Tonga und Xantos, ihr Nachfolger. Silke May

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Название Tonga und Xantos, ihr Nachfolger
Автор произведения Silke May
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738006780



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kleinere Vorbereitungen für den Kaffeeklatsch.

      Gertrud

      Anna war gerade fertig mit dem Decken des Tisches, da hörte sie auch schon Gertruds Auto vorfahren und öffnete ihr die Tür.

      »Hallo Gertrud. Schön, dass du da bist!«

      Die beiden Frauen umarmten sich herzlich und gingen Arm in Arm ins Haus. Sie setzten sich und begannen sofort damit, über Gott und die Welt zu reden. Nebenher tranken sie Kaffee und ließen sich einen leckeren Kuchen schmecken. Sie blätterten in den Katalogen, um sich die neue Frühjahrsmode anzusehen.

      Es war schon ziemlich spät geworden, als Gertrud sich zum Aufbruch bereit machte. Die Zeit war im Flug vergangen und noch immer hatten sie sich nicht alle Neuigkeiten erzählt. Sie standen schon an der Tür, als ein weiteres Thema Gertruds Aufbruch verzögerte. Anna sah auf die Uhr und unterbrach die Freundin kurzerhand.

      »Ich muss jetzt schnell die Tiere in den Stall bringen, denn heute Nacht wird es kalt. Wenn ich warte, bis es dunkel ist, muss ich sie wieder mit der Lampe zusammentreiben und das ist sehr mühsam. Setz dich doch so lange noch einmal hin, dann trinken wir gleich eine Tasse Tee zusammen. Oder musst du nach Hause?«

      »Nein, eine Stunde kann ich schon noch bleiben. Dann kann ich gleich zu Max ins Geschäft fahren und ihm bei der Kasse helfen.«

      »Super, ich bin gleich wieder da«, rief Anna und verließ eilig das Haus.

      Anna musste die Tiere nicht einmal anlocken, denn sie standen schon alle vor dem Stall. Es war empfindlich kalt geworden. Angesichts dieser eisigen Temperatur kam auch Nero nach seinem kurzen Ausflug sofort zur Haustür gelaufen, um schnell wieder ins Warme zu kommen.

      Anna war kaum zur Tür hinaus, da beschloss Gertrud, sich in der Zwischenzeit nützlich zu machen. Sie spülte das Geschirr vom Nachmittag und war in Gedanken schon wieder bei einem neuen Thema, das sie unbedingt noch mit Anna besprechen wollte. Da erschien plötzlich ein rötlicher Schimmer aus der Öffnung der Vase.

      Es war die gleiche Erscheinung wie in der Nacht zuvor, nur dass Tonga diesmal in feurigem Rot strahlte. Ohne zu zögern, bewegte sie sich auf Gertrud zu und stach von hinten mit einem Messer auf sie ein. Annas Freundin ließ einen entsetzlichen Schmerzensschrei los und drehte sich zu der Hexe um. Diese erkannte überrascht, dass es nicht Anna war, die sie erwischt hatte und verschwand mit einem Knall, der einen Nebel aus schwarzem Rauch hinterließ.

      Anna stand gerade vor der Haustür und hörte Gertruds Schrei, da fiel ihr vor lauter Schreck der Schlüssel aus der Hand. Sie bückte sich hastig danach, fummelte am Schloss herum und rannte wie von einer Tarantel gestochen ins Haus.

      »Gertrud, was ist los? Hast du dir wehgetan?«

      Sie bekam keine Antwort. Als sie die Küchentür aufriss, sah sie, dass ihre Freundin wie erstarrt dastand. Mit einer Hand hielt sie sich den Oberarm, und zwischen ihren verkrampften Fingern sickerte Blut hindurch.

      »Mein Gott, was ist denn passiert?«

      Mit einem Satz war sie bei Gertrud und begutachtete die Wunde.

      »Ich muss mich erst einmal setzen«, keuchte die Freundin und Anna brachte sie zum Sofa im Wohnzimmer und holte den Verbandskasten.

      »Jetzt erzähl, wieso bist du verletzt?«

      Nachdem Gertrud ihre Geschichte erzählt hatte, stellte sie selbst noch eine kurze Frage an Anna. »Was war das?«

      »Komm, wir fahren zum Arzt, und auf dem Weg erzähle ich dir alles.«

      Sie stiegen in Gertruds Wagen und Anna lenkte ihn zügig vom Hof. Während sie fuhren, erzählte sie von der vergangenen Nacht und Gertrud kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Noch im Wartezimmer rätselten sie, woher Tonga kam.

