Verfluchtes Erbe. T.D. Amrein

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Название Verfluchtes Erbe
Автор произведения T.D. Amrein
Жанр Языкознание
Серия Krügers Fälle
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738009125



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Berichte noch fertigstellen, Details abklären ...“

      „Vier Wochen. Natürlich geht das“, beharrte sein Chef. „Wenn Sie wollen, betrachten Sie es als dienstliche Anweisung.“ „Drei“, versuchte Krüger.

      Der Chef zog die Brauen hoch. „Hier ist kein Basar. Außerdem habe ich, im Gegensatz zu Ihnen, noch zu arbeiten. Alle weiteren Details klären wir bei unserem nächsten Treffen in frühestens vier Wochen.“ Er betonte das „frühestens“ besonders. Krüger blieb nichts anderes, als sich zu fügen.

      Den Rest des Tages ordnete er nur noch seinen Schreibtisch und überlegte sich, was er denn nun mit diesem Urlaub anfangen sollte.

      In Frankfurt bleiben kam nicht in Frage. Das Einzige, das er schon zu Anfang sicher wusste.

      Ans Meer, einfach so? Das passte nicht zu ihm. Zwar, jetzt in der Vorsaison, dürfte es noch relativ ruhig sein. Aber trotzdem.

      Mit dem Bodensee verband er gute und schlechte Erinnerungen.

      In die Berge zog es ihn auch nicht besonders. Du bist eigentlich ein richtiger Langweiler, überlegte er. Kein Wunder, dass es keine mit dir aushält.

      Vera brachte ihm einen Kaffee, ohne das er danach verlangt hatte. „Nett von dir“, sagte er anerkennend. „Du weißt besser als ich, was ich brauche.“

      „Es ist einfach jetzt Zeit dafür“, gab sie zurück, während sie ihm die Tasse auf den Schreibtisch stellte.

      Er musterte sie kurz. Eigentlich auch eine Frau, bei der sich ein Versuch lohnen könnte, dachte er.

      Bis ihm einfiel, dass sie mehr als zehn Jahre nach ihm auf die Welt gekommen war. Die würde sich hüten, sich mit einem alten Knacker...

      „Hast du noch einen Wunsch?“, fragte sie. Natürlich hatte sie seinen taxierenden Blick bemerkt.

      „Nein! Nur, äh, ich muss Urlaub nehmen“, brachte er schließlich heraus. „Ich weiß“, antwortete sie nur.

      „Du weißt? Ach so, natürlich. Das Buschtelefon.“

      Sie lächelte kurz. „Ich muss das wissen. Wie sollte ich sonst die Termine einteilen?“ „Ja. Klar“, antwortete Krüger.

      Sie blieb immer noch stehen. „Wenn ich nur wüsste, was ich während vier Wochen machen soll?“, seufzte er.

      Jetzt lachte sie laut auf. „Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Dass ich einen ganzen Monat Ferien bekomme und keine Ahnung habe, was ich machen soll.“ „Was würdest du denn machen?“, fragte er so beiläufig, wie möglich. „Baden, sonnen. Mit meinen Freundinnen ausgehen. Für diese Zeit würde ich sogar ins Ausland fahren. Die Freiheit genießen. Ach, ich könnte auch zwei Monate“, geriet sie ins Schwärmen.

      „Hm“, brummte Krüger über die Tasse.

      „Meer, Sand“, fuhr sie fort. „Neue Orte, andere Kulturen.“ „Was ist mit neuen Männern?“, konnte sich Krüger nicht verkneifen.

      Sie stutzte. Ein wenig Farbe schoss in ihr Gesicht. „Ja, das auch“, gab sie zu. Drehte sich um und verschwand.

      Freiheit, überlegte Krüger. Freiheit ist das Gegenteil von ... Er brauchte einen Moment, um ein Wort zu finden. Von eingesperrt? Oder? Nein, von Gefangenschaft.

      Nachdenklich sah er sich in seinem Büro um. Möglicherweise hatte sie ihm doch geholfen.

      ***

      Noch am gleichen Abend packte er seinen abgegriffenen Lederkoffer. Viel wollte er nicht mitnehmen. Andererseits wie sollte er dann Wäsche für einen ganzen Monat dabeihaben.

      Er beschloss, sich einfach unterwegs immer das Notwendige zu kaufen. Damit konnte er gleich noch seine Garderobe komplettieren. Viel Brauchbares besaß er ohnehin nicht mehr, seit Nadja ihm nichts mehr kaufte.

      Wie befürchtet. Sobald er nicht mehr arbeiten durfte, tauchte Nadja auf. Die eine wie die andere. Grübeln über seine Beziehungsunfähigkeit oder über seine Fahrkünste? Krügers Brust wurde eng.

