Abraham. Martin Renold

Читать онлайн.
Название Abraham
Автор произведения Martin Renold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847699408



Скачать книгу

Abram, der sich von Tag zu Tag immer mehr in seine schöne Frau zu verlieben schien, verbrachte auch mehr Stunden mit ihr, als Terach lieb war. Zudem suchte Abram auch jetzt noch hie und da seinen Lehrer Sin-Ta auf. So musste Nahor oft die doppelte Arbeit verrichten. Doch er liebte seine Arbeit so sehr, dass er es den Brüdern nicht übel nahm, wenn sie sich die Zeit für ihre Frauen stahlen.

      Terach staunte über Nahor. Arbeitsam und verantwortungsvoll war er ja schon immer gewesen. Aber dass er sich nun so für seine Brüder aufopferte, wunderte ihn schon. Sollte er nicht als gewissenhafter Vater für Nahor, der selber keine Zeit dafür fand, eine Frau suchen? Er stellte sich die Töchter seiner Kunden vor, eine nach der andern, alle, die er kannte. Doch die einen waren schon verheiratet, die andern waren zu jung oder schienen sonst aus irgendwelchen Gründen nicht geeignet. Eigentlich war es für das Geschäft ja ganz gut, dass Nahor sich nicht auch wie die andern beinahe mehr mit ihren Frauen als mit der Arbeit beschäftigte. Und so ließ er denn alles beim Alten. Sollte Nahor doch selber dafür sorgen, wenn er es für nötig hielt.

      Abram hätte seinem Bruder Nahor gerne auch ein solches Glück gewünscht, wie es ihm nun zuteil geworden war. Hatte er denn kein Verlangen nach einer Frau und einer eigenen Familie? Nun, er selbst hatte in seinem Alter ja auch nicht daran gedacht.

      Haran hingegen hielt seinen Bruder für einen hölzernen Klotz, wie jene Holzstücke, die er bearbeitete. Allerdings, aus Nahor würde wohl nie ein Gott werden.

      Groß war dann das Glück für Haran, als Lea ein gutes Jahr nach Milkas Geburt wieder niederkam und einen Knaben gebar. Haran und Lea nannten ihn Lot.

      Zwei Jahre später wurde Lea wieder schwanger. Sarai freute sich für ihre Schwägerin, die ihr zu einer Freundin geworden war. Sie war aber auch ein wenig traurig, denn ihr war dieses Glück bisher noch nicht beschieden.

      Sie waren ja eine einzige große Familie. Sarai spielte und lachte mit Milka und Lot genauso wie Lea und liebte die Kinder, aber sie wünschte sich, wie jede Frau, eigene Söhne und Töchter. Und auch Abram hätte gerne eigene Nachkommen gehabt. Doch sie nahmen beide, wenn auch mit leiser Wehmut, teil an Harans und Leas Glück.

      Wie schnell aber kann das Glück zerbrechen wie ein tönerner Krug, wenn man nicht achtsam ist und ihn auf einen harten Boden fallen lässt! Oft zerbricht das Glück auch trotz aller Achtsamkeit. Dann ist es, als würde der Krug von unsichtbarer Hand von einem sicheren Regal heruntergestoßen.

      Alle freuten sich auf Leas Niederkunft. Als es so weit war, es geschah mitten in der Nacht, standen Sarai und ihre Schwiegermutter dabei und schauten der Hebamme zu und halfen ihr. Es war eine schwere Geburt, und es dauerte lange, bis das Kind geboren war und zu schreien begann, Schreie der Erlösung, aus der finsteren Höhle des Mutterleibs an das Licht gekommen zu sein, auch wenn es nur das einer kleinen Öllampe war. Sie leuchtete immerhin so hell, dass man sah, es war ein Mädchen. Doch niemand bemerkte im Augenblick der Freude über die Geburt, wie Lea kreidebleich geworden war. Sie blutete, und das Blut wollte nicht aufhören zu fließen.

      Sia bemerkte es zuerst, während die Hebamme noch damit beschäftigt war, die Nabelschnur von dem Neugeborenen zu trennen. Sie rief Haran von der Wohnstube, wo die Männer warteten, herauf.

      Die Hebamme hatte das Mädchen in Sarais Arme gelegt und versuchte nun Lea zu helfen.

      Sarai wusch das Mädchen und trocknete es mit den bereitgelegten Tüchern ab.

      Haran beugte sich über Lea.

      »Hörst du mich?«, fragte er ängstlich und ahnte doch schon, dass das Schlimmste geschehen war.

      Lea hörte ihn nicht. Sie bewegte ihre blutleeren Lippen nicht, und auch ihre Augen waren starr.

      Haran schrie auf, als er sah, dass Lea bereits tot war.

      Auch Terach und Nahor waren heraufgekommen und betrauerten nun die Tote.

      Sarai stand ein wenig abseits mit dem Neugeborenen in den Armen. Ihre Tränen fielen auf das rote, verschrumpelte Gesichtchen des Kindes.

