Der verborgene Erbe. Billy Remie

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Название Der verborgene Erbe
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия Legenden aus Nohva 5
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742739742



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sein.«

      Arrav fühlte sich wie geohrfeigt, ließ es sich jedoch nicht anmerken.

      Eagle seufzte schwer. »Ich meine, mir ist es gleich, wer bei wem liegt, es kümmert mich keineswegs. Und wenn alle Frauen bei Frauen liegen und alle Männer bei Männern, warum sollte ich mich dadurch gestört fühlen? Jedoch weiß ich sehr genau, was ich will. Vielleicht sogar zu genau, um eine passende Gefährtin zu finden.« Er scherzte auflachend, um seine schwermütige Stimmung zu überspielen: »Und ich weiß ziemlich genau, dass mich ein kratziger Bart beim Küssen stören würde.«

      Unwillkürlich fuhr sich Arrav über seinen Bart.

      »Aber von dieser Art Einsamkeit sprach ich ohnehin nicht«, gestand Eagle leise und wieder vollkommen ernst. »Alle erwarten etwas von mir als Prinz, vor allem meine engsten Freunde. Jeder hat seine Meinung, jeder weiß, wie er es besser machen könnte. Man ist plötzlich alles, nur kein Freund mehr. Keiner will mehr reden, alle wollen nur ihre Ansichten durchsetzen und mich als Sprachrohr benutzen. Keiner fragt, was ich denke, und sage ich es, wollen sie mich belehren. Ich bin zwar Prinz, doch wusste ich nicht, dass ich dadurch jegliche Macht verliere.«

      »Ihr müsst Ihnen zeigen, dass Ihr aus gutem Grund der Prinz seid, sonst hören sie nie auf Euch.«

      Aufmerksam hob Eagle den Blick. »Was bedeutet das?«

      Arrav senkte den Kopf und nagte an seiner Lippe. »Darf ich offen sprechen?«

      »Ihr habt die Erlaubnis«, Eagle machte eine drängende Handgeste, als wolle er Arravs Worte aus ihm herauswinken, »so sprecht frei und ehrlich.«

      In jenem Moment stieg Eagles Ansehen bei Arrav immer weiter.

      »Hört zu, mein Prinz«, Arrav lehnte sich auf die Tischkante, Eagle tat es ihm gleich, mit wachem, interessiertem Blick. »Wir alle wissen, was Ihr getan habt, vor allem Eure Männer. Viele sind begeistert, dass Ihr das Wohl aller anderen über das Leben Eurer eigenen Mutter gestellt habt. Doch Zweifel stellten sich ein, ob Ihr nicht einfach nur ein Tyrann seid.«

      Eagle wurde augenblicklich leichenblass. »Ein Tyrann?«

      »Ich weiß, Ihr hört es immer wieder, aber Eure Freunde haben in einem Recht: Ihr solltet zu Euren Männern sprechen, damit sie sehen, wer Ihr seid.«

      »Und wenn ich etwas Falsches sage?«

      »Das werdet Ihr.«

      Eagle blinzelte überrascht.

      »Für den ein oder anderen werdet Ihr das Falsche sagen«, erklärte Arrav wissend, »weil Ihr niemals in der Lage sein werdet, es allen Recht zu machen. Dem einem gefällt, was ihr sagt und versprecht und plant, dem anderen wird es missfallen.«

      Frustriert ausatmend schüttelte Eagle den Kopf, er wandte den Blick zur Seite und starrte in die dunkle Küche.

      »Aber das darf Euch nicht kümmern. Letztlich zählt nur, dass Ihr der Prinz seid. In Eurer Pflicht steht es, Eure Untertanen stets daran zu erinnern, und Ihnen zu beweisen, dass Ihr aus gutem Grund der Erbe seid. Sie mögen Zweifel haben, aber zeigt Ihnen niemals, dass auch Ihr Zweifel habt. Sie müssen denken, dass Ihr, bei allem was Ihr entscheidet, voll und ganz von Eurer Entscheidung überzeugt seid. Seid Ihr stark, sind es Eure Männer auch.«

      Wieder aufmerksam geworden, sah Eagle Arrav erneut ins Gesicht.

      »Seid offen für Ratschläge, gebt Euch nicht zu arrogant, ignoriert die Meinungen und Wünsche Eurer Freunde, Verbündeten und Untertanen niemals, aber beweist auch Stärke und Mut. Ihr seid der Prinz, nehmt Vorschläge an, habt jedoch auch den Willen, Eure eigenen Pläne zu schmieden. Auch wenn Ihr viele durch Eure Entscheidungen verärgert – das könnt Ihr nicht verhindern – werden viele auch dann zu Euch stehen, wenn Ihr ihnen beweist, dass Ihr das Zeug zum Herrschen habt.«

