Der verborgene Erbe. Billy Remie

Читать онлайн.
Название Der verborgene Erbe
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия Legenden aus Nohva 5
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742739742



Скачать книгу

er stirbt, und Euch die Schuld gegeben wird, wäre unsere Stadt zu schwach, um sich zu verteidigen. In der Einheit liegt die Stärke, mein Lord. Wir müssen alle Eurem Vater dienen, solange er hier verweilt.«

      Cocoun sah seinem Vater mit Wuttränen in den Augen nach. Er wusste, dass Seaks ihn gerade vor einem schweren Fehler bewahrt hatte, würde sich jedoch gewiss nicht dafür bedanken; zu sehr hatte er es gewollt.

      »Wie war Euer Vater, Seaks?«, fragte Cocoun, ohne sich umzudrehen.

      »Ein Trunkenbold, der seine Verbitterung darüber, im Leben nichts erreichen zu können, an mir ausließ«, antwortete Seaks.

      Sie teilten also etwas, auch wenn es keine schöne Gemeinsamkeit war. Doch aus Erfahrung wusste Cocoun, dass die finsteren Gemeinsamkeiten stärker verbanden, als die schönen.

      »Ihr sagtet einst, Eure große Liebe wäre diese Stadt«, erinnerte sich Cocoun. »Sicher würdet Ihr dann auch alles tun, um sie zu beschützen.«

      »So ist es, mein Lord.«

      »Und wenn der Lord für die Stadt die größte Bedrohung darstellt?«

      »Euer Vater ist alt«, sprach Seaks auf ihn ein. »Um ihn seiner Macht zu berauben, braucht Ihr keinen Mord zu begehen.«

      »Was wurde aus Eurem Vater, Hauptmann?«

      »Er wurde dabei erwischt, wie er Wein aus dem Palast stahl. Euer Vater ließ ihn in den Kerker sperren. Er sitzt noch immer dort, und behauptet wütend, jemand hätte ihm eine Falle gestellt.«

      Cocoun drehte sich mit einem Lächeln zu Seaks um. »Ich glaube, ich verstehe, worauf Ihr hinauswollt.«

      7

      Nach dem Gespräch mit Arrav, war es für Eagle unmöglich, Schlaf zu finden. Voller Tatendrang wälzte er wieder die Bücher in der Bibliothek, durchforstete Schriftrollen mit allerlei Aufzeichnungen großer Herrscher, um so viel wie möglich über Taktiken und politisches Geschick zu lernen. Er wollte nicht aus einer Laune heraus eine Entscheidung treffen, die für ein ganzes Land viele Konsequenzen haben konnte.

      Alles, was er in Zukunft plante, würde Nohvas Schicksal bestimmen. Dabei hatte er oberflächlich betrachtet nur die Wahl zwischen Krieg oder Verhandlung. Er musste abwägen, wo er mit Verhandlungen weiterkam, und wo ihn unweigerlich Krieg erwarten würde. Er hatte gewiss nicht vor, für seine Ansichten noch mehr Leben zu opfern, dann wäre er nicht besser als seine Feinde, jedoch war er nicht so naiv, zu glauben, dass er mit Diplomatie jeden Feind bezwingen konnte. Sie würden ihm wohl kaum die Herrschaft über Nohva überlassen, nur weil er ihnen gute Argumente vorlegte.

      Nein, was Eagle brauchte, und was er in den Büchern und Schriftrollen verzweifelt suchte, war etwas, das ihm helfen sollte, weniger Kämpfe als wirklich nötig zu verursachen, um die Krone zurückzuerobern. Er wusste, dass es nicht leicht werden würde, doch er gab die Hoffnung nicht auf, dass ihm irgendwann ein Geistesblitz treffen würde, der ihm zu einem weniger blutigen Sieg verhalf, wie Desiderius ihn sich erhoffte.

      Wenn es nach dem Blutdrachen ginge, würden sie einfach systematisch jeden Feind niederstrecken. Erst die Schavellens, dann Rahff. Doch Eagle fürchtete, dass ihnen dazu die Truppen fehlten. Natürlich waren ihre Feinde geschwächt, doch selbst wenn die Rebellen sich ihnen anschlossen, waren sie zahlenmäßig immer noch unterlegen.

      Jedoch waren ihre Männer frische, enthusiastische Kämpfer, während Rahffs und Schavellens Truppen müde und das Kämpfen leid waren.

      Ein Sieg war für beide Seiten ungewiss.

      Und die Armeen seiner Feinde waren nicht einmal Eagles einzige Sorge. Der Kampf gegen die Dämonen würde ihre Zahl weiter dezimieren. Er musste also genau abwägen, wann sich ein Kampf gegen wen lohnte, denn mit Diplomatie würde er die Dämonen gewiss nicht dazu bringen, zurück in die Unterwelt zu gehen, da hätte er vermutlich sogar mehr Chancen, Rahff die Krone für einen Sack Mehl abzuschwatzen.

