Название | Sonne am Westufer |
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Автор произведения | Fabian Holting |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847631798 |
»Sie werden sich wahrscheinlich fragen, ob dein Mann dich eingeweiht hat, was es auch immer sein mag. Vielleicht nehmen sie noch direkt Kontakt zu dir auf.« Bessell sah an Nicoles Miene, dass er sie mit dieser Vermutung noch mehr beunruhigt hatte. Dann fügte er hinzu:
»Aber da ihr euch trennen wolltet und sie das vermutlich wussten, werden sie nicht wirklich davon ausgehen, dass du im Bilde bist.« Bessell musste an den BMW denken, den er an dem Abend gesehen hatte. Eigentlich klang das alles wie eine Räuberpistole und schwer vorstellbar. Doch alles, was die Sache erklärlicher gemacht hätte, löste sich in Wohlgefallen auf. Ein Raubmord wäre schrecklich, aber nicht ganz ungewöhnlich gewesen. Doch Favalli hatte gesagt, dass Herrn Hengartner nichts gestohlen wurde unten am Strand. Dann hätte es tatsächlich ein Beziehungsmord sein können, schließlich hatte Nicole allen Grund gehabt, ihren Mann aus dem Weg zu räumen, nicht zuletzt des Geldes wegen, dass sie sonst bei einer Scheidung nicht bekommen hätte. Und jetzt der Wohnungseinbruch, der alles in einem ganz anderen Licht erscheinen ließ. Es klingelte an der Haustür. Nicole fuhr erschrocken zusammen.
»Das wird die Polizei sein«, sagte Bessell ruhig, weil er Nicoles ängstlichen Blick wahrgenommen hatte. Es war tatsächlich die Polizei, ein Streifenpolizist. Sein Kollege näherte sich bereits Nicoles Haustür, die nur angelehnt war. Bessell sprach mit ihm italienisch. Er erklärte, dass jemand drüben in der Wohnung war und alles durchsucht haben musste. Der Polizist fragte, ob sie schon etwas angefasst hätten und ob etwas gestohlen wurde. Nicole kam dazu und sagte freundlich Guten Abend. In ihrem holprigen Italienisch bedeutete sie dem Polizisten mit ihnen gemeinsam hinüberzugehen, um sich alles genau anzusehen. Der zweite Polizist stand vor der Haustür und telefonierte. Als sie näher traten, nickte er ihnen freundlich zu. Da die Polizisten offenbar nur schlecht deutsch verstanden, ließ Nicole Bessell übersetzen. Sie erklärte, dass sie die Haustür ganz sicher abgeschlossen hatte und dass das beim Nachhausekommen nicht mehr der Fall war. Die Haustür war lediglich ins Schloss gefallen. Der Polizist ließ sich von ihr den Hausschlüssel geben. Da er noch keine Handschuhe angezogen hatte, nahm er ein unbenutztes Taschentuch und zog die nur angelehnte Tür wieder ins Schloss. Er nahm eine kleine Taschenlampe aus der Beintasche seiner Hose. Im kleinen Lichtkegel der Taschenlampe betrachtete er das Schloss. Es waren keine Aufbruchsspuren zu erkennen. Dann probierte er den Schlüssel. Drehte ihn mehrere Male hin und zurück und sah dabei horchend in die Luft, so als würde er versuchen, die Zahlenkombination eines Tresors zu knacken.
»Wahrscheinlich war da jemand dran und hat das Schloss nur leicht beschädigt«, sagte er auf Italienisch und sah dabei nur Bessell an, der gleich darauf übersetzte. Der andere Polizist hatte aufgelegt und sagte:
»Favalli wird gleich da sein. Er hat bereits die Spurensicherung verständigt. Sie werden zwei Leute vom Einbruchsdezernat vorbeischicken.« Bessell musste wieder übersetzen. Der zweite Polizist gab ihnen erst jetzt die Hand. Dann gingen sie gemeinsam in die Wohnung. Schweigend betrachteten die beiden Polizisten das Durcheinander. Nicole stand mit verschränkten Armen daneben und blickte bisweilen von einem zum anderen. Auch an der Terrassentür waren keine Aufbruchsspuren zu erkennen, wie der Polizist mit der Taschenlampe in der Hand mit bedeutungsvoller Miene feststellte, nachdem er sie von außen begutachtet hatte. Dann hörten sie Schritte im Flur. Eine Frau und ein Mann traten herein. Sie waren von der Spurensicherung und begrüßten die Anwesenden mit knappen Worten, ohne ihnen die Hand zu schütteln. Die Frau hatte einen Fotoapparat mitgebracht und begann sofort damit, Fotos zu machen. Der Mann verschwand nach einem kurzen Moment wieder und kam kurz darauf mit einem Aluminiumkoffer zurück. Einer der uniformierten Polizisten nahm dies zum Anlass, Nicole und Bessell hinauszubitten, damit die Kollegen von der Spurensicherung ihre Arbeit ungestört verrichten könnten. Als sie auf die Straße hinaustraten, kam ihnen Favalli auch schon entgegen. Er musste unten an der Straße geparkt haben. Er sah sehr müde aus und machte alles andere als ein glückliches Gesicht. Doch er versuchte sich nichts weiter anmerken zu lassen und gab jedem kurz und fest die Hand. Mit dem Hinweis, dass er gleich noch einige Fragen stellen wolle, verschwand er in Nicoles Wohnung, um das Ergebnis des Einbruchs in Augenschein zu nehmen. Nach nur wenigen Minuten stand er wieder draußen auf der Straße. Der Mann von der Spurensicherung hantierte an der Haustür mit einem Pinsel, als Favalli sich Nicole zuwandte.
