Alte Rechnung. Erich Szelersky

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Название Alte Rechnung
Автор произведения Erich Szelersky
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844247275



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daran, ihn zu opfern, als es ihm opportun erschien. Er war aus einem völlig anderen Holz geschnitzt. Dieses oberflächliche Geschwätz war ihm lästig. Er mochte Gegenstände mit besonderem Wert, aber mehr für sich und protzte nicht damit herum. Wenn er etwas verschenkte wusste der Empfänger, dass es ein Ausdruck besonderer Wertschätzung war. Sikorra legte Wert auf Bodenständigkeit. Er wirkte in Gesprächen nicht so geschmeidig wie Rensing. Während Herbert Rensing zum Mittagessen in stadtbekannte Edelrestaurants ging besuchte Helmut Sikorra eine Trattoria oder eine Taverne in der Vorstadt, in der er die mediterrane Lebensart einsog und sich mit seinen Gästen von dieser Atmosphäre einfangen ließ.

      Helmut Sikorra hatte etwas Naturburschenhaftes. Auf dem Wildspitzhof war er privat. Ich glaube, dort lebte er sein wahres Naturell.

      In dieser turbulenten Zeit der Fusionsvorbereitungen wurde mir eines klar. Nur der gemeinsame Erfolg hatte uns zusammengehalten. Er hatte wie Klebstoff gewirkt, und alle Spannungen waren übertüncht; so wie Farbe Roststellen überdeckt. Dieser Rost kam nun unversehens hervor und brachte zu Tage, wie marode unser Gebäude angeblicher Freundschaft im Grunde war.

      »Und wie war das mit Ihnen?«

      »Ich? Ich war so etwas wie die graue Eminenz in der Runde. Der einzige Ausländer in dieser deutschen Runde in einer deutschen Firma.«

      »Machen Sie es sich nicht etwas zu einfach. Sie gehörten zum inneren Führungszirkel. Da kommt man doch nicht nur mit Schönfärberei hin.«

      »Sicher nicht. Aber wie ich schon sagte, ein bisschen exotisch war ich als Schwede in diesem Gremium schon. Das hatte auch mit meinem Hauptbetätigungsfeld Nordamerika zu tun. Dort hielt ich mich oft wochenlang auf. Ich hatte in Boston auch schon vor der Fusion und meiner Übersiedlung nach Massachusetts ein Büro und nicht nur in Frankfurt. Die anderen arbeiteten in Heimmärkten aus einer Position der Stärke heraus oder in Wachstumsmärkten wie Fernost oder die sich nach dem Mauerfall entwickelnden osteuropäischen Gesellschaften mit ihrem riesigen Nachholbedarf. Ich dagegen arbeitete in einer Region, die von amerikanischen Unternehmen mit der ihnen eigenen Kultur dominiert wurde. Die GlobalTech kam aus Cupertino im Santa Clara Valley.«

      »Santa Clara Valley?«

      »Ja. Oder sagen wir mal allgemeiner im Silicon Valley. Das sagt Ihnen was?«

      »Ja. Dort konzentriert sich die Welt der Informationstechnologie, oder?«

      »Richtig. Also, die GlobalTech kam aus diesem Zentrum amerikanischen Schöpfergeistes und verfügte in der amerikanischen Gesellschaft über ein außergewöhnlich gutes Image. Während in anderen Regionen der Vereinigten Staaten und in anderen Industriezweigen sowohl Innovationsfähigkeit und industrielle Leistung schwächer wurden, boomte die IT-Industrie. Wie ein Herzschrittmacher wurden ständig mit zunehmender Geschwindigkeit IT-Produkte kreiert. Dabei orientierten sie sich damals mehr noch als heute vornehmlich an den Wünschen amerikanischer Nutzer und übertrugen diese auf den Rest der Welt. Sie kennen diese etwas überhebliche Haltung: Was in Amerika gut war konnte in den übrigen Teilen Welt nicht falsch sein. Dagegen standen wir aus Deutschland. Wir hatten andere Konzepte, die mehr die Lösung und weniger die technischen Details in den Vordergrund stellten. Ich bewegte mich also in einem Markt, in dem die MicroData ein Außenseiter war. Als Schwede verband ich die deutschen Leistungs- und Handlungsprinzipien mit den überseeischen Vorstellungen, sich in einer von Elektronik bestimmten Welt zu bewegen. Wahrscheinlich war es sinnvoll, mit mir einen Mittler zu haben, der zwar nicht amerikanisch aber eben auch nicht deutsch war, obwohl er für deutsche Produkte, deutsche Werthaltigkeit und deutsche Verlässlichkeit einstand.«

      »Das verstehe ich nicht.«

      »Nun, Herr Hauptkommissar, stellen Sie sich vor. Ein deutsches Luxusauto zu fahren ist für einen Amerikaner ein Statussymbol. Ein Haus ist besonders wertvoll, wenn es eine deutsche Einbauküche, möglichst von Miele, hat. Alle möglichen Gebrauchsartikel kommen aus Fernost. Sie überfluteten die Staaten, weil sie in den USA nicht mehr produziert wurden. Worauf kann man eigentlich stolz sein, wenn man Autos aus Deutschland oder Japan und Fernseher aus Korea hat; wenn die Raumfahrt nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal amerikanischer Ingenieursleistung dient, und dies in einem Land wie Amerika, das seinen Patriotismus in einem Wettbewerb von Fahnen an jedem Einkaufscenter präsentiert und in dem keine Rede enden darf, ohne um Gottes Segen für das Land gebeten zu haben.

