Missgriffe. Elisa Scheer

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Название Missgriffe
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737561563



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suchte ein Buch für den Flug aus, entrümpelte meinen Zeitplaner und ging gemütlich die Küche putzen, während die Maschine dem Schleudergang entgegenrumpelte.

      Viel spannender als die Konversation dieses Robert! Wie konnte man nur so aufdringlich sein? So schön war ich auch wieder nicht. ich sah völlig normal aus, wenigstens so, wie ich mich in den Vitrinentüren des Geschirrschranks spiegelte. Etwas über mittelgroß, normale Figur (für mein Alter noch ziemlich straff, fand ich), hellbraune lange Haare, dunkelgraue Augen, blasse Haut, eine etwas zu kleine Nase, dafür einen ziemlich großen Mund. Ich konnte damit leben.

      Ich stopfte den Löwenanteil der Maschinenfüllung in den Trockner, hängte den Rest auf das Gestell im Schlafzimmer und warf den Rest aus dem Wäschekorb in die Maschine. So, dann konnte ich das Arbeitszimmer fertig aufräumen und den Flur feucht wischen.

      Im Arbeitszimmer grinste mir mein jungfräulicher Schreibtisch entgegen. Ich verräumte den zugeklappten Laptop und die zehn CDs, die nahezu meine sämtlichen Dokumente enthielten, in den Schrank hinter dem Regal und zog das Regal wieder davor, in dem sich außer einer Reihe Fachbüchern und einem einzigen Ordner mit den Dokumenten, die man nicht online zugesandt bekam, nur noch ein Designerlocher befand, den ich mal geschenkt bekommen hatte. Leer, kahl, spiegelblank – ausgezeichnet. Ich nahm mir noch ein Päckchen Notizblätter für den Zeitplaner aus der Schublade und warf es in meine Handtasche.

      Flur: Kommode (zwei Paar Handschuhe, ein Hut, sechs Paar Schuhe, Schuhputzkram, Hausapotheke, bestehend aus Aspirin, Desinfektionsspray und Heftpflaster, kleine Souvenirkiste), Spiegel, zwei Haken an der Wand, Fliesenboden. Minimalismus pur.

      Das Spray konnte ich mitnehmen. Männern gefiel meine Wohnung merkwürdigerweise nicht, obwohl man ihnen ja gerne nachsagte, sie hätten keinen Sinn für Schnickschnack. Vielleicht machte das karge Ambiente ihnen zu deutlich, dass ich eine manische Wegschmeißerin war? Man sagte ja auch, dass die meisten Männer dazu neigten, alles Mögliche aufzuheben, sogar Tarnunterwäsche aus Bundeswehrzeiten, in die sie schon lange nicht mehr hineinpassten.

      Ich dagegen hatte nicht einmal mehr Fotoalben – alle Fotos waren sorgfältig gescannt und auf zwei CDs archiviert, was zum einen eindeutig weniger Platz brauchte und zum anderen verhinderte, dass ich durchdrehte und zufällig anwesende Besucher mit Kindheitserinnerungen belästigte.

      Ich bügelte alles, was der Trockner ausspuckte, und verräumte es entweder in den Schrank (exakt auf Kante) oder auf den Kofferstapel, dann landete die zweite Ladung im Trockner und auf dem Gestell. Ich durchwanderte die Wohnung mit inspizierendem Blick – man konnte schließlich nie wissen, vielleicht stürzte der Flieger in die Lagune und mein Anwalt ließ den Haushalt auflösen... ich hatte schon zu viele Krimis gelesen, in denen naserümpfende Ermittler die Wohnung des Mordopfers durchsuchten und sich über die Schlamperei aufregten. Lieber sollten die Entrümpler sich über die unnatürliche Ordnung und meinen zwanghaften Charakter wundern. Alles sah aus, wie es aussehen sollte, abgesehen vom Bett, auf dem noch der Reisekram lag. Morgen früh musste ich das Bett noch frisch beziehen.

      Und alle Fingerabdrücke entfernen, fügte ich im Geiste hinzu. War ich vielleicht doch ein bisschen zu zwanghaft? Es war schließlich nicht illegal, dass ich mich hier aufhielt, die Wohnung gehörte mir, sie war bis auf den letzten Cent abbezahlt, genau wie die in Jesolo und das kleine Appartement in Mönchberg, das ich vermietet hatte. Die Unterlagen darüber sollte ich vielleicht genauso wie die über mein angenehm stattliches und recht konservativ zusammengestelltes Depot auch noch im Geheimschrank verwahren. Das Sparbuch (da waren nur rund zehntausend Euro drauf) und etwas Bargeld dagegen würde ich leicht zugänglich aufbewahren, damit etwaige Einbrecher nicht aus purem Frust alles verwüsteten. So leicht konnte man hier ohnehin nicht einbrechen, nicht im dritten Stock, nicht mit meinen Superschlössern und den von innen abschließbaren Fenstern. Ich war doch zwanghaft!

      Nein, bloß vorsichtig. Man las ja so viel – und das Fernsehen trug auch nicht dazu bei, die Nerven zu beruhigen. Andererseits war ich erstklassig versichert und ich hing an gar nichts.

