Alle meine Packer. Martin Renold

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Название Alle meine Packer
Автор произведения Martin Renold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847699576



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überlegenes Lächeln und ein Zigarette.

      „Ich habe meinen Beruf aufgegeben“, erklärte mir kurz und bündig der junge Mann.

      „Ja“, bekräftigte er seine Aussage. „Ja“, und dabei ging sein vielversprechender Blick von mir auf Melanie Knopf und von dieser keck wieder auf mich zurück.

      „Sie wollen uns also schon wieder verlassen?“, fragte ich überrascht.

      „Noch nicht. Das hier ist doch nicht mein Beruf. Nein, ich meine meinen wirklichen Beruf, der zwar auch kein wirklicher Beruf war, wissen Sie, so ein Beruf mit Berufung. Ich habe meine ganze Fotoausrüstung verkauft. Von heute an bin ich Maler.“

      Mit einer stolzen, weitausholenden Gebärde zeigte er auf den Packtisch. Dort lag ein Paket, kein Bücherpaket, sondern ein in Zeitungspapier gewickeltes und mit einem dicken, schon mehrfach gebrauchten Bindfaden umschnürtes Etwas. Liebevoll griff er nach dem Paket und wickelte eine ungerahmte Leinwand aus.

      „Gefällt es Ihnen?“, fragte er, und sein Gesicht verriet mir, dass er meiner positiven Antwort im Voraus sicher war.

      „Ich finde es gut“, sagte Frau Knopf, während ich noch zögerte.

      „Was halten Sie davon?“, fragte sie mich.

      Ich betrachtete es mit Kennerblick. Das Bild stellte zweifellos einen Fisch dar. Aber er war auf so geniale Weise abstrakt sein wollend gemalt, dass man mit dem besten Willen und auch bei längerem Hinsehen nichts als einen Fisch in ihm erkennen konnte.

      „Nur nicht sagen, dass du einen Fisch siehst“, dachte ich mir, „sonst hast du ausgespielt, und du bist zum Ignoranten gestempelt.“

      „Sie müssen bei der Betrachtung von zwei Seiten ausgehen“, half mir der neue Picasso bei meiner Urteilsfindung, „einmal von der Darstellung aus und dann von der Idee. Es wird Ihnen allerdings nicht leichtfallen, die Darstellung zu erkennen. Sie ist ebenfalls so hintergründig wie die Idee. Das ist bei jedem genialen Kunstwerk so.“

      „Ich halte das Werk für den fast vollendeten Versuch einer ungegenständlichen Landschaftsdarstellung“, begann ich zögernd. Der Künstler schien von dieser ersten Deutung befriedigt.

      „Hab ich nicht gesagt“, wandte er sich an Meli, „die Abstraktion ist vollkommen.“ Und dann wieder zu mir: „Sie irren jedoch. Es handelt sich nicht um eine Landschaft.“

      „Ich muss mich genauer ausdrücken“, entgegnete ich mit einer gewissen Bestimmtheit und Überzeugung, die das Objekt meiner Betrachtung langsam einkreisen sollte. „Selbstverständlich dachte ich an eine Seelenlandschaft.“

      Fringeli schien entzückt. „Das kommt der Wirklichkeit schon näher.“ Damit bekräftigte er meine Ahnung.

      „Ich würde sogar sagen, dass sich die Abstraktion der Seele in der Gestalt eines Tieres konkretisiert“, tastete ich mich weiter voran.

      Fringeli stellte das Bild an die Wand und trat ein paar Schritte zurück. „Ich habe tatsächlich ein Tier darstellen wollen.“

      „Wollen? Sie sind zu bescheiden, Herr Fringeli. Ich wage zu behaupten, dass es Ihnen vollkommen gelungen ist. Noch nie habe ich ein Elefantenbildnis von solcher Ausdruckskraft gesehen.“

      „Das Grau der Mittelpartie könnte allerdings auf einen Elefanten schließen lassen. Aber ich dachte nicht an einen Elefanten, sondern…“

      „Ein Nilpferd“, fiel ich ihm ins Wort.

