Название | Mirabili |
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Автор произведения | Charline Dreyer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742759481 |
Die tödliche Stille. Was passiert, wenn alle Geräusche versiegen? Was passiert, wenn du dich komplett isoliert fühlst, als wärst du in einem Kokon eingesperrt? Völlig wehrlos, da du nichts hören kannst. Was passiert hier, wer hat das verursacht?
„Die Wesen sind selten, sie leben in den Bergen. Sie verbreiten einen Nebel, der dir deine Sinne raubt, angefangen mit dem Gehör. Wenn du nichts mehr hören kannst, die Orientierung verlierst, dann nehmen sie dir dein Augenlicht, um dich gänzlich wehrlos zu machen. Nicht die besten Krieger des Planeten überleben so einen Angriff, denn was sind sie schon ohne ihre Sinne?“, erinnere ich mich an Jades Worte, wie sie mir Geschichten über sie erzählt. „Am Rande der Verzweiflung, am Abgrund, seinen Verstand zu verlieren ... wenn du rein gar nichts mehr wahrnehmen kannst … saugen sie dir das Leben aus dem Leibe und du spürst jede einzelne Sekunde davon, wie jede Faser deines Körpers stirbt, wie du immer weiter dem Tode entgegen driftest. Du beginnst zu verwesen, obwohl dein Verstand noch arbeitet. Als würde dir die Seele entrissen.“ Ich erzittere. Das kann unmöglich sein, sie sind so selten. Warum tauchen sie gerade jetzt und hier auf? „Während du also dort liegst, dem Tode geweiht, fressen sie nicht nur das Leben aus dir, sondern auch all deine Innereien, trinken dein Blut und all das während du noch lebst.“
Meine Sicht wird schwächer, verschwommen. Der Nebel scheint immer dichter zu werden. Und dann sehe ich sie. Es sind drei Stück. In Weiß gehüllte Kreaturen, groß und dürr. Sie gieren nach dem Leben, sie gieren nach ihrer Menschlichkeit, das kann ich sofort sehen. Vermutlich haben sie noch nie eine solch schmackhafte Beute wie Geneviève ausfindig machen können, denn hier in den Bergen treibt sich eigentlich niemand herum. Erst recht keine Menschen.
Ich rutsche vom Sattel meines Rappen, lasse die Fackel im Schnee stecken und ziehe mein Schwert. Mir fehlt das gewohnte Geräusch, was die Reibung von Metall und Leder verursacht. Mir fehlt das Rauschen meines eigenen Blutes, während immer mehr Adrenalin durch die Venen gepumpt wird, wegen eines bevorstehenden Kampfes.
Die Wesen stehen eng nebeneinander. Gesichter ohne Augen, ohne Nasen, ohne Münder. Groß, wie zwei Mann aber dünn und knochig. Schwarze Schatten tanzen in meinen Augenwinkeln und machen meine Sicht immer unklarer. Ich weiß, wenn ich die Dinger nicht gleich umbringe, bin ich blind. Die Pferde scheuen und das Mädchen krallt sich in der Mähne des Maultiers fest. Die perfekte Ablenkung. Mit zwei großen Schritten habe ich das rechts stehende Wesen erreicht und deute den ersten Hieb mit dem Schwert an. Das Wesen will nach der Klinge greifen, doch ich trete zurück und schlage ihm den rechten Arm ab, kurz unter der Schulter. Silbernes Blut strömt aus dem Stumpf und das Ding gibt einen Schrei von sich, den ich trotz meiner Taubheit hören kann. Ich verkrampfe mich und will mir die Ohren zuhalten und diesen Moment nutzt das in der Mitte stehende Vieh und langt nach mir. Ich kann gerade rechtzeitig ausweichen, rutsche jedoch auf einem Stück vereistem Boden aus und lande rückwärts im Schnee. Das Ding will seinen knochigen Fuß in mich bohren, doch ich rolle mich nach zur Seite und komme schnell auf die Beine. Ich hole erneut mit dem Schwert aus und treffe es mit der Spitze an der Kehle. Noch mehr silbernes Blut, noch mehr Schreie. Das Vieh sinkt zu Boden und presst beide Hände auf die Wunde am Hals. Bleibt noch das dritte, unverletzte, welches ich komplett aus den Augen verloren habe. Ich drehe mich um mich selbst und als ich eine Bewegung von der Seite ausmache, ist es bereits zu spät. Kalte Finger bohren sich in meine Seite und ich spüre, wie sie an meiner Lunge kratzen. Mir fällt das Schwert aus der Hand und das letzte bisschen Sehvermögen verschwindet, sodass ich nichts als Schwärze und das brennende Ziehen in meiner Brust wahrnehme.
