Missgriffe. Elisa Scheer

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Название Missgriffe
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737561563



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nicht mit. Gut, so sexy wie der Tacker auf dem Schreibtisch. Aus blassgrünem Plastik.

      Mein Telefon klingelte. „LifeManagement, Redaktion. Mein Name ist Lea Sarow, was kann ich für Sie tun?“ In einem kleinen Betrieb wie diesem schirmte uns keine Telefonistin ab, aber so viele Leute riefen hier nicht an, die Anmeldungen und Bestellungen liefen über ein Callcenter, an dem wir beteiligt waren.

      „Hi, Lea.“ Huch, das klang aber trübsinnig! Ich seufzte. „Wolfi. Was ist denn jetzt wieder passiert?“

      „Sie will mit mir wegfahren.“

      „Ja und? Wenn du dich recht erinnerst, das wollte ich auch gelegentlich. Du, Wolfi, ich verrate dir jetzt was – das ist ganz normal. Wenn zwei sich lieben und es nicht gegen den Willen eines Partners geschieht -“

      Sabine lauschte mit weit aufgerissenen Augen.

      „- dann kann man auch mal miteinander wegfahren. Wenn du Hemmungen hast, vielleicht erstmal nicht so weit? Bloß an den Chiemsee? Oder eine Donaufahrt? Und dann, wenn du kühner geworden bist, vielleicht nach Salzburg – oder nach Tschechien.“ Er schnaubte mir ins Ohr. „Du verarschst mich doch schon wieder! Ich will nicht wegfahren! Ich hasse das! Und du weißt das genau!“

      „Ich schon. Aber hast du das auch deiner Süßen klar gemacht?“

      „Sag nicht immer Süße, wenn du von ihr sprichst!“

      „Tut mir Leid, aber dieser Name ist so was von bescheuert. Sie heißt doch nicht wirklich Clarissa, oder?“

      „Doch, ehrlich. Steht in ihrem Pass. Aber warum will sie unbedingt wegfahren? Hier haben wir es doch gut, unsere eigenen, genau richtigen Betten, wir kennen uns gut aus, es gibt kein komisches Wetter und kein komisches Essen, wir brauchen nicht in Sprachen herumzustammeln, die wir gar nicht können -“

      „Ah! Das also ist des Pudels Kern, ja?“, zitierte ich so ungefähr. „Nagt dein Stotterfranzösisch immer noch an dir? Sag ihr doch, Untersuchungen hätten ergeben, dass Frauen sprachbegabter seien, und lass sie verhandeln.“

      „Haha. Sie kann bloß ein bisschen Englisch.“

      „Mein Gott, dann fahrt eben ins Salzkammergut oder an den Ballermann, da können wirklich alle Deutsch. Oder gleich an die Nordsee.“

      „Ich will aber nicht! Kannst du nicht mal mit ihr reden?“

      Ich war sprachlos, aber nur einen Moment lang. „Hast du sie noch alle? Ich soll an deiner Neuen herumerziehen? Glaubst du ernsthaft, die lässt sich von mir was sagen? Wolfi, ein bisschen naiv ist ja ganz lustig, aber du bist wirklich zu blöde.“

      „Ich dachte, wir sind noch Freunde“, sagte er beleidigt. „Sind wir ja, aber das darfst du auch nicht überstrapazieren. Rede ruhig selbst mit ihr. Aber eine kleine Reise würde dir gar nicht schaden, du wirst immer passiver.“ Er legte auf. Ich lehnte mich zurück und schüttelte versonnen den Kopf. Es gab schon blöde Männer! Und mit dem war ich mehr als zwei Jahre zusammen gewesen? Und ganz zufrieden obendrein? Unverständlich.

      Früher war er aber doch nicht ganz so faul gewesen, oder? Wir waren durchaus mal weggegangen, auch mal verreist, auch wenn er dabei ständig leises Gejammer von sich gegeben hatte – falsches Klopapier, Knoblauch im Essen, die Sonne zu heiß, der Sand zu sandig, das Meer zu salzig, die Sprache zu unverständlich, die Musik zu laut, die Leute zu blöd, die Wege zu weit...

      Ich hatte mich gar nicht deshalb schließlich von ihm getrennt, sondern nur, weil ich rausgekriegt hatte, dass er seit geraumer Zeit zweigleisig fuhr und immer dann, wenn er angeblich so hart arbeiten musste, mit einer gewissen Franziska arbeitete. Besser gesagt, sich auf ihr abarbeitete. Das war mir dann doch zu geschmacklos und das Gejammer von wegen „Aber ich liebe doch nur dich!“ interessierte mich nicht mehr. Franziska hielt sich nicht lange, ihr folgte Irmela (wer hieß bloß so?) und ihr schließlich Clarissa. Und nichts konnte Wolfi daran hindern, mir die Ohren vollzujammern, wen sie ihn nicht verstanden, Stress verursachten, eigene Wünsche anmeldeten und ganz grundsätzlich seine Bequemlichkeit bedrohten. Dass ich fast immer der betreffenden Dame Recht gab und an Wolfi hemmungslos herumkritisierte, änderte daran gar nichts. „Was für ein Idiot“, murmelte ich vor mich hin und wollte mich wieder meiner Arbeit zuwenden. „Dein Ex?“, fragte Sabine.

