern zu haben. Gelegentlich erwähnte sie voller Begeisterung in den Augen, mir eines Tages ihre beste Freundin Sara vorstellen und ihre zweite Heimat, die Region ihrer ursprünglichen Herkunft, zeigen zu wollen. In Trachten herausgeputzt - Milena in Grün und Pink, ich in Beige, Zitronengelb und Rottönen - tauchten wir an der urschweizerischen Veranstaltung auf. Mehr noch wie die Männer, genossen wir jedoch die kulinarischen Höhepunkte des Festes und das Schießen lustiger Selfies. Ein andermal brachte Milena mir und dem Teamleiter einen Oreo-Cupcake aus einer Bäckerei auf ihrem Arbeitsweg mit. Am liebsten mag ich an den kleinen Kuchen die samtig puderzuckrige Butterkrem. Milena geht es genauso. Wir haben ohnehin beide eine absolute Schwäche für Desserts. Ein weiteres Mal zauberte sie uns eine Süßspeise mit hellem und weißem Toblerone-Mousse, luftig leichtem Schokoladenbiskuit und Schokostreuseln, was sie alles liebevoll in ein verschließbares Plastikgefäß schichtete. Punkto Kochkünste steht sie ihrer Mutter in nichts nach.

      Verabredet sich Milena dann allerdings ab und zu wieder mit ihrer Landsfrau vom gleichen Stockwerk auf einen gemeinsamen Mittag oder einen Drink nach der Arbeit, kocht meine Eifersucht unwillkürlich hoch und vergiftet sogleich mein gesamtes Inneres. Ich fühle mich schlagartig niedergeschlagen, traurig, ausgeschlossen und kann nicht länger unbeschwert lachen. Zugleich weiß ich, dass meine Gefühle total daneben und unberechtigt sind. Ich darf ihr nichts vorschreiben, selbst wenn ich selbst sie stets frage, ob sie mitkommen mag, wenn ich mich mit noch einer weiteren Arbeitskollegin abmache. Ich schäme mich zutiefst für meine kindische Eifersucht. Da Milena sensibel ist, merkt sie normalerweise, wenn etwas in der Luft liegt. Doch darüber reden mag ich mit ihr nicht. Gewisse Dinge behält man besser für sich. Ich glaube, es würde unser gutes Verhältnis nur gefährden, wenn sie Bescheid wüsste.

      Schlussendlich mochte ich Milena mehr als unser Chef, der sie, gegen meinen Willen, auf Biegen und Brechen hatte einstellen wollen. Sie war für mich wie eine kleine Schwester oder eine gute Freundin. Inzwischen nervte ihn unser fröhlich vertrautes weibliches Geschnatter im Nachbarbüro. Er begann, sie ihrer Leistungen wegen zu rügen. Angeblich hatte sie sich am Vorstellungsgespräch als sehr fleißig und ehrgeizig verkauft gehabt. Die Realität verlieh dann einen etwas anderen Eindruck. Enttäuschung und Ärger waren ihm ins Gesicht geschrieben, während ich glücklich über die unerwartet angenehme Stimmung unter uns beiden war. In Wahrheit hatte sie große private Sorgen, von denen wir damals nichts wussten. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren und zu fokussieren. Sie war froh über jede Ablenkung.

