Jakob Ponte. Helmut H. Schulz

Читать онлайн.
Название Jakob Ponte
Автор произведения Helmut H. Schulz
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847668800



Скачать книгу

mich allerdings nicht, weil mein Erzeuger entweder ein Lump oder tatsächlich verhindert war, uns nach Argentinien zu holen oder wohin es ihm sonst beliebte. Vaterrolle spielte mein Großvater, ein Mann von mittlerer Statur mit weichem Bauch und auswärts gestellten Füßen. Sein Haar floss in dichten Wellen nach hinten, und der Ausdruck seines Gesichtes verriet den Sybariten, den fröhlichen Esser und Trinker, aber auch einen sanguinischen Menschen, das Gegenteil seiner Frau, meiner Großmutter. Der scharfe Blick ihrer Raubvogelaugen, unter deren Blitzen er sich ängstlich duckte, ließ an ihrem einnehmenden herrischen Charakter keinen Zweifel. Wie schon gesagt, arbeitete Großvater als Uhrmacher und bisweilen auch als Juwelier, aber er war weder ein guter Uhrmacher noch ein talentierter Goldarbeiter; ihm fehlte es an Sitzfleisch. Nur kannte Großmutter seine Schwächen zu gut; mit Strenge bannte sie ihn an seinen Arbeitsplatz; gegen ihre Härte kam er nicht auf. Um ihn durch mich beaufsichtigen zu lassen, hatte sie einen hohen Stuhl neben seinen gestellt, damit ich zusehen konnte, wie er, die Lupe einklemmte, seinen dicken Kopf über das zuckende Uhrwerk beugte und mit einem spitzen Instrument darin herumwirtschaftete. In Augenhöhe kreiselten zierliche kleine Gazebecher mit jenen Uhren, die uns zur Reinigung anvertraut worden waren. Eigentlich hätten sie zerlegt werden müssen, und manchmal ließ sich dieser Aufwand auch nicht umgehen. Meist tat Großvater aber nur, was unbedingt nötig war.

      Wir unterhielten uns, das heißt, er erzählte, und ich hörte ihm zu. Es gab allerdings auch Tage, an denen er ruhig längere Zeit arbeitete. Sein Eifer hielt aber nicht vor, er wurde mürrisch und stellte das Reden ein; dann behauptete er, sich nicht wohlzufühlen und verschwand einfach aus der Werkstatt, angeblich einer Besorgung wegen. War es ihm gelungen, der Aufsicht seiner Frau zu entkommen, machte er einen Streifzug durch die Restaurants der Stadt. Beginnend mit dem Ratskeller, wo seine Liedertafel einmal in der Woche übte, zog er allein oder mit einem Kumpan kreuz und quer durch Müllhaeusen. Angeheitert heimgekehrt versprühte er Lebenslust, ohne Großmutters vernichtende Blicke zur Kenntnis zu nehmen. Danach erging es ihm übel, niedergeschlagen saß er an seinem Arbeitstisch und befummelte lustlos die Uhrwerke. Seine Meinungen über das Handwerk und über die Kunden, seine Urteile über Menschen klangen nach seinen Exzessen harsch und niederträchtig. »Alles Murks«, gab er kund, »früher ist es besser gewesen, die Uhren und die Menschen.« Stand er im Begriff, seine Arbeit zu unterbrechen, schob ich ihm ein Werkzeug zu, und er griff in Gedanken danach, legte es nach einem Blick wieder weg und suchte sich selbst das passende auf seiner Werkbank. »Früher«, fuhr er fort, »war auch das Essen besser und also die Köchinnen. Ist das hier ein Leben? Da höre ich diese alte Gewitterflinte«, stieß er ergrimmt aus, »ein gieriges, ein nichtsnutziges Weib. Aber deine Mutter taugt auch nicht viel. Na, die hat ja ihre Quittung gekriegt, durch diesen sogenannten Argentinier, einen gewöhnlichen Vertreter, und zwar in Staubsaugern, haha!« Großmutter warf einen Blick in die Werkstatt, sah ihren Mann arbeiten und zog sich befriedigt zurück, nicht ohne mir freundlich zuzunicken. »Da war sie schon wieder, hast du gesehen? Eine ruhelose alte Megäre«, sagte er leise, »sie denkt, ich weiß nicht, weshalb sie dich hergesetzt hat. Deine Mutter will weg, dazu braucht sie Geld. Aber daraus wird nichts, die Alte rückt nichts raus. Ich muss mir ja auch stehlen, was ich für mich brauche.«

      Wir alle hingen von seinem Fleiß ab, die Leute kamen, um ihre Uhren reparieren zu lassen, kauften aber auch den billigen Krimskrams, Vasen und Figuren, um sie in die Vitrinen zu stellen. Das Geschäft ging gut. »Es gibt sehr alte Uhren; die gehen vielleicht nicht ganz genau, aber dafür gehen sie immer, noch in hundert Jahren; man braucht sie nicht zu reparieren. Nein, man kann sie gar nicht reparieren. Dann gibt es die mittleren aus der ersten Zeit der Industrie, die gehen noch einigermaßen. Und jetzt? Alles Murks!«

