Die Servator Verschwörung. Jürgen Ruhr

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Название Die Servator Verschwörung
Автор произведения Jürgen Ruhr
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742743503



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sich nicht viel aus Fußball und traf erst kurz vor dem Schluss des Spieles ein. Zwei Mannschaften, die eine in roten Trikots, die andere in blauen, kämpften auf einem Ascheplatz, der schon bessere Zeiten gesehen hatte, gegeneinander.

      Ron traf genau in dem Moment ein, als der Schiedsrichter gellend seine Pfeife ertönen ließ und einem blauen Spieler die rote Karte zeigte. Der trat daraufhin zu dem Unparteiischen und schickte ihn mit einem gekonnten Kinnhaken zu Boden. Ron konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Hier würde es wenigstens etwas zu berichten geben.

      Aber die Schlacht setzte sich weiter fort. Jetzt gingen rote und blaue Spieler aufeinander los, der Ball war vergessen und die Männer prügelten nur noch aufeinander ein. Der Schiedsrichter kroch auf allen Vieren vom Platz und Ron schoss einige Bilder. Auf diesen Bericht freute er sich schon!

      Genau zehn Tage, nachdem Ronald Nayst zum ersten Mal seinen Fuß in die Berliner Filiale der New York News Paper gesetzt hatte, fand die Gerichtsverhandlung gegen den Einbrecher statt. Ron hatte versucht, etwas über diesen Einbruch in Erfahrung zu bringen, fand aber lediglich eine kleine Zeitungsnotiz, die von einem Hauseinbruch sprach. Gestohlen wurden laut Polizeibericht eine Münzsammlung, sowie Schmuck. Beides konnte aber direkt sichergestellt werden, da die Polizei glücklicherweise rechtzeitig am Tatort erschien. Der Täter war polizeibekannt und kein unbeschriebenes Blatt.

      Ron las sich noch einmal die karge Meldung durch. Offensichtlich hielten weder die Staatsanwaltschaft, noch die Presse diesen Fall für besonders erwähnenswert. Er schaute auf die Uhr. Die Gerichtsverhandlung begann um elf. Ihm blieb noch genügend Zeit, um pünktlich mit der U-Bahn dort einzutreffen. Die Station befand sich nicht weit von seiner Unterkunft entfernt und er beschloss, die kurze Strecke zu Fuß zu gehen. Bis zum Amtsgericht Berlin Mitte würde er vielleicht gerade einmal fünfzehn Minuten mit der Bahn brauchen.

      Im Gerichtssaal herrschte gähnende Leere. Ein Beamter verlangte sein Handy und klärte ihn darüber auf, dass das Fotografieren während der Verhandlung strengstens verboten sei. Dann zeigte er ihm den Weg zum Verhandlungsraum.

      Als Ron eintrat, fand er zu seiner Linken Richter, Anwälte und Angeklagten und zu seiner Rechten mehrere Stuhlreihen. Der Richter und ein Anwalt tuschelten leise miteinander und blickten nur kurz auf, als er den Raum betrat. Ein Gerichtsdiener schloss derweil die Tür und postierte sich davor. Ein deutliches Zeichen, dass Ron keine Minute zu früh gekommen war und die Verhandlung nun beginnen würde. Der Anwalt nahm seinen Platz neben dem Angeklagten ein und rückte seine Akten zurecht.

      Ron besah sich den Einbrecher. Aus den wenigen Informationen, die zugänglich waren, wusste er, dass der Mann Oliver Inat hieß, zweiundvierzig Jahre alt und vorbestraft war. Der ein Meter achtundsechzig große Mann wirkte durchtrainiert, verfügte über eine schlanke Figur und volle, dunkle Haare. Ron befand, dass der Knabe nicht einmal unsympathisch aussah.

      Inat rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum und blickte immer wieder sorgenvoll zu seinem Anwalt.

      „Ich erkläre die Verhandlung für eröffnet“, begann der Richter und fügte direkt eine Auflistung der Vergehen des Angeklagten hinzu. Demnach wurden dem Mann Einbruch, Diebstahl und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. Da Inat schon einschlägig vorbestraft war, würde er diesmal kaum mit einem blauen Auge davonkommen.

      Ron langweilte sich. Dies war ein null - acht - fünfzehn Prozess, über den es sich kaum lohnte zu berichten. Zwei, maximal drei Zeilen. Wie es schien, stand auch das Strafmaß schon fest, vermutlich im Vorfeld zwischen Anwalt und Richter ausgehandelt. Ron kramte seinen Schreibblock hervor und begann einen Abriss der Szene aufzuzeichnen. Er hatte in New York während des Studiums einen Zeichenkurs belegt und war ein leidlicher Zeichner. Kein großer Künstler aber für den Alltagsgebrauch reichte es. Vielleicht ließ sich die Zeichnung ja später in den Computer einscannen und zum Bericht Online stellen. Das würde bestimmt mehr hermachen, als die zwei oder drei Zeilen zur Urteilsverkündung.