Das war es. Das ist das Ende. Nicht einmal zwei Tage habe ich überlebt. Nicht einmal zwei Tage habe ich es geschafft das Mädchen zu beschützen. Ich bin ein Versager. Die Herzogin hatte recht. Meine Schwächen überwiegen meinen Stärken. Langsam wird mir auch bewusst, warum sie einen zweiten Spion auf mich angesetzt hat. Mir ist nicht zu vertrauen, weil ich schwach bin.
Gerade als ich die Augen schließen und den Tod begrüßen will, reißt das Vieh seine Hand aus meinem Brustkorb heraus und ich werde ein weiteres Mal zu Boden geworfen. Ein Luftzug rechts neben mir, ich weiche aus und spüre einen Körper neben mir in den Schnee fallen. Ist sie das? Ist das Genevièves Leiche? Nun bin ich fast froh blind zu sein, denn wenn das letzte, was ich vor meinem Tod sehe, ihr blutverschmierter, toter Körper wäre, würde meine Seele nie in Frieden ruhen können.
Doch was dann passiert, gleicht einem Wunder. Die Dunkelheit verschwindet und helles Licht blendet mich. Meine Augen sind voller Schnee und ich blinzele ein paarmal, bis ich wieder scharf sehen kann und das was ich sehe, lässt mich daran zweifeln, tatsächlich noch am Leben zu sein.
G E N E V I È V E
Tote Körper, überall. Ist Jared auch tot?
Ihr Blut ist nicht rot, irgendwie weiß. Silbrig. Sie liegen im Kreis um ihn herum, sein Blut ist so dunkel im Schnee. Ein abstraktes Bild, beklemmend und niederschmetternd.
Die Fackel, die er gehalten hatte, steckt im Boden als habe man sie mit Absicht dort platziert. Die einzige Lichtquelle in der dunklen Nacht. Die Pferde haben sich wieder beruhigt, ich kann wieder hören. Allein dieser Gedanke wäre tröstlich gewesen, wäre da nicht Jared, der bewusstlos oder tot vor mir liegt. Ich kann mich nicht von der Stelle rühren, meine Hände zittern und verkrampfen sich um die Griffe meiner Messer. Meine Arme sind bis zu den Beugen getränkt in die silberfarbene Lebensessenz dieser grauenvollen Wesen, welche warm und dickflüssig an meiner Haut haftet. Ich kann mich nicht bewegen. Ist das ein Schock?
Jared öffnet die Augen und ich könnte vor Freude schreien. Er blinzelt einmal, zweimal. Stöhnt leise und zieht scharf die Luft ein, als er mich erblickt. „Geneviève“, flüstert er mit rauer Stimme. Ich wische die Klingen an meinem Kleid ab, stecke die Messer wieder in Jareds Satteltaschen und knie mich neben ihm nieder. „Bin ich tot?“, stöhnt er. Wirres Zeug. Er ist schwer verletzt. „Du lebst. Du lebst, es ist alles wieder gut. Sie sind tot“, hauche ich und lege meine Hände um sein Gesicht.
„Was hast du … Hast du ...“
„Ich habe sie getötet.“
„Was? Wie …?“
„Die Messer. Du hast sie mitgenommen. Größter aller Götter, ich bin so froh, dass du sie mitgenommen hast.“ Ich streiche ihm die nassen Haarsträhnen aus der Stirn. Er ist noch bleicher als sonst, wenn das denn überhaupt möglich ist. Vielleicht täuscht auch das Licht der Fackel. Dunkle Schatten unter seinen Augen.
Ich muss ihn hier weg bringen. „Wo wohnt dieser Sid?“, frage ich und versuche so gut es geht, seinen Kopf zu halten.
„Hier bin ich“, ertönt eine kratzige Stimme vor mir, aus dem Nebel. Ein wirklich kleiner Mann, gedrungen und mit langem weißem Haar taucht aus den Schwaden empor, eine Öllampe in der linken und eine Stachelkeule in der rechten Hand. „Zum Henker, was hat sich der Junge nur dabei gedacht.“
„H- hallo?“, stottere ich und versuche nicht auf seine übergroße Narbe zu starren, die sich von links oben nach rechts unten quer über sein Gesicht zieht. Er beachtet mich nicht, schaut nur zu Jared auf den Boden und sagt: „Eine Riesenlänge weiter wäre mein Haus gewesen. Der Schwachkopf hätte einfach seine Beine in die Hände nehmen und rennen können. Aber nein, das hätte sein Stolz natürlich nicht zugelassen.“ Er grunzt, schüttelt den Kopf, sagt: „Sich mit Monstern der Berge anlegen, so kopflos kann nur Jared handeln.“
„Äh ...“, melde ich mich zu Wort, denn immer mehr und mehr Blut strömt aus seiner Wunde.
„Nun gut, folgt mir“, erwidert er beschwichtigend, wendet sich ab und verschwindet im Weiß. Ich wollte gerade rufen, wie ich Jared hier wegschaffen soll, da erhebt sich sein Körper eine halbe Manneslänge in die Luft