      »Ich werde dir eine gute Mutter sein«, flüsterte sie dem Mädchen in das winzige Öhrchen. Doch das Kind schrie, als wüsste es, dass seine richtige Mutter bereits in jener Welt lebte, aus der es eben auf diese Erde gekommen war.

      Sarai verließ den Raum, wo alle noch um Lea herumstanden, und ging mit dem Kind in die Wohnung im unteren Stockwerk hinab. Bereits dämmerte der Morgen.

      In Terachs Haus herrschte an diesem Tag eine rege Betriebsamkeit. Für das Kind musste man eine Amme besorgen. Leas Eltern waren zu benachrichtigen. Und der Leichnam Leas musste bestattet werden.

      Das Neugeborene hatte noch keinen Namen. Niemand wagte, Haran in seiner Traurigkeit zu stören und zu fragen.

      Erst als Milka ihren Vater sanft am Knie berührte, schaute er auf.

      »Wie heißt mein kleines Schwesterchen?«, fragte sie.

      »Jiska«, antwortete Haran mit würgender Stimme. Der Schmerz drückte ihm die Kehle zu, und neue Tränen rannen ihm über die Wangen.

      Lea hatte gewünscht, dass, wenn es ein Mädchen werden sollte, es nach ihrer Mutter genannt würde.

      »Das ist ein schöner Name«, sagte Milka, die noch nicht verstand, was geschehen war, und entrang damit ihrem Vater ein gequältes Lächeln. Er legte seine Hand auf Milkas schwarzes Haar und strich liebevoll darüber.

      Sarai konnte der kleinen Jiska, der sie sich nun in ganz besonderer Weise verbunden fühlte, die Mutter nur teilweise ersetzen. Schmerzlich, wenn die Amme das Kind stillte, wurde sie daran erinnert, dass es nicht ihr eigenes Kind war. Wie schön wäre es, wenn sie zur gleichen Zeit ein Kind geboren hätte, wie gerne würde sie dann ihre Brust den beiden Kindern geben. Sie betrachtete die Amme fast ein wenig eifersüchtig, als ob diese schuld wäre, dass ihr der Schoß verschlossen und das Mutterglück versagt blieb.

      Die Sorge um Jiska und das fröhliche Treiben der Kinder, das bald wieder nach Leas Bestattung eingesetzt hatte, tröstete ein wenig die Familie über den Schmerz hinweg. Am meisten aber litt Haran unter dem Verlust. Auch in der Arbeit fand er keine Ablenkung. Nahor musste noch mehr als zuvor für ihn einspringen. Erst mit der Zeit, als er feststellte, dass Haran ähnlich wie früher wieder in die Stadt ging und sich, wer weiß wo, vielleicht sogar in den Kneipen herumtrieb, stellte er seinen Bruder einmal zur Rede. Doch der wollte ihm nicht zuhören. Er solle sich nicht in sein Leben einmischen. Er wisse schon, was er zu tun habe. Auch Terachs Mahnungen nützten nichts. Er werde schon wieder zurechtkommen, erklärte er dem Vater.

      Abends, wenn er daheim war, spielte Haran mit Milka und Lot, doch die Fröhlichkeit, wie früher, kam nicht mehr. Er konnte nicht mehr mit den Kindern lachen. Um Jiska kümmerte er sich kaum. Es war, als gäbe er ihr die Schuld, dass Lea gestorben war.

      Es kam eine heftige Regenzeit. Es wollte nicht mehr aufhören, aus den dunklen Wolken zu gießen. Der Euphrat trat über die Ufer, und es schien, als käme die Sintflut, von der die Alten noch erzählten, zurück. Das Land wurde überschwemmt. Viele Tiere, aber auch Menschen kamen in Not.

      Haran schloss sich einigen Männern an, die vor die Stadt hinauszogen, um Menschen und Tiere zu retten. Er zeigte großen Mut und trotzte jeder Gefahr. Es war, als setzte er absichtlich sein Leben aufs Spiel.

      Er wagte sich zu weit hinaus und wurde, als er seine Hände nach einem im Fluss treibenden Schaf ausstreckte, von einem Baum, der, von ihm ungeachtet, mit dem Geäst voraus auf ihn zukam, mitgerissen. Er wurde unter das Wasser gedrückt. Er griff nach einem Ast und versuchte sich hochzuziehen. Aber er konnte den Atem nicht anhalten, und das Wasser drang ihm in Mund und Nase. Auf einmal war ihm, er habe dies alles schon einmal erlebt. Damals, in der Nacht, bevor die Sonne sich verfinsterte, hatte er geträumt, dass er im Euphrat ertrinke. Wie ein Blitzstrahl, so schnell, ging ihm diese Erinnerung durch den Kopf. Mit letzter Kraft zog er sich an dem Ast, den er nicht losgelassen hatte, hoch, und sein Kopf kam über das Wasser. Er wollte Luft einatmen, aber ein krampfhafter Husten hinderte ihn daran. Plötzlich fühlte er, dass er auf etwas Hartes stieß. Dann verlor er das Bewusstsein. Als seine Kameraden ihn herausholten, war er zwischen Geröll und Zedernstämmen, die von den Bergen herab angeschwemmt