      Fringeli strahlte. „Sie kommen der Wirklichkeit immer näher. Es ist in der Tat ein Tier, das sich im Wasser bewegt. Vielleicht kommen Sie darauf, wenn wir von der Idee ausgehen. Sehr oft wird behauptet, bei der modernen Kunst komme es gar nicht darauf an, was oben und was unten, was links oder rechts sei. Das wird von allen Künstlern energisch in Abrede gestellt. Ich aber wollte mit meinem Werk den neuartigen Beweis antreten, dass selbst ein gegenständliches Bild – um ein solches handelt es sich nämlich trotz aller Abstraktion – so oder so aufgehängt werden kann.“

      Er drehte das Bild um, und tatsächlich, der Fisch blieb ein Fisch, nur dass er jetzt nicht mehr von links nach rechts, sondern rechts nach links schwamm.

      „Sie haben mich vollkommen von Ihrer Idee überzeugt, Herr Fringeli. Darf ich annehmen, dass es sich bei der Darstellung um einen Fisch handelt?“

      Frau Knopf sonnte sich augenfällig in der Anerkennung, die ich ihrem neuentdeckten Genie zuteil werden ließ.

      „Nichts wäre mir lieber“, erklärte der begnadete Künstler, „als mein Opus Nummer eins in den Händen eines so kunstverständigen Mäzens zu wissen, wie Sie es sind. Da ich Ihnen gerne eine Freude machen will, verlange ich von Ihnen nur die Hälfte des Preises. Nehmen Sie es für zweihundertfünfzig Franken. Durch dieses Geschenk begebe ich mich allerdings der Möglichkeit, schon von heute an nur noch meiner Kunst zu leben, der ich mich verschworen habe. So werde ich Ihnen nochmals mindestens zwei Wochen dienen zu müssen.“

      Die Aussicht, dass mir die Verdienste des jungen Genius noch eine kurze Weile erhalten bleiben würden, ließ mich nach der Brieftasche greifen, der ich blutenden Herzens fünf Fünfzigfrankenscheine entnahm. Das überwältigende Werk meines Amateurpackers hängte ich, nachdem der erfolgreiche Kunstjünger die Einrahmung gegen entsprechenden Aufpreis übernommen hatte, im Blickfeld der Frau Melanie Knopf an die Wand, um ihr meine Dankbarkeit für die mir zuteil gewordene Verschonung vor professionellen Packern auszudrücken.

      Vierzehn Tage später saß ich nach Feierabend an einem kleinen, runden Tisch eines Boulevardcafés in der nahen Stadt. Der Abend war warm, und der Durstigen waren viele. Deshalb und weil mich ein in einem großen Topf eingepflanzter Strauch halbwegs verbarg, beachtete mich der Urheber des Ölgemäldes, dessen glücklicher Besitzer ich geworden war, nicht, als er mit einem Kollegen, der nach seinem Bart zu schließen der gleichen Gilde wie er angehörte, an einem Tischchen schräg vor mir Platz nahm. Beide bestellten ein Bier und musterten die vorübergehenden Leute. Offenbar galt aber ihre ganze Aufmerksamkeit gewissen Automobilisten. Da die Gasse hier verhältnismäßig eng war, konnten die meisten nur langsam vorbeifahren.

      „Achtung, Mercedes“, hörte ich Fringeli seinem Kollegen zuflüstern.

      „Zu jung“, gab dieser zur Antwort. „Aber da, der große Amerikaner, schreib die Nummer auf.“

      „Fringeli notierte in einem Notizblock, den er vor sich bereitgelegt hatte, die Nummer.

      „Das ist er!“, rief Fringeli plötzlich aus, als ein großer, blauer Pontiac am Straßenrand anhielt. Ein älterer, distinguierter Herr stieg aus.

      „So eine Dicksau“, hörte ich einen der beiden Musensöhne, die mir den Rücken kehrten, in seiner gewählten Ausdrucksweise dem andern zuflüstern.

      „Genau das, was wir suchen.“

      „Industrieller.“

      „Börsenmakler.“

      „Ich tippe eher auf Fabrikbesitzer.“

      „Auf jeden Fall Villa.“

      „Banause.“

      „Zehn Zimmer ohne Gemälde.“

      „Versteht überhaupt nichts von Kunst.“

      „Dafür schwerreich.“

      „Betrügt seine Frau.“

      „Muss sie mit Geschenken täuschen.“

      „Pelzmäntel und Auto besitzt sie schon.“

      „Blumen und Pralinen genügen nicht mehr.“

      „Schmuck ist nicht mehr originell.“

      „Notier rasch die Nummer!“

      Fringeli erhob sich, trat vor den blauen Pontiac und notierte sich dann am Tisch die Nummer des Wagens.

      „Achtung, da kommt das alte Schwein zurück.“

      Der ältere Herr öffnete die Wagentür, stieg ein