      Die Gerichtsverhandlung endete schon nach fünfzehn Minuten mit einem Schuldspruch. „Ich verurteile sie wegen schweren Einbruchs, Diebstahl und Widerstand gegen die Staatsgewalt zu drei Jahren und acht Monaten Haft“, verkündete der Richter, nachdem sich alle im Saal erhoben hatten. „Sie können gegen das Urteil Berufung einlegen.“

      Oliver Inat sah zunächst den Richter an, dann seinen Anwalt. Plötzlich hob er die Hände wie in wilder Verzweiflung gegen den Himmel. „Herr Richter“, drang es aus ihm und im Saal herrschte Totenstille. „Ich bin dort eingebrochen, ja das gebe ich zu. Aber ich habe keine Münzen oder Schmuck gestohlen! Und ich habe mich auch nicht gegen die Polizei gewehrt. Es ging ja alles so schnell und dann war da ja noch der tote Mann im Arbeitszimmer!“

      Ron bemerkte, wie der Richter und die Anwälte sich erschrocken anblickten. Dann nickte der Richter dem Polizisten an der Tür zu, der auch sofort zu Inat hin stürmte, ihm die Arme auf den Rücken drehte und mit Handschellen fesselte. Rasch zerrte er den Verurteilten zur Türe. Bevor die beiden den Saal aber verlassen konnten, schrie Inat noch einmal: „Ich weiß doch, was ich gesehen habe. Der Mann war tot, durch den Kopf geschossen!“ Brutal stieß der Polizist den Einbrecher auf den Gang.

      „Ruhe bitte, Ruhe bitte“, ließ sich der Richter vernehmen. „Der Angeklagte redet wirr, die gerechte Verurteilung wird ihm einen Schock versetzt haben. Bitte streichen sie sein Verhalten aus ihrem Gedächtnis, es hat keinerlei Bewandtnis.“ Dann blickte er auf Ron und wiederholte: „Die letzte Aussage des Verurteilten hat es nie gegeben! Bitte nehmen sie das zur Kenntnis. Die Verhandlung ist beendet.“

      Ron steckte an der Pforte sein Handy in Gedanken versunken zurück in die Jackentasche. Die unerwartete Wendung und das eben Gesehene ließen ihn grübeln. Während der ganzen Fahrt zurück zur Redaktion dachte er über die Reaktion des Angeklagten nach. Oliver Inat wurde doch nicht zum ersten Mal verurteilt. Der Mann war in dieser Beziehung eher ein alter Hase. Aber dann diese Reaktion? Und wieso ein Toter? Welchen Grund sollte es geben, so etwas zu erwähnen? Wollte der Einbrecher nur von seiner Tat ablenken? Ron schüttelte in Gedanken den Kopf. Das machte keinen Sinn. Hätte es einen Toten gegeben, dann würde davon auch etwas im Polizeibericht stehen. Und Inat wäre am Ende vielleicht wegen Mordes angeklagt worden. War Inat drogensüchtig und redete deswegen wirr? Ron schüttelte erneut den Kopf. Nein, es machte wirklich keinen Sinn. Inat musste dummes Zeug geschwafelt haben.

      Der Bericht über die Verurteilung fiel wie erwartet dementsprechend kurz aus. Ron konnte seine Zeichnung wirklich noch unterbringen und war mit seinem Werk recht zufrieden. Allerdings bedauerte er die verlorene Zeit, denn ein kurzer Anruf im Gericht hätte auch genügt. Er nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit solch einer Verhandlung nicht mehr beizuwohnen.

      Maike, die Praktikantin, hatte aufgegeben ihm nachzustellen. Entweder erwartete sie, dass er von sich aus auf sie zukäme, oder sie war einfach nur sauer, dass er nicht schon am ersten Tag auf ihr Angebot eingegangen war. Sie beschäftigte sich jetzt ausnahmslos mit dem Brühen von Kaffee und zeigte auch keinerlei Interesse an sonstiger redaktioneller Tätigkeit. Ron war es so ganz recht, jedoch fragte er sich, warum das Mädchen überhaupt ein Praktikum hier absolvierte. Im Grunde blockierte sie ja doch nur den Platz, den eine mehr engagierte junge Person viel besser gebrauchen konnte. Aber das war schließlich Sache des Chefredakteurs. Trotzdem müsste er über den einmal dringend mit seinem Vater sprechen ...

      Fellger ließ es sich am Freitagnachmittag nicht nehmen, sie mit einigen Worten bezüglich der bevorstehenden Pfingstfeiertage in das Wochenende zu schicken. Das waren neue Töne, die Ron von dem Mann noch gar nicht kannte. Doch seine Meinung änderte sich, als der Chefredakteur einen Freiwilligen für den Dienst am Montag suchte und seine Wahl natürlich auf Ron fiel. „Die Onlineausgabe muss auf jeden Fall raus. Ob Feiertag oder nicht“, schwadronierte Fellger und legte Ron die Hand auf die Schulter. „Es macht ihnen doch bestimmt nichts aus, hier am Montag die Stellung zu halten?“

      Ronald Nayst erschien am Montag erst gegen zehn Uhr in der Redaktion. Es spielte ja ohnehin keine Rolle, denn die wenigen Onlineartikel waren schnell verfasst. Gestern hatte eine Besichtigung Berlins auf seinem Plan gestanden und wie ein jeder Tourist hakte er eine Sehenswürdigkeit nach der anderen ab. Ron war zuvor noch nicht in Berlin gewesen, hatte aber viel darüber gelesen. Insbesondere die Teilung der Stadt interessierte ihn und er