      Sollte er jetzt wieder nur noch auf seinen Katastrophen herumkauen? Besser wieder einmal ausgehen. Ein oder zwei Bier konnte er sich leisten.

      Warum nicht? Wen könnte das interessieren, wenn er morgen nicht aufstand, fiel ihm ein. Es musste doch möglich sein, dass er wieder ganz normal auf ein Bier ging, ohne sich gleich sinnlos zu besaufen.

      Ein Ziel für diesen Urlaub. Wieder normal trinken zu lernen. Vorsichtshalber besuchte er ein Lokal, in dem er noch nie gewesen war.

      Allein an einem Tisch sitzend, dachte er krampfhaft darüber nach, wie er den morgigen Tag verbringen wollte. Um die drückenden Gedanken zu verscheuchen. Einmal losfahren. Zum Bodensee, deutsche Seite. Dann sehe ich weiter. Angeln und Wandern. Ein einfaches Hotel zum Übernachten. Zu Fuß gehen. Seine Kondition hatte ohnehin deutlich nachgelassen.

      Wieder einmal einen ganzen Tag über Berge und Täler streifen. Insgeheim gestand er sich ein, dass er auch im Urlaub offenbar nur Sinnvolles tun wollte. Aber einmal bleibe ich einige Stunden einfach auf einer Bank sitzen, nahm er sich fest vor.

      Sein erstes Bier stand leer vor ihm. Mit einem Wink orderte er ein Neues. Wie gut dieser erste Schluck geschmeckt hatte, unglaublich.

      Wann war ich zum letzten Mal in einem Museum? Als Junge hatte er sich doch für Archäologie interessiert. Ägypten. Die Pyramiden. Oder sogar die illegalen Schatzsucher in Deutschland, die ab und zu für Schlagzeilen sorgten. Das wäre doch was für die Bildzeitung, dachte er: Hauptkommissar bei illegaler Ausgrabung erwischt. Seine Laune besserte sich. Noch einen Kurzen, dann Schluss für heute.

      Er fühlte sich richtig stolz, als er das Lokal verließ. Er hatte es geschafft, rechtzeitig aufzuhören. Jetzt wusste er, dass es möglich war, die Sauferei zu kontrollieren.

      Er würde sein Leben wieder in den Griff bekommen. Die Probleme lösen, nicht bloß verdrängen.

      Bis auf Nadja Siller. Das ließ sich nicht mehr lösen.

      Von der Psychologin hatte er gehört, dass Überlebende von großen Unglücken sich immer die Frage: „Warum bin ich am Leben“, stellten. Es gibt keine kollektive Schuld. Es ist einfach Schicksal, hatte sie gesagt.

      In seinem Fall traf das natürlich nicht zu. Er hatte nicht aufgepasst. Wenigstens musste sie nicht mit entstelltem Gesicht durch die Welt laufen, fiel ihm ein. Sofort schämte er sich für diesen Gedanken.

      ***

      Kurz vor Mittag erreichte er Lindau. Er hatte erstaunlich gut geschlafen. Möglicherweise konnte er doch noch lernen, mit seiner Situation umzugehen.

      Wie vorgenommen, stellte er sein Auto ab und besuchte zu Fuß die Insel. Mehrere Stunden streifte er herum. Schon beim ersten Versuch, gelang ihm, ein Zimmer für zwei Tage mieten. In einer Pension auf der Insel. Zimmer mit Seeblick in einem echt historischen Bürgerhaus.

      Der erste Urlaubstag war perfekt verlaufen. Auch für das Abendessen fand er ein gemütliches Restaurant. Er bestellte ein üppiges Fleischgericht mit einem halben Liter Rotwein dazu. Zuletzt gönnte er sich einen Schnaps.

      Ohne Probleme konnte er danach mit dem Alkohol gleich wieder aufhören. Wie früher, noch vor der Zeit mit Nadja. Alles schien vollkommen. Schade nur, dass er es mit niemandem teilen konnte.

      ***

      Über Nacht hatte das Wetter umgeschlagen. Krüger blieb zuerst lange beim Frühstück sitzen, danach spazierte er aufs Neue durch die engen Gassen, Lindaus. Natürlich ohne Regenschirm. An sowas hatte er nicht gedacht, beim Packen. Ein Mann brauchte eigentlich gar keinen Schirm, dachte er sich. Ist eher für Weicheier.

      Schon nach wenigen Minuten sickerte ihm das Regenwasser in den Kragen. So hatte er sich das doch nicht vorgestellt. Ideales Wetter für einen Museumsbesuch, ging ihm durch den Kopf.

      Dass er in Lindau so viele Museen finden würde, hätte er nicht erwartet. Den ganzen Tag strich er zwischen Gemälden und antiken Möbeln herum. Dazwischen gönnte