Sonne am Westufer. Fabian Holting

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Название Sonne am Westufer
Автор произведения Fabian Holting
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847631798



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Neben den gefalteten hellgelben Servietten standen geschmackvolle Stilgläser für Wasser und für Wein. Die Bestecke für mehrere Gänge lagen wohlgeordnet daneben. Gegenüber dem Kamin, ganz am anderen Ende des Raumes, war eine Fensterfront, die auf die Aussichtsterrasse hinausging. Auch vor diesen Fenstern standen eingedeckte Tische und von dort musste die Aussicht sehr schön sein.

      »Wo wollen wir sitzen, direkt beim Kamin oder lieber dort vorne, wo wir die Aussicht auf den See haben«, fragte Frau Hengartner. Bessell zögerte. Der Kamin strahlte eine angenehme Wärme aus und er hatte geschwitzt, andererseits war es draußen noch hell genug, um hinauszusehen. Außerdem konnte er ihrem Gesicht ansehen, dass sie viel lieber den Tisch am Fenster nehmen würde.

      »Ach, lassen Sie uns ruhig noch eine Weile die Aussicht genießen.« Er nahm Frau Hengartner die Jacke ab und brachte sie zusammen mit seiner zur Garderobe. Als sie saßen, kam die ältere von den beiden Kellnerinnen mit den Speisekarten. Sie bedauerte, dass es um diese Uhrzeit nur Lasagne und eine Gemüsebrühe gab. Beide hatten sie vom Wandern Hunger bekommen. Sie bestellten jeder die Lasagne und dazu einen Insalata Mista. Bessell wollte Mineralwasser dazu trinken. Frau Hengartner wählte für sich einen trockenen Weißwein aus und orderte gleich eine große Flasche Mineralwasser dazu. Nachdem sie bestellt hatten, blickte Frau Hengartner gedankenverloren aus dem Fenster. Die Ellbogen hatte sie auf den Tisch aufgestützt und die Hände wie zum Gebet zusammengelegt. Ihre Fingerspitzen berührten dabei ihr Kinn. Sie trug ein langärmeliges hellblaues Shirt. Es lag sehr eng an und Bessell konnte sehen, dass sich darunter ein Top abzeichnete. Auch sie hatte sich beim Wandern warm gelaufen. Unter ihren Achseln hatte sie geschwitzt.

      »Ich komme hier so gerne her«, sagte sie ganz unvermittelt und in einem sanften Ton, »weil ich den Anblick der Madonna del Sasso sehr mag.« Bessell nahm seinen Blick von ihrem Gesicht und sah ebenfalls hinaus. Gleich hinter der Terrasse des Ristorante Funicolare lag eine steil abfallende Parkanlage mit hochaufragenden Palmen, deren mächtige Fächerkronen den Winter bisher gut überstanden hatten. Etwas tiefer gelegen prunkte auf einem Felsplateau im dämmrigen Licht des Spätnachmittags die ockergelbe Klosterkirche, mit ihrer Arkadengalerie, dem langgezogenen erdig roten Dach und dem etwas zu klein geratenen Glockenturm. Dahinter lag in dunstiger Luft der milchig schimmernde See. Auf der gegenüberliegenden Uferseite stieg der mächtige Monte Tamaro steil empor.

      »Eigentlich hat die Kirche den Namen Santa Maria Assunta, doch die Menschen hier nennen sie nur Madonna del Sasso, die Felsenmadonna.« Frau Hengartner lächelte träumerisch, ohne ihren Blick von der Wallfahrtskirche zu nehmen. Dann legte sie ihre Unterarme auf den Tisch, so dass ihre Hände beinahe auf Bessells Tischseite lagen und sah ihn an. Die junge Bedienung trat an ihren Tisch. Sie hatte ihre brünetten Haare mittlerweile zu einem Zopf zusammengebunden und servierte das Mineralwasser und die gläserne Weinkaraffe. Während sie einschenkte, sagte sie einige Worte auf Italienisch. Sie sprach über das gute Wetter und die leider sehr schlechten Aussichten für die nächsten Tage. Dabei sah sie hin und wieder aus dem Fenster. Bessell antwortete auf Italienisch. Er bemängelte mehr zum Spaß, die unzuverlässigen Wettervorhersagen und versicherte ihr, dass es kein schlechtes Wetter gäbe, sondern nur die unpassende Kleidung dazu. Als sie wieder allein waren, fragte ihn Frau Hengartner erstaunt.

      »Woher können Sie so gut Italienisch sprechen?«

      »Meine Mutter ist Italienerin. Ich bin in Deutschland zweisprachig aufgewachsen.«

      »Seitdem wir das Haus im Tessin haben, habe ich immer mal wieder versucht mein Italienisch zu verbessern. Doch da hier so viele Deutsch sprechen, ist es bei den wenigen Worten geblieben«, sagte Nicole Hengartner.