      Eines Tages, in einer Teamsitzung, eskalierte die Situation jedoch in unschöner Weise. Unser Vorgesetzter war ganz offensichtlich überfordert. Mehrmals hatte er Milena bereits auf ihr lausiges Arbeitsverhalten angesprochen gehabt. Sie schien das alles allerdings gelassen genommen zu haben und änderte dementsprechend nichts. Zunehmend fühlte er sich von ihr veräppelt. So kritisierte er eine ihrer mehr schlecht als recht erledigten Aufgaben in meinem Beisein während der Sitzung über eine Dauer von über vierzig Minuten. Einen großen Teil der Schuld schob er dabei auch mir zu. Ich hätte sie mehr unterstützen und mich nicht auf private Gespräche einlassen sollen. Es war unfair. Ich bin ein hilfsbereiter Mensch und äußerst geduldig mit anderen. Natürlich nehme ich es etwas lockerer wie früher, als ich mir oftmals noch kaum Pausen zugestanden hatte, was für meine Gesundheit jetzt wahrscheinlich gar nicht so schlecht ist, aber ich bringe nach wie vor gute Leistungen, während sie in gewissen Phasen praktisch nichts macht und lieber mit Bekannten textet oder im Internet surft. Mir ist das egal. Das gute Klima in unserem Büro ist mir wichtiger und ich meine zu wissen, dass ich, wenn es mal Ernst gilt, mehr zu tun oder sogar Stress ist, auf sie zählen kann. Das reicht mir aus. Ich will sie nicht ständig überwachen. Ich lege Wert auf Selbstverantwortung und ich respektiere sie als erwachsenen, ebenbürtigen Menschen. Als solchen wird sie schließlich auch entlohnt. Im Endeffekt reagierten wir alle über, er mit Überspitzung, sie mit Trotz und ich mit Tränen. Es war ungewollt sehr persönlich und emotional geworden, was aber auch bedeutet, dass es uns nicht gleichgültig war. Dennoch verachte und schäme ich mich für meine extremen Gefühlsausbrüche hinreichend bis zu kleineren Nervenzusammenbrüchen, obschon derartige Schwankungen meine Kreativität fördern. Doch das Zeigen von Schwäche im professionellen Umfeld, empfinde ich als eine Art Gesichtsverlust. Man wird danach nie wieder gleich wahrgenommen und respektiert.

      Die ersten Tage nach dieser Besprechung redete Milena weder mit mir noch mit unserem Teamleiter. Sie wich uns wo immer möglich aus, saß da und starrte nur stur auf ihren Bildschirm. Es tat mir weh, obschon ich wusste, dass sich ihre Wut nicht gegen mich richtete. Ihre freundliche Fröhlichkeit fehlte mir. Bald allerdings gingen wir - ich insbesondere aus großem Bedürfnis nach Harmonie - wieder aufeinander zu und sie plapperte mit mir erneut aufgeweckt wie zuvor. „Siehst du, nach dem Regen scheint die Sonne und nach dem Weinen wird gelacht, so heißt es doch auch in einem bekannten Schweizer Volkslied“, meinte ich. Es scheint ihr allerdings schwer zu fallen, beim Erzählen während der Arbeit ein gesundes Maß zu finden. Der Chef bedachte uns mit verurteilenden Blicken. Doch da Milena die Sympathie seiner Vorgesetzten auf ihrer Seite hat, ließ sie sich davon nicht beirren. Diese nächst höhere Vorgesetzte ist zufälligerweise ebenfalls zur Hälfte Südosteuropäerin. Ich befand mich derweil in einer schwierigen Lage zwischen Stuhl und Bank. Mit Milena sitze ich tagtäglich im Büro, mit meinem Vorgesetzten will ich es mir aber ebenfalls nicht allzu sehr verscherzen. Er nämlich überlegte sich zeitweise gar, sich von ihr zu trennen und ihr die Kündigung auszusprechen, sollte sie sich nicht maßgeblich bessern, woran er leider hochgradig zweifelte. Mitunter hatte ich das Gefühl, dass er inzwischen geradezu verbissen nach Gründen suchte, sie zu zerpflücken und zu vergraulen. Es schien mir, als ertrage er es nicht, dass wir zwei Frauen uns so gut verstehen, gemeinsam lachen, gemeinsam leiden. Es war, als ob bei ihm eine starke unterschwellige Eifersucht mitschwang. Er wollte mir meine Freundin nehmen.

      3 Geheimnisse

      Milena hat mich trotz allem zu einem besseren Menschen gemacht. Auf einmal sah ich Ausländer wieder mit anderen Augen. Ich wurde offener, freundlicher und hilfsbereiter – interessiert