Mord(s)-Geschichten zwischen Nord- und Ostsee. Rainer Ballnus

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Название Mord(s)-Geschichten zwischen Nord- und Ostsee
Автор произведения Rainer Ballnus
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738095777



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Sein Gefühl hatte ihn nicht getrogen. Der Stofffetzen, den angeblich der Verbrecher abgerissen hatte, war fein säuberlich angenäht.

      „Ich…ich hatte keinen anderen Ausweg gesehen. Ich… hatte Angst, dass der Chef mich rauswirft.“

      Kommissar Schmidtke schaute sie lange an. Irgendwie war er trotz ihrer Irreführung erleichtert. Laut sagte er: „Dazu gehören immer noch zwei. Komm, Janette, wir reden mit ihm.“

      Kein Vorwurf. Dankbar schaute sie ihn an und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

      Der Komplize

      Elfriede Klawuttke sah ihre Tochter an. Sie saß vor ihr auf dem Stuhl, zusammengekauert, zitternd, wie ein Häufchen Elend. Ein Bild des Jammers. Was war nur aus Gerlinde, dem einstigen Sonnenschein, geworden. Fünf Jahre war sie mit einem Trinker verheiratet gewesen. In der Zeit danach hatte sie sich mit ihrem Sohn allein durchschlagen müssen, seit zwei Jahren war sie arbeitslos. Und nie hatte sie geklagt.

      Und heute erfuhr die mehrfache Großmutter, dass das Schicksal noch einmal zugeschlagen hatte.

      „Timo ist krank, Mama, sehr krank. Irgendwas mit den Knochen stimmt nicht. Sie, sie werden brüchig, spröde, verstehst zu.“

      Gerlinde bekam einen Weinkrampf, und ihre 73-jährige Mutter streichelte ihrer Tochter über die Wange.

      „Und was sagen die Ärzte?“

      „Die...die haben schon alles versucht. Ich war in Flensburg, ich war in Husum. Aber nichts von dem hat angeschlagen, was sie Timo an Medizin verschrieben haben. Nichts, gar nichts. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll!“

      Die Stimme der jungen Mutter klang verzweifelt.

      „Ich bin dann zu einem Heilpraktiker gegangen, aber der hat auch nicht helfen können. Ich bin am Ende. Alles, was ich gespart hatte, hab’ ich ausgegeben für Medikamente und so. Dann war ich bei den Banken, aber jetzt geben die mir auch nichts mehr. Ich...ich kann sowieso schon nicht mehr all die Raten zurückzahlen. Ich weiß nicht mehr weiter, Mutter!“

      Mit ihren rot verweinten Augen schaute Gerlinde ihre Mutter flehend an.

      Elfriede überlegte. Sie hatte in ihrem Leben immer nur gegeben: Liebe, Fürsorge und viel, viel Zeit. Aber eines konnte sie nicht, Geld schenken. Sie selbst war arm wie eine Kirchenmaus, und darunter litt die Großmutter sehr, gerade jetzt. In Leck war sie eine Persönlichkeit. Wenn es jemanden gab, der einen Rat brauchte, der ging zu Elfriede, wenn Kinder sich ausweinen wollten, weil ihre Eltern sie nicht verstanden, dann gingen sie auch zu Elfriede, und selbst der Polizeichef im Ort war sich nicht zu schade, gelegentlich ihre geschätzte Meinung einzuholen, wenn es um eine zwischenmenschlich schwierige Entscheidung ging. Und jetzt? Sie musste mit ansehen, wie ihre Tochter, aber auch ihr Enkel zugrunde gingen.

      Nein, das kam nicht infrage. Elfriede stand unvermittelt an, hob mit ihren verarbeiteten Händen das tränenverschmierte Gesicht ihrer Tochter hoch.

      „Keine Angst meine Kleine, ich helfe dir!“

      „Es tut uns leid, Frau Klawuttke, wir können Ihnen keinen Kredit gewähren. Sie verstehen, keine Sicherheiten. Das ist heutzutage...“

      „Sie mit Ihren Sicherheiten! Das stinkt doch zum Himmel!“

      Die alte Frau zitterte vor Wut. Das war die vierte Absage, die sie von den Kreditsachbearbeitern gehört hatte. Laut knallte sie die Tür hinter sich zu und atmete tief durch. Sie sah niemanden um sich herum. Ihre Gedanken kreisten nur um das eine: Sie brauchte Geld und zwar schnell und viel!

      Und plötzlich hellte sich ihre finstere Miene auf. Die rüstige Rentnerin ging, nein, sie lief nach Hause. Sie wusste jetzt, wie sie an Geld kommen konnte.