      Eagle schüttelte verzweifelt den Kopf. »Wie?«

      »Indem Ihr Eure eigenen Entscheidungen trefft, darauf besteht, dass man Euch vertraut, und indem Ihr das Vertrauen Eurer Untergebenen nicht missbraucht. Zeigt ihnen, dass Eure Pläne aufgehen, zeigt ihnen allen, dass Ihr wisst, was Ihr tut.«

      »Und wenn ich Fehler mache?«

      »Jeder gute Mann macht Fehler«, warf Arrav ein. »Und wenn etwas schiefgeht, zeugt es auch von Stärke, den Fehler einzugestehen, und um weitere Ratschläge zu bitten. Vergesst aber nicht, Ihr seid der Prinz, niemand steht über Eurem Wort.«

      Eagle runzelte nachdenklich seine Stirn, während er gründlich darüber nachdachte. Immer deutlicher sah Arrav, wie sich die Schultern des müden Prinzen strafften, als schöpfte er neuen Mut.

      Und Arrav hatte noch mehr zu sagen.

      »Rahffs größtes Problem war die Kirche«, erklärte er dem jungen Erben, »er hat sich entschlossen, seine Stärke aus dem Bündnis mit der Religion zu ziehen. Um seine Macht nicht zu verlieren, hielt er die Füße still. Wenn Ihr meinen ehrlichen Rat hören wollt, dann macht nicht den gleichen Fehler wie er. Ihr seid König, oder werdet es sein, und nichts darf über Euch stehen.«

      Eagle hörte ihm aufmerksam zu.

      »Akzeptiert die Existenz der Kirche, toleriert den Glauben Eurer Völker, aber lasst nichts davon Macht über Euch oder Eure Entscheidungen haben. Akzeptiert den Einfluss des Adels, doch lasst ihn nicht über Euch stehen oder gar mit Euch spielen. Achtet Eure Verbündeten, doch lasst sie nicht über Euch richten. Ihr müsst ein anpassungsfähiger König sein. Zeigt Stärke und Entschlossenheit, aber auch Güte und Gnade. Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass Ihr genau wisst, was Ihr tut. Zeigt Selbstvertrauen. Lernt, zwischen dem schmalen Grat von Tyrannei und Konsequenz zu balancieren. Ihr seid der König, und nur Euer Wille zählt.«

      Nachdenklich und ein wenig zweifelnd nagte Eagle an seiner Lippe. Arrav streckte eine Hand über den Tisch und drückte Eagles kräftigen Unterarm, er lächelte den Erben an.

      »Und wenn ich Euch so ansehe«, sagte Arrav aufrichtig, »hege ich keinen einzigen Zweifel daran, dass diese Stärke in Euch wohnt. Lasst Euch von niemanden verunsichern. Nur Euer Wort ist Gesetz, vergesst das nicht. Macht von Eurer Stellung gebrauch, zeigt Ihnen, auch dem Blutdrachen, dass Ihr der König seid, auf den alle gewartet haben, und sie werden Euch folgen.«

      6

      »Was, im Namen der Götter, geht hier vor sich?« Cocoun trat im Morgenmantel mitten in der Nacht aus dem Palast und sah ungläubig dabei zu, wie die Kutsche des Lords und seine Leibgarde auf den gepanzerten Pferden vor ihm zum Stehen kamen.

      »Vater!«, bellte er, als der Lord von Dargard aus der Kutsche stieg. Eine Leibgarde in Eisenrüstung stützte den gebrechlichen Mann dabei, der die Röcke seines edlen Gewands raffte, um vom Trittbrett steigen zu können.

      »Mein Sohn hat während meiner Abwesenheit mal wieder seine Manieren verloren, fürchte ich«, sagte der Lord mehr zu sich selbst. Seine Leibgarde lächelte gefühllos.

      Cocoun trat vor seinen Vater und sah ihn scharf an. »Warum verweilt Ihr nicht länger an des König Seite?«

      Der Schall der Ohrfeige, die Cocouns Wange traf, ließ ganz zu seinem Leidwesen alle Bewegungen um ihn herum erstarren. Die Dienerschaft und die gepanzerten Ritter sahen alle zu ihnen hinüber, während Cocoun sich die Wange hielt und vor lauter Scham nicht wagte, aufzusehen. Erst als der Lord mit der Hand winkte, kam wieder Bewegung in die gaffenden Leiber.

      »Zunächst einmal hast du mich anständig zu begrüßen, Sohn!«, herrschte der Lord Cocoun an, »außerdem dulde ich gewiss nicht, dass du in diesem Ton mit mir sprichst. Ich bin dein Vater! Zolle mir Respekt!«

      Cocoun knirschte mit den Zähnen. Wie gerne er den Alten doch vor allen Augen niedergeschlagen hätte! Doch trotz körperlicher Überlegenheit hatte Cocoun seit seiner Geburt Angst vor seinem alten Herrn. Jene Furcht war nicht leicht zu überwinden.

      Er richtete sich seinem Vater gegenüber auf und sah über dessen Schulter hinweg trotzig an ihm vorbei, wahrte aber stolz seine Haltung, nicht willens,