      Es war keine leichte Aufgabe, das Für und Wieder abzuwägen und einen guten Plan zu schmieden. Zumal Cohen nur vom Kampf gegen die Dämonen sprach, und Desiderius nur daran dachte, Rahff mit Gewalt niederzuknüppeln. Eagles engste Berater und Freunde waren ihm zurzeit also keine große Hilfe, obwohl er ihren Rat natürlich schätze und berücksichtigte.

      An der Unterlippe nagend hing er über einem Buch, in dem er über die Schlachtfeldtaktiken der Elkanasai las, verfasst von einem legendären luzianischen General, zu Zeiten eines weniger gefährlichen Konfliktes des Kaiserlands mit Nohva.

      In der Geschichte hatten die Elkanasai oft versucht, das heilige Land Nohva zurückzuerobern, von den – in ihren Augen – niederen Menschenvölkern zu befreien, und die Luzianer wieder zu unterjochen. Sie waren jedoch immer wieder kläglich gescheitert. Laut des Generals und Autor des Buchs lag dies an der nohvarianischen Stärke, wobei diese sich fast ausschließlich auf die Einheit der Völker bezog.

      Wir sind ein buntgemischter Haufen unterschiedlicher Völker, aber wir sind viele. Viele starke Kämpfer, gegen einen gemeinsamen Feind. Sie können uns nicht bezwingen, weil wir trotz Unterschiede fest zusammenhalten. Weil wir alle ein gemeinsames Ziel haben: Freiheit. Weil wir unsere Schwächen durch die Stärken anderer ausgleichen. Weil wir Eins sind. Schrieb der Verfasser des Textes.

      Außerdem besaß Elkanasai fast ausschließlich Sklavenarmeen, während in Nohva stets freie Männer kämpften. Der Kampfgeist konnte auf dem Schlachtfeld manchmal eher einen Sieg erringen, als eine zahlenmäßige Überlegenheit.

      Eagle ließ sich diese Weisheit einen Moment durch den Kopf gehen. Auch seine Männer waren willig, in die Schlacht zu ziehen und gegen ihre Feinde anzukämpfen, während Rahffs Truppen derart zweifelten, dass viele fahnenflüchtig wurden.

      Ein müder Soldat, der nur den Krieg kennt, und dadurch alles verloren hatte, kämpfte wohl kaum noch mit dem Herzen für seinen Herrscher. Aber darauf konnte Eagle sich nicht verlassen. Es gab gewiss noch genug Männer, die bis auf den Tod ihre Heimat vor jedem Feind verteidigen würden, ganz gleich, was sie von Rahff halten mochten.

      Der zähe Feind, ist des Taktikers Schwäche.

      Eagle konnte eine Schlacht noch so sehr durchplanen, irgendetwas konnte stets schieflaufen, und selbst wenn er mit Gewissheit siegte, brachte ihn ein Sieg nichts, wenn seine Truppen danach so stark dezimiert waren, dass er weder weiter angreifen, noch sich verteidigen konnte. Und selbst mit List, selbst wenn sie durch Desiderius in Drachengestalt ihren Feinden Angst einflößten, es benötigte nur ein paar hundert mutige Männer, die standhielten, und Eagle würde seines Vorteils beraubt werden.

      Auch Blutdrachen konnten sterben.

      Aber die Taktik während der Schlacht war nicht das einzige, das einem Heerführer den Sieg bringen konnte. So schriebt der General, dass der kluge Taktiker schon Wochen vor der eigentlichen Schlacht einen Feldzug führt. Einen geheimen. Denn der klügere Feind schwächt die Truppen des Gegners noch vor dem Krieg. Eagle musste anfangen, sich auszurechnen, wie viele Ressourcen Rahff zur Verfügung hatte, und wie er sie verringern konnte. Da er darüber nicht informiert war, nicht einmal ahnte, woher und wie viel Rahff an Vorräten erhielt, konnte er nur spekulieren. Er würde mit den Fahnenflüchtigen Menschen aus dem Gebirge reden, um mehr zu erfahren.

      Laut Desiderius war die Schwarzfelsfestung uneinnehmbar. Wenn sie es widererwarten dorthin schafften, und Rahffs Versorgungswege abschnitten, gelang es ihnen vielleicht, die Burg solange zu belagern, bis Rahff freiwillig aufgab.

      Doch Eagle griff zu weit vor, er musste sich bremsen. Bevor sie ins Gebirge gelangten, mussten sie Schavellen ausschalten, damit dessen Truppen ihnen nicht in den Rücken fallen konnten. Außerdem war noch nicht geklärt, was mit dem Wüstenvolk geschehen sollte. Eagle wusste nicht, ob sie Feinde oder Freunde waren.

      Seine Gedanken überschlugen sich und drohten, seinen Kopf zum Zerbersten zu bringen. Er verstrickte sich in zu vielen Überlegungen, wusste nicht mehr, wo er eigentlich anfangen sollte. Er war in jenem Moment froh, sich nicht noch Gedanken um die Schwarze Stadt machen zu müssen.

      Desiderius