      Ein trüber Novemberabend. Es nieselte. Heute war es soweit. Elfriede Klawuttke stand im Hauseingang und starrte auf das gegenüberliegende Bankgebäude. Die Rentnerin schaute auf die Uhr vor der Bank: 17:30. Sie gab sich einen Ruck. Die rüstige Großmutter hatte alles gründlich vorbereitet. Als Krimi-Fan hatte sie viele Kriminalromane verschlungen und keinen Thriller im Fernsehen ausgelassen, und deshalb wusste sie genau, wie man eine Bank überfällt. Sie hatte sich diese Bank ganz bewusst ausgesucht, weil sie nach dem Überfall einen überaus günstigen Fluchtweg mit ihrem Fahrrad im Wald ausbaldowert hatte.

      Aus einem alten, dicken Wollstrumpf hatte die Banklady eine Gesichtsmaske geschneidert, und auf dem Dachboden hatte sie einen alten Revolver ihres Vaters gefunden, von dem sie gar nicht wusste, ob er geladen war. Täglich hatte sie im Wohnzimmer geübt, wie sie mit hochgehaltener Waffe einen entschlossenen Eindruck auf die Angestellten machen konnte.

      Die wohl ‘dienstälteste’ Bankräuber-Anwärterin trat aus dem Schatten des Hauseinganges. Der letzte Kunde hatte gerade die Bank verlassen. Gelassenen Schrittes ging sie auf den Haupteingang der Bank zu. Sie sah nicht die dunkle Gestalt hinter einem Baum, die sie aufmerksam verfolgte.

      „Hände hoch und alles an die Wand! Los!! Los!!“

      Elfriede Klawuttke erschrak selbst bei ihren Worten. Ihre Stimme hatte sich beinahe überschlagen und reichlich schrill geklungen. Doch die Wirkung blieb nicht aus. Die drei Bankbediensteten und der Kassierer schauten sie erschrocken an und nahmen langsam ihre Hände in die Höhe.

      Na also, dachte Elfriede, es klappt doch.

      „Hier! Alles Geld in diesen Beutel! Aber dalli!!“

      Mit aller Kraft warf sie den Leinenbeutel über die Glassicherung in die Box des Kassierers. Sie trat noch einen Schritt zurück, um alle besser im Auge zu haben. Ihr lief die Nase. Mit der freien Hand griff sie in die Manteltasche und zog ein Taschentuch heraus und schnäuzte sich die Nase. Sie merkte nicht, dass sie einen Zettel mit herausgezogen hatte und dass dieser auf den weichen Teppichboden flatterte.

      Der Kassierer machte gerade Anstalten, den gefüllten Beutel unter dem Geldeinschubfach hindurchzuschieben, da passierte es. Ein kräftiger, junger Angestellter kam langsam hinter dem Tresen hervor und ging auf die Bankräuberin zu.

      „Hören Sie, meine Dame, es...“

      „Bleiben Sie stehen, junger Mann. Ich verstehe keinen Spaß!!“

      Elfriede Klawuttke stockte der Atem. Darauf war sie nicht vorbereitet. Was sollte sie machen, wenn er weiterging? Sie richtete den Revolver auf den jungen Mann, doch der ließ sich nicht beeindrucken. Ihre Hände begannen zu zittern. ‚Der spürt doch bestimmt meine Angst’, dachte sie. Sie räusperte sich vernehmlich und straffte ihren Körper. Ihr Finger lag am Abzug. Wie automatisch krümmte sie ihren Finger und wurde selbst von dem Schuss überrascht.

      Leichenblass stand der junge Mann vor ihr. Von der Decke rieselte der Putz. Dort war die Kugel eingeschlagen. Elfriede konnte nicht mehr. Ihre Knie wurden weich. Sie wollte aufgeben. Doch in diesem Augenblick war die Schwingtür im Windfang deutlich zu hören. Die Blicke von allen Bankangestellten gingen zur Tür. Elfriede wagte nicht, sich umzudrehen.

      „Das könnte Ihnen so passen! Zurück hinter den Tresen! Und her mit den Geld! Hopp! Hopp!!“

      Die Bankräuberin riskierte einen Blick. Ein Mann, schwarz gekleidet und maskiert stand fast neben ihr und hielt ebenfalls eine Schusswaffe in der Hand.

      Der Kassierer beeilte sich, den Beutel ganz durchzuschieben. Der Mann neben ihr ging schnellen Schrittes auf die Kassenbox zu, griff sich den Beutel und zog die völlig irritiere Banklady mit sich.

      Zwei Menschen keuchten mit ihren Fahrrädern durch den Wald. Elfriede konnte nicht mehr. Sie bremste und ließ sich auf den kalten und nassen Waldboden fallen. Der Mann hielt und kam zurück.

      „Wer...wer sind Sie?“ Elfriede Klawuttke war kaum in der Lage zu sprechen.

      „Ihr Komplize“, meinte der Mann leise, und dann riss er sich die Maske vom Kopf.

      „Karl...du?“

      Elfriede schluckte. Vor ihr stand Karl Steinwandt, ihr Nachbar. Er lachte laut auf.

      „Da