»Wann haben Sie den Einbruch bemerkt?«
»Als ich vorhin, so gegen halb sieben, nach Hause kam.« Nicole blickte unvermittelt zu Bessell, als wollte sie sich bei ihm vergewissern, dass die angegebene Zeit auch stimmte. Bessell verzog keine Miene.
»Wann hatten Sie die Wohnung zuvor verlassen?« Bessell konnte an seinem Gesicht ablesen, dass er wusste, wie überflüssig seine Frage war, weil er ja gesehen hatte, wie sie gemeinsam im Auto wegfuhren. Nicole antwortete mechanisch.
»Am späten Vormittag, so gegen halb zwölf, glaube ich.«
»Und Sie sagen, es ist nichts gestohlen worden?«
»Ja, da bin ich mir ziemlich sicher«, sagte sie entschieden. Favalli schien wirklich sehr müde zu sein. Es war ihm anzusehen, dass er keine Lust mehr hatte, weitere Fragen zu stellen. Vermutlich hielt er es auch nicht für notwendig.
»Wäre es möglich, dass Sie diese Nacht woanders verbringen? Ich würde die Wohnung gerne versiegeln und morgen noch intensiver nach Spuren suchen lassen.« Favalli sah erst Nicole und dann Bessell an. Wahrscheinlich hatte er gehofft, das Bessell jetzt sagen würde, dass sie selbstverständlich bei ihm die Nacht verbringen könnte. Bessell aber schwieg.
»Daran habe ich auch schon gedacht. Nach allem, was passiert ist, wäre ich jetzt ungern in der Wohnung allein.« Nicole machte ein nachdenkliches Gesicht. Favalli und Bessell sahen sie erwartungsvoll an. Die beiden uniformierten Polizisten kamen aus der Wohnung. Jetzt wo Favalli und die Kollegen von der Spurensicherung da waren, konnten sie hier nicht mehr viel tun.
»Ich werde mir ein Taxi rufen, das mich hinüber nach Locarno fährt«, sagte Nicole unvermittelt. Nachdem sie einmal tief durchgeatmet hatte, fügte sie mit ruhiger Stimme hinzu:
»Mit meinem eigenen Wagen möchte ich ungern fahren, ich bin noch ganz durcheinander.«
»Ein Taxi brauchen Sie sich nicht zu bestellen, wenn Sie mögen, fahren meine Kollegen Sie im Polizeiwagen nach Locarno. Sie müssen ohnedies dorthin zurück.« Bessell hätte Nicole auch gerne gefahren, doch diesen Vorschlag konnte er vor den Augen des Kommissars schlecht machen. Nicole schien einen Moment über Favallis Angebot nachzudenken, dann willigte sie ein.
»Brauchen Sie noch etwas aus der Wohnung?«
»Nein, alles was ich brauche, kann ich mir auch im Hotel besorgen. Ich möchte da heute nicht mehr hineingehen.« Es klang etwas theatralisch, war aber durchaus ernst gemeint und zusammen mit ihrem traurigen und mitgenommenen Gesichtsausdruck wirkte es auch glaubhaft. Als ihr die Wagentür aufgehalten wurde und sie hinten im Polizeiauto Platz nahm, sah Bessell zu ihr hinüber. Er hoffte, dass sie ihm noch einen Blick zuwarf. Doch ohne, dass Nicole sich noch einmal zu ihm umgewandt hatte, schlug die Wagentür zu. Als der zweite Polizist eingestiegen war, rauschte der Wagen davon.
11
Bessell und Favalli standen noch einen Augenblick schweigend in der Straße und sahen zur schwach beleuchteten Eisenbahnunterführung hinunter, in der das Polizeiauto mit rotaufleuchtenden Bremslichtern verschwunden war. Eine feuchte Kälte hatte sich am frühen Abend eingestellt und es war sehr ungemütlich geworden. Bessell fühlte sich plötzlich alleingelassen, denn er hätte Nicole gerne noch länger bei sich gehabt. Der Tag mit ihr hatte ihm gefallen und er hatte das Gefühl, Nicole schon länger zu kennen, als es tatsächlich der Fall war. Sie schien für ihn innerhalb der wenigen Stunden ein vertrauter Mensch geworden zu sein, obwohl er noch immer vermutete, dass sie ihm etwas verheimlichte. Aber möglicherweise war dieser Verdacht unbegründet. Favalli sah, dass Bessell tief in seinen Gedanken versunken war. Er berührte ihn sanft am Arm.
»Signore