      Die Informationstechnik war damals in den achtziger und neunziger Jahren einer der wenigen Wirtschaftszweige, der als Ikone amerikanischer Leistungsfähigkeit angesehen werden konnte. Amerikanische Hard- und Softwarehersteller gingen mit missionarischem Eifer in die Welt und vermarkteten ihre Produkte. Gleichzeitig stärkten sie ihren riesigen Binnenmarkt, in dem sie mit riesigem Marketingaufwand postulierten, dass es nur ein amerikanisches IT-Produkt sein konnte, das die immer komplexeren Aufgabenstellungen lösen konnte. Und in dieser Welt bewegte ich mich. Hier suchten wir als nichtamerikanischer Hersteller unseren Erfolg. Das war ein völlig anderes Geschäft als in den übrigen Teilen der Welt und ganz besonders als in Europa. In den Staaten war ich als Schwede ein unbefangener Repräsentant deutscher Leistungskultur. Die Amerikaner hatten auch eine Vision von Kultur, doch für uns bedeutete dies mehr eine moralische Orientierung der Mitarbeiter, für die Amerikaner eher eine funktionale.«

      »Wie soll ich das verstehen, Herr Jonsson?«

      »Das ist ganz einfach. Wenn man Verwendbarkeit und Persönlichkeit eines Mitarbeiters vergleicht, muss man sich entscheiden. Wir entschieden uns für die Persönlichkeit.«

      »Und das soll ich Ihnen glauben, nachdem Sie Ihre Kollegen Hyänen genannt haben?«

      »Ich weiß, es ist schwer zu verstehen, aber unser Führungsverständnis basierte auf Kommunikation, die jedem Mitarbeiter Bedeutung verlieh, und unser Handlungsverständnis bezog unsere Kunden darin mit ein. Wir wollten nie Egomane mit Motivationsobsession sein. Wissen Sie, kein intelligenter Mensch lässt sich auf Dauer für etwas begeistern, was er in seinem Innersten nicht einsieht. Das war eine anspruchsvolle Vision von Kultur, der wir über Jahre Realität verliehen haben.

      Umso schlimmer war es für mich, als mir bewusst wurde, wie wir wirklich waren. Während der ganzen Zeit spielten einige von uns nur ein Spiel, und damit war es plötzlich aus, und der wahre Kern trat hervor. Da habe ich mich geschämt.«

      »Haben Sie sich über sich selbst geschämt?«

      »Auch, natürlich. Ich bin durchaus selbstkritisch. Aber am meisten war ich über einige meiner Kollegen entsetzt. Ich habe daraus meine Konsequenzen gezogen.«

      »Und haben Ihr Bestreben um den Vorstandssessel eingestellt.«

      »So können Sie es sagen, ja.«

      »Sie zogen sich zurück, und Ihr Fluchtpunkt war Amerika.«

      »Ja. Aber das fiel mir nicht schwer. Ich fühlte mich sehr wohl in den Staaten, mochte die Menschen, ihren Fleiß und ihren unerschütterlichen Optimismus. Das war wohltuend anders als hier.«

      »Es war somit die richtige Entscheidung.«

      »Ja. Unbedingt. Ich bemühte mich sehr darum, die beiden Unternehmenskulturen zu verschmelzen und mein Gedankengut in die neue Gesellschaft in den USA, in der drei Viertel der Beschäftigten aus der alten GlobalTech kamen, zu implantieren. Manchmal warfen mir meine schwedischen Landsleute missionarischen Eifer vor und dass ich deutscher sei als die Deutschen, was natürlich Quatsch war, aber wir in Schweden sind halt neutral. Neutral bis in die Knochen und sogar dann noch, wenn wir es besser wissen sollten. Sie sehen, Herr Gerstel, jeder hat sein Päckchen zu tragen.«

      »Sehe ich das richtig, dass Sie froh über Ihre Entscheidung waren?«

      »Ja. Das war ich. Als all diese Egoismen, die Empfindlichkeiten und ein mir unerträglicher Narzissmus aus der Verborgenheit oberflächlicher Kooperationsbereitschaft ungeschönt an das Tageslicht traten, wurde mir klar, dass alles, was wir verkörpert hatten, nur Schein gewesen war.

      Das war eigentlich die größte Enttäuschung in meinem Leben. Wir waren alle parkettsicher und überall vorzeigbar, aber im Grunde unseres Herzens tief verfeindet und in Grabenkämpfen, Spartenegoismen und Ressortrivalitäten verstrickt.

      Sicher.