Alte Rechnung. Erich Szelersky

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Название Alte Rechnung
Автор произведения Erich Szelersky
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844247275



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denen wir uns sinnvoll ergänzten. Aber es gab natürlich auch Bereiche, in denen wir redundant aufgestellt waren. Und da geht es dann ans Eingemachte. Ich will das mal an einem Beispiel klar machen. Wenn wir zum Beispiel entschieden, das Produkt X nicht mehr zu verkaufen, weil das Produkt Y besser war, dann konnte dies die Schließung des Werkes X bedeuten mit allem, was daran hing: Arbeitsplatzverlust, Versetzung und so weiter. Dasselbe galt natürlich auch für Bereiche, die ihre Leistung nicht kostengünstig genug erbrachten. Wenn man solche Verhandlungen führt, hat man diese Dinge ständig im Kopf. Du weißt genau, dass deine Leute auf der Straße stehen, wenn du dich mit deinen Produkten und Dienstleistungen nicht durchsetzt. Mit anderen Worten. Jeder kämpfte für seine Leute, für seine Produkte, für seine Company und, last but not least, selbstverständlich auch für sich, und darum sogar noch am härtesten. Es ging also auch um uns persönlich. Keiner sprach das offen aus, aber jeder wusste es. Das war bei den GlobalTech-Leuten natürlich genauso.

      Keiner wusste wie die Angelegenheit ausgehen würde. Es war alles in der Schwebe. Unsere Gesprächspartner bei der GlobalTech waren unsere ersten Konkurrenten. Sie hatten exakt die gleichen Positionen wie wir und konnten entweder unsere Chefs oder unsere Mitarbeiter werden. Sie würden um ihre Ziele genauso kämpfen wie wir um unsere, aber letztendlich waren es dieselben. Das ist das Verrückte an diesen Dingen. Über die fachlichen Fragen lässt sich in den meisten Fällen ein Konsens finden. Erst durch die Personifizierung dieser Sachfragen nimmt die Diskussion an Härte zu, obwohl kein Wort über Personen verloren wird. Die Sachfragen werden vorgeschoben, um damit die Weichenstellungen für Personalentscheidungen zu schaffen.

      Ich traf mich mit meinen Gesprächspartnern von der GlobalTech zweimal in den Staaten. Einmal waren wir in meinem Büro in Boston und einmal besuchte ich sie in Cupertino, ihrem Hauptsitz. Einmal kamen sie zu mir nach Deutschland. Das wäre nicht unbedingt nötig gewesen, aber sie wollten wohl einen Eindruck von unserem Headoffice in Frankfurt bekommen. Für mich verliefen die Gespräche ohne Komplikationen. Es herrschte eine angenehme Atmosphäre, und in der Sache schienen mir vertretbare Kompromisse möglich.

      Als wir uns sechs Wochen später wieder mit unseren Vorständen trafen, um über unsere Gespräche und Eindrücke zu berichten, erhielten wir die Nachricht, dass in der neuen Unternehmung zwei der fünf Vorstandssitze von MicroData besetzt würden. Unser Produktionsvorstand würde seinen Sitz im Vorstand behalten. Da alle anderen MicroData-Vorstände ausschieden, blieb ein Sessel unbesetzt, der des Vertriebsvorstandes. Wieder so ein Wort, das sich nicht mehr einfangen lässt. Der Vertriebsvorstand wurde von MicroData gestellt. Jetzt waren wir gefordert, und jetzt ging der Kampf unter uns erst richtig los. Jeder kämpfte gegen jeden.

      Ganz besonders Helmut Sikorra schien überhaupt keine Schwierigkeiten damit zu haben, unsere jahrelange, erfolgreiche Arbeit für seine weitere Karriere über Bord zu werfen. Dies führte insbesondere zu Spannungen mit Herbert Rensing, der als Deutschlandchef die besten Voraussetzungen in der neuen Gesellschaft hatte. Wir sprachen zwar offiziell von Fusion, doch im Grunde genommen übernahm die GlobalTech die MicroData, und dies vor allem wegen unserer marktbeherrschenden Stellung in Deutschland und den Wachstumsmärkten in Osteuropa.«

      Ich wurde durch das Klingeln eines Telefons unterbrochen. Hauptkommissar Gerstel holte sein Mobiltelefon hervor.

      »Ja, Gerstel hier.« Dann hörte er ein paar Minuten zu und legte wortlos auf.

      »Entschuldigen Sie bitte die Unterbrechung, Herr Jonsson. Die Straße rauf zum Wildspitzhof ist noch nicht passierbar und die Bergwacht wird noch Zeit brauchen, um den Weg nach oben frei zu räumen. Erst dann werden wir sehen, was da oben passiert ist.«

      Ich nickte stumm.

      »Können wir eine kleine Pause machen, Herr Gerstel? Ich müsste mal zur Toilette.«

      »Natürlich. Werden wir auch gleich. Nur eines noch. Erklären Sie mir das doch bitte einmal etwas genauer. Wie muss ich mir den Kampf jeder gegen jeden vorstellen?«

      »So wie ich es sagte. Gnadenlos, beherrscht vom Egoismus. Manchmal kam es mir vor, als ob wir auf einem sinkenden Schiff wären und jeder um sein Leben kämpfte. Aber ich gehe gerne gleich näher darauf ein. Ich muss nur mal eben.«

      »Ja, ja. Gehen Sie nur.«

      Als ich von der Toilette zurückkam, telefonierte Gerstel wieder.