      Nachdem Gertruds Wunde versorgt worden war, fuhr Anna sie zum Geschäft ihres Mannes. Von dort aus rief sie Victor an, um sich von ihm abholen zu lassen. Er war überrascht, dass seine Frau nicht zuhause war, und so informierte sie ihn in Kurzform über den Stand der Dinge. Sofort packte er die Kinder und den Hund ins Auto und machte sich auf den Weg. Nach kurzer Zeit kamen sie beim Geschäft des Schusters an. Die beiden Familien wechselten ein paar Worte, dann fuhr Victor mit seinen Lieben nach Hause. Jeder war tief in Gedanken versunken und mit gemischten Gefühlen näherten sie sich ihrem Hof. Daheim angekommen wollte keiner ins Bett gehen, obwohl es schon spät geworden war.

      Nero kam plötzlich unter dem Tisch hervor und rannte auf die Vase zu. Er schnupperte an ihr und bellte laut.

      Alle fuhren hoch und sahen zu ihm hin. Nun kauerte Nero vor der Vase und knurrte drohend. Victor stand auf und ging zu ihm.

      »Was ist denn los?«, fragte er und wollte ihn mit der Hand wegschieben. Aber er wich keinen Millimeter zur Seite. Da konnte es auch Victor sehen. Auf dem Boden direkt bei der Vase befanden sich Blutflecken.

      »Unglaublich, direkt am Vasenrand ist Blut!«, rief er den anderen zu und drehte sich zu ihnen um. Tanja schrie auf: »Um Himmels willen, das ist die Hexe! Sie wohnt in der Vase!«

      Victor und Mischa nahmen die Vase daraufhin vorsichtig hoch und trugen sie aus dem Haus.

      »Wir müssen sie vernichten!«, erklärte Anna und nahm vorsichtshalber schon einmal das Fläschchen mit dem Goldstaub in die Hand. Zu dritt gingen sie vor das Haus. Dort hoben Victor und Mischa die Vase hoch in die Luft und ließen sie dann auf den Steinboden fallen. Sie zersprang in unzählige Scherben.

      Im selben Moment war ein Pfeifen zu hören, als würde eine Silvesterrakete vorbeizischen, und eine Rauchsäule stieg in den Himmel.

      »Ich glaube, wir haben sie erwischt«, sagte Anna und seufzte erleichtert auf.

      »Jetzt haben wir uns wirklich eine Flasche Sekt verdient«, ergänzte Mischa und sie gingen zurück ins Haus. Im Zimmer warteten Tanja und Peterle schon gespannt. »Hat es geklappt?«, fragte Tanja neugierig.

      »Ja, du kannst schon mal den Sekt holen, denn das muss gefeiert werden!«

      Endlich konnten sie wieder aufatmen und feierten entspannt und gelöst. Die Erwachsenen saßen noch bis spät in die Nacht zusammen.

      Am nächsten Morgen herrschte draußen ein fürchterliches Schneetreiben. Niemand wollte aus dem Haus gehen, und die Familie überlegte, ob es möglich wäre, einige Besorgungen auf den nächsten Tag zu verschieben. Schnell waren sie sich einig. Tanja bekam die Erlaubnis, sich für den heutigen Tag in der Schule abzumelden. Mischa, der bei seinem Vater Victor als Försterlehrling arbeitete, hatte es noch einfacher. Er musste sich bei niemandem rechtfertigen. Den Rest des Tages verbrachten sie faulenzend mit Lesen, Spielen und Handarbeiten.

      Drinnen war es umso gemütlicher, als der Wind um das Haus pfiff und an den Fensterläden rüttelte. Es war wohlig warm in der Stube, im Kamin knisterte das Feuer und alle waren rundherum zufrieden.

      Nur Anna verspürte Lust, sich noch ein wenig zu bewegen. »Ich werde eine kleine Runde drehen, denn es hat gerade aufgehört zu schneien. Wer möchte mitkommen?«

      »Ich nicht«, kam die Antwort von allen Seiten wie aus der Pistole geschossen.

      So etwas Ähnliches hatte sie sich schon gedacht, deshalb war sie nicht enttäuscht und machte sich allein auf den Weg.

      Die Luft draußen war herrlich frisch, es roch wunderbar nach Neuschnee und der Wind rauschte durch die Baumkronen. Anna genoss jede Sekunde ihres Spaziergangs, sie fühlte sich frei und glücklich. Tief atmete sie die kalte Luft ein und summte dabei ein Lied. So lief sie eine ganze Weile dahin, ehe sie umkehrte und sich wieder auf den Heimweg machte. Ein wunderschöner Eichelhäher setzte sich auf einen Ast und sah auf sie herunter. Anna blickte den Vogel kurz an und wollte schon weitergehen. Da vernahm sie eine Stimme: »Anna, bleib stehen, ich möchte mit dir reden!«

      Obgleich sie überrascht war, wunderte Anna sich nicht mehr, denn sie hatte ja bereits mit einem Tier gesprochen. Also blieb sie stehen und sah zu dem Vogel auf: »Bist du es, Isaja?«

      »Ja, schöne