      „Wer sonst? Obwohl, was ich sonst so kenne, ist auch nicht besser...“ Ich warf Christian einen Seitenblick zu, aber er ließ sich nicht aus der Reserve locken.

      Notgedrungen wandte ich mich wieder der 20:80-Relation und anderen hinreichend bekannten Phänomenen des Zeitmanagements zu und schrieb meinen Text fertig; genau genommen ging es bloß darum, einen alten Text zu überarbeiten, das Layout zu verschönern und klarere Skizzen einzufügen. Routine eben, aber ich arbeitete gerne hier. LifeManagement brummte, also zahlten sie mehr als ordentlich; ich leitete gerne Seminare an noblen Tagungsstätten und blödelte gerne mit Christian und Sabine herum.

      Eigentlich konnte ich mehr als zufrieden sein – guter Job, gute Finanzlage, gute Gesundheit – und der Urlaub stand vor der Tür. Hässlich war ich auch nicht, und dass ich mit sechsunddreißig noch nicht verheiratet war, grämte zwar meine Freundin Simone, aber mich nicht. Wozu heiraten?

      Gut, ein Kind vielleicht... Allmählich wurde es ja wohl Zeit; wenn ich noch lange herumtrödelte, ging es wahrscheinlich nicht mehr. Vielleicht sollte ich doch im Urlaub mit einem niedlichen Bademeister oder Surflehrer... Intelligent war ich selbst, es reichte, wenn der ins Auge gefasste Vater etwas Schönheit beisteuerte. Und dann würde ich nach zehn Tagen mit einem Embryo im Bauch abhauen und die Sache wäre erledigt.

      Nein, das war Blödsinn, ich wollte noch öfter dorthin fahren, und wenn ich in den nächsten Jahren immer mit einem Zwerglein auftauchte, würde der Surflehrer sich wundern. Oder ich brauchte einen, der garantiert in der nächsten Saison in Marbella arbeitete. Außerdem klappte es ja ohnehin nicht. Ich fischte meinen Zeitplaner aus der Tasche (natürlich mit den speziellen, professionell erstellten und auf den jeweiligen Bedarf exakt abgestimmten Formularen von LifeManagement) und schlug die entsprechende Tabelle auf. Doch, es passte – am nächsten Donnerstag müsste ich einen Eisprung haben. Wenn ich überhaupt noch einen hatte; irgendwo hatte ich mal gelesen, dass bei vielen Frauen über fünfunddreißig gar nichts mehr lief, ohne dass sie es merkten, und immerhin wurde ich im Oktober schon siebenunddreißig. Wahrscheinlich war der Zug längst abgefahren. Auch egal.

      Nein, nicht egal. Ein Kind wollte ich schon. Ich sollte es im Urlaub wirklich mal riskieren. Aber mit einem, über den ich nichts wusste...? Und wenn ich mir dabei noch was anderes holte? Risiko!

      „Pennst du?“ Christian wedelte mir mit der Hand vor dem Gesicht herum. Ich klappte den Zeitplaner zu. „Nein, ich hab bloß gerade was überlegt.“

      „Muss ja wahnsinnig wichtig sein.“

      „Was ich überlege, ist immer wichtig“, beschied ich ihn von oben herab, musste dann aber selbst lachen, als Christian maulte: „Mrs. Oberwichtig – wie immer. Da such ich mir doch lieber auch so einen Bildschirmschoner. Sag mir mal schnell die Adresse!“

      Ich diktierte ihm die Adresse, gab Sabine noch etwas zu tun und versank wieder in Gedanken. Bei einem Unbekannten konnte ich mich anstecken, bei einem Bekannten hatte ich dann jede Menge Sorgerechtsärger am Hals. Auch schlecht. Christian johlte los. „Strippende Cheerleader! Geil, ey! Die nehm ich! Lea, deine Tipps sind immer noch die besten.“

      „Altes Ferkel“, kommentierte ich gutmütig. „Lass mich raten – ab jetzt arbeitest du noch weniger als sonst, weil du ja die Maus nicht anfassen darfst, wenn gerade eine ihr Höschen fallen lässt.“

      „Das ist eine miese Unterstellung!“

      „Wieso – ich kenn dich doch.“

      Es musste jemand sein, der einen ordentlichen und gesunden Eindruck machte, aber das konnte auch täuschen. Und wenn ich ein Gesundheitszeugnis sehen wollte, würde er sagen, dass ein Gummi dann ja wohl die einfachere Lösung wäre. Und dann? Ich konnte sagen, dass ich eine Latexallergie hatte. O Gott, was hieß denn das auf Italienisch? Il profilattico war der Gummi, gut –