      »Ja, die meisten können ganz passabel Deutsch sprechen« stimmte Bessell ihr zu.

      »Und Ihre Eltern, leben sie noch in Deutschland?«

      »Meine Mutter, ... mein Vater ist vor fünf Jahren gestorben.« Frau Hengartner machte ein betroffenes Gesicht.

      »Das tut mir leid. Hat Ihre Mutter nach dem Tod ihres Vaters nie die Absicht gehabt, wieder zurück nach Italien zu gehen?«

      »Doch, sie hatte mit dem Gedanken gespielt.«

      »Und warum hat sie es nicht getan?«

      »Meine Mutter hat viele Freunde in Deutschland und lebt alles andere als zurückgezogen. Auch nach dem Tod meines Vaters hat sie sich nicht eingeigelt, obwohl es unmittelbar danach sehr schwer für sie war.«

      »Woher stammt Ihre Mutter?«

      »Aus Latisana, einem kleinen Städtchen im Friaul, das liegt in Norditalien.« Frau Hengartner nickte nur und ihr war anzusehen, dass sie zwar das Friaul kannte, aber von der Stadt Latisana noch nie etwas gehört hatte. Für einen Augenblick schwiegen sie sich an. Frau Hengartner sah vor sich auf den Tisch und betrachtete ihre Fingernägel. Dann sah sie zu Bessell auf.

      »Finden Sie nicht auch, dass es albern ist, wenn wir uns die ganze Zeit mit Sie anreden? Ich heiße Nicole.« Sie nahm ihr Glas zur Hand, hielt es hoch und wartete mit einem Lächeln darauf, dass Bessell mit ihr anstieß.

      »Einverstanden, ich heiße Marco.«

      »Marco mit c geschrieben?«

      »Ja, bei einer italienischen Mutter gab es darüber keine Diskussion.« Bessell musste ganz unverhofft lachen und Nicole Hengartner sah ihn fragend an.

      »Ich habe noch einen zweiten Vornamen und mit dem spricht meine Mutter mich auch heute noch an.«

      »Und der wäre?«

      »Mein zweiter Vorname ist Andrea, ach was rede ich, es ist eigentlich mein Erster, so steht es zumindest auf meiner Geburtsurkunde und in meinen Ausweisen.«

      »Ja, ich verstehe.«

      »Als ich geboren wurde, da war Andrea in Deutschland ein sehr beliebter und weitverbreiteter Mädchenname. Meine Mutter konnte es gar nicht begreifen und wollte mich trotzdem unbedingt Andrea nennen. Doch mein Vater war etwas vorausschauender und schlug gleich als zweiten Vornamen Marco vor. Ich bin davon überzeugt, dass die deutschen Behörden den Vornamen Andrea allein nicht akzeptiert hätten. Als ich in die Schule kam, war ich froh darüber und habe mich natürlich von allen Mitschülern nur Marco nennen lassen.«

      Nicole nippte an ihrem Weinglas und sah Marco dabei an. Das Essen wurde gebracht. Diesmal kam wieder die Kellnerin, die Nicole so herzlich begrüßt hatte.

      »Vorsicht«, sagte sie auf Deutsch, »die Lasagne ist noch ganz heiß.« Sie stellte die Teller auf den Tisch.

      »Meine Kollegin bringt sofort den Salat. Möchten Sie noch etwas Brot dazu?« Nicole und Marco nickten.

      »Sehr gern.«

      Der Salat wurde gebracht und gleich darauf ein Körbchen mit geschnittenem Weißbrot.

      »Buon appetito.«

      »Grazie«, antworteten sie im Duett. Die Lasagne war tatsächlich noch sehr heiß und Nicole pustete mit geschürzten Lippen, während Marco den Salat probierte.

      »Ich glaube mit der Lasagne müssen wir noch einen Augenblick warten, sie ist noch viel zu heiß. Erzähl mir noch etwas von deinem Leben als Schriftsteller.«

      »Da gibt es nicht viel zu erzählen und ich weiß noch nicht einmal, ob es am Ende mit der Schriftstellerei klappt. Woher weißt du eigentlich davon?«

      »Ich kenne deine Vermieterin.«

      »Ach ja. Übrigens ist sie eine sehr gute Freundin meiner Mutter, sonst könnte ich mir die Wohnung hier nicht leisten.«

      »Woran schreibst du gerade?«

      »Darüber möchte ich noch nicht sprechen. Ich will nur soviel verraten, dass es ein Roman wird und auch etwas mit dem Lago Maggiore zu tun hat.«

      Bessell wunderte sich über die Fragen. Er hatte eigentlich gehofft, mehr über Nicole Hengartner zu erfahren und jetzt fragte sie ihn aus. Was war sie bloß für eine Frau. Vielleicht hatte Sie ihren Mann tatsächlich auf dem Gewissen.

      »Aber einen Roman hast du schon veröffentlicht?«

      »Ja,