      Manchmal kam es zum Krach, wenn er schlechte Arbeit geliefert und ein Kunde reklamiert hatte. Dann schoss Großmutter herein, um ihn abzukanzeln, und zischte böse: »Will Er uns ruinieren? Da, wieder eine Reklamation! Hier rumsitzen und mit dem Kind schwatzen! Wenn Er so weitermacht, werden wir eines Tages betteln müssen.« Mit dem altmodischen Er sprach sie ihren Gatten an, wenn sie sehr aufgebracht war. Sie schmetterte die beanstandete Uhr mit solcher Wucht auf den Tisch, dass die herumliegenden Teile aufflogen, als hätten sie Flügel. Großvater schrie auf und griff hastig nach den herumkollernden millimetergroßen Federchen und Rädchen; er brauche eben einen Gesellen, schrie er. Ein Werkstattgehilfe war sein Traum, nicht aber der Traum seiner Lebensgefährtin. Großmutter lachte ihm ins Gesicht. Das könne ihm so passen; unbedacht schlug er mit der weichen Faust auf die Werkbank, und abermals hüpften die Teile auf. Dann weinte er still, den Kopf auf den Arm gelegt. »Nun sieh dir diesen Jammerlappen an«, sprach Großmutter geringschätzig, während er sie, sobald das Feld von ihr geräumt worden war, seinerseits beschimpfte, ihre wahre Flüche nachschickte. »Hast du gesehen? Präg es dir gut ein, dieser verdammte alte Drachen! Nimm dich vor den Weibern in acht, mein Kind. Sie taugen allesamt nichts! Aber ich werde ihr zeigen, wer hier Herr im Hause ist! Und er schwang die Faust gegen sie, die längst wieder im Laden verschwunden war.

      Für mich ist das alles sehr lehrreich gewesen, ich prägte es mir ein und behielt viel von diesen häuslichen Szenen. Sie weckten meine Aufmerksamkeit für die Schwächen dieser kuriosen Spezialität der Schöpfung oder der Evolution, Mensch genannt. Vom Temperament ihrer Eltern besaß Mama das jeweils halbe Erbe. Ihr Naturell schwankte zwischen dem Herrschaftsanspruch ihrer Mutter und der Larmoyanz ihres Erzeugers. Diese drei Menschen brachten den Tag damit zu, sich zu streiten, und zwar um Kleinigkeiten. Ihren Stimmen lauschte ich ab, was im Anzuge war. Mamas Organ produzierte ein hysterisches singendes Kreischen, das mir vor allem deswegen auf die Nerven ging, weil ich immer vergeblich auf den Umschlag in ein befreiendes Geschrei wartete. Sie erstickte ihren Zorn in diesem langen Singsang, der nicht nur die anderen, sondern auch sie selbst zermürbte. Großmutters Stimme klang dagegen nur eine Spur tiefer und wurde einen Grad lauter, wenn sie sich durchsetzen wollte, während sich bei dem armen Alten ein Zittern in die Stimme schlich, falls er sich zum Kampf stellte, von dem er allerdings im Vorhinein wusste, er würde ihn verlieren. In guten Zeiten, wenn sie sich vertrugen, waren sie aufdringlich freundlich und hinterhältig, ein Herz und eine Seele, meist dann, wenn sie einen anderen, einen Kunden vielleicht, hereingelegt hatten. Das Uhrengeschäft am Markt besaß bei der Kundschaft allerdings den Ruf solider, untadeliger Arbeit bei mäßigen Preisen.

      Da ich meine Zeit fast ganz zu Hause verbrachte, begann ich frühzeitig, die Stimmungen meiner drei Erzieher zu registrieren, wie ein Forscher das Freileben von Affen belauscht. Man brauchte dem Alten nur zum Mund zu reden, um ihn bei Laune zu halten. Von mir ertrug er keinen Widerspruch, so war ich ihm denn ein artiges, folgsames Kind. Mir konnte er befehlen; folgsam nickte ich ihm zu, kümmerte mich aber weiter nicht um seine Anordnung. Fragte er mich, ob ich seinen Auftrag ausgeführt habe, stellte ich mich dumm und taub, und da er zu bequem war, um der jeweiligen Sache nachzugehen, so blieb alles, wie es zuvor gewesen, und wir kamen, auch weil mir Großmutter gegen ihn immer den Nacken steifte, vortrefflich miteinander aus. Haupteigenschaft meiner Großmutter war die Neugier neben der Klatschsucht eines ihrer schlimmsten Laster. Ich aber entwickelte die Fähigkeit, sie mit allerlei erfundenen Geschichten zu unterhalten. Einmal erzählte ich ihr, dass vor der Plätterei uns gegenüber ein Auto gehalten habe. Sie hörte noch kaum hin, ein Auto hielt natürlich alle Tage vor einem Geschäft. Also spann ich den Faden weiter und sagte, ein Mann habe ein Paket in den Laden gebracht; das Auto, der Mann und sein Paket weckten endlich ihre Aufmerksamkeit; ich hatte sie dazu gebracht, zu fragen, um was es sich gehandelt haben könnte. »Es war ein langes Paket«, ich deutete die Größe des Paketes an. Dass sie mit der Plättfrau, einer dicken gutmütigen und gemütlichen Frau aus dem Volke, die für uns wusch, plättete und Gardinen aufspannte, ständig Krach um deren Preise hatte, spielte hier natürlich mit, hoffte sie doch, diesem Weib eins auszuwischen. »Es könnte auch eine Frau gewesen sein«, sprach ich wohl, denn mir war noch unklar, wie ich meine Erfindung ausbauen würde. Großmutter griff zu: »Noch einmal, du meinst, es könnte ein als Frau verkleideter Mann ein langes Paket in die Wäscherei gebracht haben? Das ist ja unglaublich! Ich habe diesem Weibstück nie getraut! Die mit ihren Schiebergeschäften, ich werde ihr das Handwerk legen! Wieso darf der Kerl ein Auto haben? Das ist verboten. Wir haben auch keins! Hätten es abgeben müssen, würden wir eins gekauft haben, diesen Volkswagen, haha,« in der Tat durfte seit Kriegsbeginn niemand ein Auto besitzen, was uns nichts anging, denn wir hatten keins, obschon der Alte versucht hatte, ihr das Geld für ein solches Fahrgerät zu entreißen. Sie versank in Nachdenken über die