Die Brücke ins Irgendwo. null michelle_werner

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Название Die Brücke ins Irgendwo
Автор произведения null michelle_werner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847648390



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Wenn alles gut laufen würde, dann würden Lara und Robin bald in ihre Heimat, die Schweiz, zurückkehren.

      Nun aber war es soweit. Lara musste noch einige Male kräftig pressen und dann – kam ein wunderschöner winziger Junge zur Welt. Lara bekam ihn in die Arme gelegt und obwohl sie schon etwas erschöpft war, freute sie sich, es geschafft zu haben. Sie sah den Rettungsarzt an und sagte mit noch schwacher, unsicherer Stimme: „Ist auch alles in Ordnung mit dem Baby?“ und der Arzt beeilte sich damit, ihr zu bestätigen, dass alles an seinem Platz war und dass das Baby alles hätte, was so ein süßer kleiner Kerl haben muss. Er schien gesund zu sein und es ginge ihm gut.

      Lara sah sofort die kleinen Wangengrübchen und sie strahlte über das ganze Gesicht, denn genau so ein Baby hatte sie sich gewünscht. Für Lara war es das schönste Baby der Welt, auch wenn es noch ein paar Falten hatte. Der Arzt meinte nur kurz: „das verschwindet in ein paar Tagen und die Farbe des bläulichen Gesichts wird sich auch noch ein ändern. Sie haben einen prachtvollen Jungen.“ Und dann ging es ab ins Hospital – jetzt aber ohne Blaulicht und ohne Folgetonhorn, denn man wollte das Baby nicht verstören und jetzt war es auch nicht mehr so dringend.

      Verantwortung? Was soll das sein?

      „Bonjour Jacques“, sagte der gestrenge Herr in der Mitte dieses halbkreisförmigen Komitees, vor dem Jacques Platz genommen hatte. „Was können wir für dich tun?“

      „Mon Dieu, gerade fuhr ich noch da unten und dann - ex abrupto - war ich hier? Je ne sais pas! Isch weis nicht?“ sagte Jacques, „es ist vielleicht nur eine ganz große Mistverständnis!“

      „Wir haben alles gesehen Jacques“, sagte die etwas unfreundliche Dame, die zur linken des gestrengen Herrn saß. Es ist jetzt an dir, dafür für Verantwortung zu übernehmen.

      „Verantwortung? Was soll das sein? In meiner Sprache gibt es das Wort nicht – Ver ant wor tung! Ich kenne mich mit Baumaterial aus, aber nicht mit dem. Ist Verantwortung vielleicht ein Produkt der teuflischen Konkurrenz?

      „Responsabilité“ heißt dies in deiner Sprache. Aber lassen wir das einmal so stehen. Kannst du uns sagen, wer du bist, wie du bist, was für ein Leben du gelebt hast und was du aus dem Leben bis jetzt gelernt hast?“ fragte die unfreundliche Dame.

      „Ich bin in der Schule gesessen, habe eine Ehefrau, ich arbeite und bringe das Geld nach Hause – wenn etwas übrig bleibt“ erzählte Jacques ziemlich gelangweilt, weil er meinte, dass dies ohnehin bereits alle wissen.

      „Du bist also in der Schule gesessen – wie lange denn?“ fragte der gestrenge Herr. „So wie alle anderen auch, nun gut, ich war zwei Jahre länger dort“ gab Jacques zur Antwort.

      „Und was hast du dort gemacht? Oder bist du nur dort gesessen?“ wurde nochmals nachgefragt.

      „Ich? Was alle anderen Kinder auch gemacht haben. Spaß gehabt, Lehrer geärgert, Streiche gespielt, Aufgaben von anderen abgeschrieben, die Schule geschwänzt – genügt das?“ sagte Jacques leicht entrüstet.

      Das Komitee steckte die Köpfe zusammen und beriet sich, was man mit einem so hoffnungslosen Fall anfangen sollte. Er hat sich offenbar mit nichts eine besondere Mühe gegeben und es war ihm das meiste gleichgültig. Schließlich gab man ihm noch 5 Quäntchen Zeit, seine Antworten nochmals zu überdenken und dann bekäme er eine zweite Chance. Bis dahin wurde er einfach in eine Salzsäule verwandelt, so dass Jacques sich ganz auf seine Aufgabe konzentrieren konnte.

      Lara hatte inzwischen beim Baby alle erforderlichen Tests durchführen lassen und es war alles zur Zufriedenheit der Ärzte. Die glücklichen Eltern konnten mit dem Baby schon zwei Tage später heimkehren. Heim das war nach Bern, denn dort lebten und arbeiteten die Eltern des Neugeborenen. Da man nicht so lange mit dem Baby im Auto unterwegs sein wollte – es würde mindestens 2 bis 3 Tage dauern, fuhr Robin mit der Familienkutsche heim und Lara mit dem Baby per Bahn, das war in einem guten Tag zu schaffen.