      »Sie hatten eine Kugel Kaliber 7,65 im Oberarm. Das ist Munition wie sie bei Jagdgewehren verwendet wird.«

      Ich nickte. Was sollte ich sagen, doch der Kommissar schwieg und forderte mich mit seinem fragenden Blick auf, mich dazu zu erklären.

      »Was soll ich Ihnen dazu sagen? Helmut Sikorra war Jäger und hatte mehrere Waffen in seinem Waffenschrank.«

      »Und aus diesem Schrank war die Waffe?

      »Ja, muss wohl. Ich habe jedenfalls keine Waffe mit hierhergebracht und die anderen soviel ich weiß auch nicht.

      »Na gut. Wir werden später noch darüber sprechen. Fahren Sie fort. Wie war das mit dem Kampf?«

      »Wie ich schon sagte. Als feststand, dass der Vertriebsvorstand aus den Reihen des MicroData-Managements kommen würde, konnte jeder von uns, außer Dr. Theißen, gemeint sein. Das Schlimme war nur, dass keiner wusste, wer es denn werden würde. Jeder hielt sich natürlich für den Richtigen, und damit war natürlich jeder auch des anderen Konkurrent. Jeder von uns ging mit dem Thema auch etwas anders um. Immerhin waren wir ja auch völlig verschiedene Charaktere.

      Nehmen Sie zum Beispiel Herbert Rensing. Herbert sah sich als Star, und mit der Zeit legte er sich auch diese Attitüden zu. Das missfiel natürlich Siegmund Wittenberg, der immer die erste Geige spielen wollte. Reinhard Saatkamp war link. Er sonnte sich gerne in Herbert Rensings Glanz, hatte aber keine Skrupel, sich abfällig über ihn zu äußern, wenn er nicht anwesend war. Reinhard Saatkamp versuchte in jedem Spiel mitzuspielen, und wenn es noch so schmutzig war. Auch Herbert Rensing hat er verraten, obwohl er gerade seine Freundschaft zu ihm immer besonders betonte. Im Grunde war Reinhard Saatkamp der Gegenentwurf zu Viktor Theißen, für den er ein Emporkömmling ohne Kultur war. Ende der achtziger Jahre wäre es um ein Haar zu einem Eklat gekommen. Wir hatten die Vorstände besonderer Kunden aus Nord- und Südamerika nach ihrem Besuch der CeBit zu einer Ausstellung über den deutschen Expressionismus in das Sprengel Museum in Hannover eingeladen. Bei der Führung machte sich Reinhard Saatkamp über die Bilder lustig. Unter uns nannten wir ihn danach jahrelang in Anlehnung an ein Gemälde von Franz Marc die gelbe Kuh. Ihn hat das nicht gestört. Uns war sein Auftritt damals sehr peinlich. Dr. Theißen hat die Situation gerettet, in dem er Saatkamps Aussagen als Zitate bezeichnete, die aus der Nazizeit herrührten, als diese Kunst in Deutschland als entartet galt.«

      »Und trotzdem konnte er sich in seiner Position behaupten?«

      »Ja, das schon. Heute frage ich mich manchmal auch, warum; aber er war nicht gefährdet. Wir nahmen ihn so wie er war; ungehobelt.

      Reinhard Saatkamp suchte die Nähe zu Herbert Rensing. Der war auch nicht gerade das, was man einen Intellektuellen nennt. Sein Lebenshorizont reichte von seiner Arbeit bis zu einer Art von Lifestyle, die er für sich als wertvoll betrachtete. Rensing war ohne Zweifel sehr konsumorientiert. Er sprach von Dingen, die er nicht verstand, wie alle, die meinen, zu etwas ihren Kommentar abgeben zu müssen, ohne es wirklich zu verstehen. Mit anderen Worten, er plapperte mit schönen Worten nach, was er irgendwo aufgeschnappt hatte. Dazu las er auch entsprechende Magazine. Er schleppte immer ein paar Kataloge mit sich herum. Wenn ein Kunde sich für Uhren interessierte; Herbert hatte bestimmt einen Katalog über Chronometer dabei oder besorgte einen für das nächste Treffen. So ging es mit allen Dingen und insbesondere mit solchen, die zu der von ihm bevorzugten Lebensart gehörten. Als er erfuhr, dass meine Frau und ich ein Kind aus den Slums von Managua nach Deutschland geholt hatten, entdeckte er dies für sich als Thema, über das sich trefflich schwadronieren ließ. Nach ein paar Monaten verloren die Schicksale von Kindern in der dritten Welt für ihn ihren Reiz, und ein anderes Thema besetzte diese Position in Herbert Rensings Gesprächsthemenkatalog. Rensing beschenkte seine Kunden auch entsprechend. Keiner von uns hielt einen so großen Etat für Präsente bereit wie Herbert Rensing.

      Helmut Sikorra verachtete