      Ich putzte die Sandalen und verstaute sie im Koffer, daneben die Bücher und mein Necessaire, dann füllte ich die Lücken mit Unterwäsche und Bikinis, rollte ein Paar Jeans zusammen und packte sie ein, daneben das Sweatshirt und darauf die T-Shirts, gleichmäßig verteilt. Dann zog ich die Gurte stramm und legte die beiden Kleider locker obendrauf. Schließen würde ich den Koffer erst morgen, sonst müsste ich am Ziel sofort bügeln. Die Reste legte ich vors Bett, das würde ich morgen anziehen, und eine Reservegarnitur Wäsche kam in meine Handtasche. Man wusste ja nie – vielleicht ging der Koffer verloren? Ersatzwäsche würde die Obergrenzen sprengen, falls der Koffer wieder auftauchte, Ersatzduschgel dagegen verbrauchte sich und war folglich gestattet. Der Trockner pfiff; ich räumte die letzten Reste auf, stellte Koffer und Umhängetasche in den Flur und zog mich aus: Morgen musste ich rechtzeitig am Flughafen sein, denn ich war vielleicht zwanghaft, aber ein Ticket hatte ich eben trotzdem noch nicht. Auf einem Linienflug nach Venedig gab es aber immer noch einen Platz, wenn es einem egal war, wo man saß.

      Alles perfekt! Zufrieden lümmelte ich noch ein wenig im Nachthemd auf dem Sofa herum und zappte ohne großes Interesse durch die Kanäle. Morgen um die Zeit säße ich mit einem netten Campari Orange in einem Straßencafé und schaute mir die Flaneure an. Oder ich „shoppte“ – natürlich ohne etwas zu kaufen, es sei denn, ich fand etwas absolut Unentbehrliches. Was könnte das sein? Eine wirklich schöne weiße Bluse vielleicht – die alte Leinenbluse war schon ziemlich überreif. Ich freute mich wirklich auf Jesolo, auch auf mein kleines, funktionales Appartement mit den weißen Möbeln und der spärlichen Ausstattung. Auf das Letto am Strand des Hotels Levante, auf das Rauschen der Brandung, auf alberne, aber spannende Romane, auf wirklich gute Pasta, vor allem schwarze Bandnudeln mit Lachssauce, auf diese komischen Mais-Käse-Snacks, die es bei uns nicht gab, auf ein spätabendliches Sanbitter vor einer italienischen Talkshow, auf lange Spaziergänge, vielleicht auf eine kleine Fahrt nach Treviso oder Venedig. Halt, die Kamera! Vielleicht gelang mir ja das optimale Urlaubsbild, dann konnte ich es bearbeiten und im Fotoladen auf Postergröße ausdrucken lassen. Im Bad würde es sich an der leeren Wand gut machen, dann konnte ich in der Badewanne vom Urlaub träumen...

      Ja, das wäre wirklich eine gute Idee, fand ich am nächsten Morgen, als ich in der Wanne lag und die leere Wand anträumte. Vielleicht weißer Sand, ein einladender Liegestuhl, im Hintergrund schäumende Wellen... Blau und weiß, passend zu den Farben im Bad... Ich trocknete mich ab, schlüpfte in meine Reisekluft, bezog das Bett frisch, lüftete noch einmal gründlich, schloss dann die Fenster ab und sah mich prüfend um. Auf zum Flughafen, es war schon kurz vor halb acht.

      Es klingelte. Garantiert die Zeugen Jehovas. Oder jemand, der Pizzaflyer einwerfen wollte. Ich knurrte in die Sprechanlage und ging den Koffer schließen.

      Als es an der Wohnungstür klopfte, war ich gelinde verärgert. Nein, ich wollte jetzt ganz bestimmt nicht über meinen Weg zu Gott reden! Und irgendein Käseblatt abonnieren wollte ich auch nicht, ich brauchte keinen Honig und keine von Blinden gefertigten Bürsten. Ein Lexikon hatte ich auch schon, und durch den Spion erkannte ich nur etwas Rotes. Ich legte die Kette vor und öffnete die Tür. „Ja, was ist denn?“

      „Lieferung für Sie.“

      „Kaum. Ich hab nichts bestellt!“

      „Blumen. Unterschreiben Sie hier, bitte.“

      Ich unterschrieb und erhielt einen mittelgroßen Strauß dunkelroter Rosen – die Sorte, die nicht duftete und nur drei Tage hielt. Was sollte ich jetzt damit? Und wer schickte mir die überhaupt? Der Fleuropbote empfing zwei Euro und verzog sich. Ich durchsuchte den Strauß und fand ein Kärtchen: Danke für einen viel versprechenden Abend, R.

      R.? Dieser unsägliche Robert? Was für ein Idiot, glaubte er etwa, ich hätte Lust, einen sperrigen Blumenstrauß mit in den Urlaub zu schleifen? Mich deshalb von der Flugbegleiterin dumm anreden zu lassen? No, Sir!

      Ich kramte mürrisch eine meiner beiden Vasen heraus – die hässlichere –, füllte Wasser hinein, stopfte die Rosen dazu und stellte das Ganze auf den Balkon. Mehr konnte ich nicht tun – in der Wohnung würden sie bei meiner Rückkehr alles verpesten, vermodert, wie sie dann wären. Verschwendung!

      Das