      „Händ si öppis …“ - dann stoppte der Zollbeamte und begann nochmals in schönstem Hochdeutsch: „Haben sie etwas zu verzollen? Haben sie etwas mitgebracht, das sie bei ihrer Abreise noch nicht dabei hatten?“

      Lara musste lachen! „Nein das hab ich nicht, es ist jetzt nur anders verpackt!“ und dann zeigte sie ihren kleinen Sonnenschein, dem Herrn Zöllner. „Ist das Baby jetzt neu?“ fragte der Zöllner nochmals nach. Lara sah ihn ganz verwundert an und meinte: „Also ich glaube nicht, dass dies ein gebrauchtes Baby ist – jedenfalls soweit ich weiß.“

      Der Zöllner kratzte sich am Hinterkopf, sah ein wenig verloren drein und sprach: „godfridschtutz“ – was so viel wie ‚verdammt’ heißt. In dem Moment betritt eine Zöllnerin den Raum und spricht: „Urs, machst du schon wieder ein Chrüsimüsi?“ und damit meinte sie, dass ihr Kollege immer ein schreckliches Durcheinander machte. „Urs, geh doch mal in den vorderen Waggon des Zuges, ich kümmere mich um das hier.“ Urs machte sich auf den Weg und die nette Zöllnerin bewunderte das Baby. Als sie die koketten Wangengrübchen sah, war sie ganz hin und weg.

      Der Zöllnerin war natürlich klar, dass man das Baby nicht im Ausland hätte lassen können, nur weil es aus seiner mütterlichen Verpackung entschlüpft war und daher belästigte sie Lara gar nicht mehr, sondern wünschte ihr noch eine gute Heimfahrt und war dann ganz schnell wieder verschwunden.

      Hätte der männliche Zöllner gewusst, dass Lara in ihrem Gepäck mehrere Packungen an Milchprodukte hatte, dann hätte er Lara sicher wieder zurück in den spanischen Supermarkt geschickt, um die Milchprodukte zu retournieren. Schließlich gäbe es ganz strenge Vorschriften, wovon man wie viel in die Schweiz bringen darf und da kannten die Schweizer keinen Pardon.

      Schicksalhafte Verkettung

      Jacques 5 Quäntchen Zeit waren inzwischen abgelaufen und so wurde er wieder zurückverwandelt. Da stand er nun und sah aus, wie ein begossener Pudel. Es war ihm klar, dass er einiges falsch gemacht hatte und es schien ihm auch das erste Mal etwas peinlich zu sein, aber so direkt wollte er seine Schuld auch nicht eingestehen.

      Allerdings ging es niemand darum, dass er seine Schuld eingestand, denn Schuld ist nur ein menschlicher Terminus – da oben, wo wir den Himmel wähnen, da geht es nur um den rechten Weg und darum, wann jemand wieder auf die Reise gehen konnte. Es ist wie ein schadhaftes Teil zu verstehen, welches erst wieder in Stand gesetzt werden musste, bevor es wieder hinaus durfte. Das Besondere daran ist, dass es nicht einen himmlischen Mechaniker gibt, auch nicht einen strafenden Gott oder andere Rächer. Vielmehr ging es darum, die gescheiterten Wesen zur Wende zu begleiten und dazu gab es verschiedene Hilfsmittel, aber letztlich musste alles von der gescheiterten Seele ausgehen. Mit anderen Worten, wer sich die Wahrheit nicht selbst eingestehen wollte, der saß hier eine Ewigkeit lang fest.

      Jacques versuchte es diesmal mit dem Argument einer schicksalshaften Verkettung von Umständen, die zu dem Unfall geführt hätten. Wäre José an einem anderen Tag zu seiner Großmutter spaziert, so wäre gar nichts passiert, meinte Jacques. Oder wenn Jacques Frau ihn nicht so aufgeregt hätte, oder wenn der Chef die Ausschreibung nicht gewonnen hätte…

      Es gab viele gerunzelte Stirnfalten rund um Jacques, denn das alles klang nicht nach einem Wandel in Jacques Seele. Jacques wurde in einen anderen Raum geführt, in dem nichts war, als blendend weiße Wände. Als sich die Türe hinter ihm schloss, drehte sich Jacques schnell um und sah, dass es hier gar keine Türe gab – sie war verschwunden, ebenso wie die Fenster. Es gab hier nur weiße Wände und es war dennoch taghell. Jacques wollte sich in einer Ecke auf den Boden setzen und an die Wand lehnen, aber die Wände wichen ihm sofort aus, da half alles nachrücken nicht.

      Dann wollte Jacques aus Langeweile mit dem Finger Formen auf den Boden zeichnen und desto näher der Finger dem Boden kam, umso mehr wich der Boden aus. Es schien so, als wollte der Boden und die Wände keinen Kontakt mit ihm haben wollen. Tatsächlich, er stand gar nicht am Boden, sondern schwebt etwas darüber. In den ersten Minuten fand es Jacques noch ganz amüsant, dass er die Wände alleine durch seine Annäherung verschieben konnte, aber da er sie nie zu berühren