Название | Taschengeld |
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Автор произведения | Frank Habbe |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847608882 |
Das Leder seines Handschuhs verströmte einen eigentümlichen, altmodischen Geruch, der Rania an ihre Kindheit in Izmir denken ließ. Sein stechender Blick verdrängte die Erinnerung jedoch schnell. Es hatte keinen Sinn, zu lügen. Außerdem machte sie sich Sorgen um Erdan. „Ich weiß nicht, wohin er wollte. Er ist in den Wagen gestiegen und weggefahren.“
Mit unbewegtem Gesichtsausdruck schaute ihr der Mann in die Augen. Seine Finger verstärkten den Druck auf ihr Kinn. „Deine Lippe sieht böse aus. Aber,“ und dabei nickte er in Richtung Bad, „du siehst ja, was noch alles passieren kann. Ich würde ungern wiederkommen.“
Mit angsterfüllt aufgerissenen Augen schüttelte Rania den Kopf.
„Okay. Welchen Wagen hat er genommen?“
„Irgendeinen Kombi.“
„War er allein?“
Nach kurzem Zögern antwortete sie. „Andy war bei ihm.“
„Siehst du, geht doch.“ Der Mann ließ sie los und ging zur Tür, wo er sich noch einmal zu ihr umdrehte. „Sag den beiden da, dass sie die Sache vergessen sollen. Sie würden mich nur stören.“
Damit verließ er die Wohnung.
04:06:03
Als der Mann auf die Straße trat empfing ihn ein kräftiger Windstoß, der Reste welker Blätter von den Ästen riss. Er schaute zum Himmel empor. Ein einziges, regenschweres grau hing über der Stadt. Fast wäre er mit dem Obdachlosen zusammengestoßen, der sich neben ihm von seinem Lager aufrappelte und mit einer über Kopf und Schultern gehüllten Plastikdecke schutzsuchend nach einem trockeneren Platz umschaute. Sein Geruch ließ den Mann abrupt ausweichen. Eilig ging er zu seinem Wagen.
Das Geld beunruhigte ihn. Nicht, weil er die vor ihm liegende Arbeit scheute oder Furcht verspürte. Er hatte nur gehofft, dass es sich bei dem letzten Einsatz um einen einfacheren Job handeln würde. Schlosser würde nicht erfreut über die Neuigkeiten sein, dachte der Mann, als er in den Ford stieg.
04:05:40
Die Geschichte hatte von Beginn an unter keinem guten Stern gestanden, aber bei Rania waren die Dinge endgültig aus dem Ruder gelaufen. Dabei hatte Andys Anruf am Montagabend ganz harmlos geklungen. Nur eine weitere Übergabe, die sie am nächsten Tag für Schlosser organisieren sollten. Ein einfacher Job, der jedes Mal nach dem gleichen Muster ablief: Sie bekamen von Piet die Schlüssel und Papiere eines Autos, das sie irgendwo im westlichen Stadtgebiet abzuholen hatten. Mit diesem fuhr dann einer von über die B1 achtzig Kilometer in die Gegend von Seelow. Der andere folgte in einem ihrer eigenem Wagen bis zum Ziel, den verwaisten Ruinen einer aufgegebenen LPG. Es waren keine besonderen Fahrzeuge, die sie durch die Landschaft chauffierten. Mittelklasse, niemals neu. Das außergewöhnlichste war einmal ein Jaguar gewesen, der allerdings im Innenraum penetrant nach nassem Hund gestunken hatte. Ihre Kontaktleute kamen meist etwas später. Es waren fast immer dieselben Männer, und so hatte sich während ihrer wiederholten Treffen eine professionelle Routine gebildet. Geredet wurde nie viel. Sie stiegen aus dem Wagen, wo sie Schlüssel und Papiere zurück ließen. Einer der Männer übergab ihnen daraufhin einen verschlossenen Umschlag oder ein kleines Paket, setzte sich in den überbrachten Wagen und fuhr los. Seine Partner folgten. Danach hatten Andy und Malik die Sendung unverzüglich nach Berlin zu Schlosser ins Büro zu bringen. Natürlich erzählte er ihnen nie, was sie da außer dem Fahrzeug in Seelow ablieferten. Um was genau es bei den Deals ging, blieb im Dunklen und Malik hatte es längst aufgegeben, darüber nachzugrübeln.
Und auch an diesem Dienstag hatten sie sich mit Piet getroffen und die Schlüssel in Empfang genommen. Fahrt und Übergabe waren wie gewohnt verlaufen, allerdings mit einer Ausnahme: statt des üblichen Päckchens hatten sie dieses Mal einen schweren Aktenkoffer erhalten.
Die Probleme hatten begonnen, als sie in Berlin auf die Kantstraße gebogen waren. Schon aus einiger Entfernung waren die vor Schlossers Geschäft wild auf dem Gehweg geparkten Polizeiwagen zu sehen gewesen. Natürlich war Andy am Laden vorbeigefahren und hatte erst zwei Straßen später geparkt. Malik erinnerte sich, wie er die Augen geschlossen und sich seufzend die Schläfen massiert hatte. Für einen Moment hatten sie schweigend dagesessen, bis Andy neben ihm hektisch begonnen hatte, mit seinem Handy zu hantieren. Aus halb geöffneten Lidern hatte sich Malik das angeschaut und seinem Freund dann energisch in den Arm gegriffen. „Wen willst du denn anrufen?“
Andy hatte das Telefon sinken lassen. „Keine Ahnung. Schlosser. Oder Piet.“ Malik hatte daraufhin resigniert die Augen verdrehte. „Jetzt? Bist du so blöd? Sollen die Bullen gleich mithören?“
„Was sollen wir denn sonst machen? Siehst du den Koffer da?“ Hektisch hatte er auf das Gepäckstück gezeigt, das zwischen seinen Füßen im Fußraum des BMW stand. Natürlich hatte Andy recht. Warum hatten sie bloß gerade heute diesen Koffer bekommen. Nach einigem nachdenken beschlossen sie, den Koffer am nächsten Tag vorbeizubringen. Malik würde ihn solange bei sich verstecken.
Nachdem er Andy abgesetzt hatte, war er sofort zu Rania gefahren. Sie war verreist und wollte erst am nächsten Tag von ihrer Tante zurückkommen. Bei ihr schien es ihm sicherer. Da vermutete ihn niemand. Später hatte er einen Pizzaservice kommen lassen und erst nach dessen Abfahrt genervt bemerkt, dass er nicht an Bier gedacht hatte. Zwei, drei Flaschen hätten bestimmt geholfen, seine Nervosität zu lindern. Auf die Straße hatte er sich nicht mehr blicken lassen wollen.
Den Abend hatte er zappend auf dem Bett verbracht, den Koffer dabei immer dicht neben sich. Eins ums andere Mal war sein Blick dabei gedankenverloren darüber gestrichen und irgendwann hatte seine Neugier gesiegt. Zu seinem Erstaunen fand er heraus, dass er nicht verriegelt gewesen war. Überrascht von so viel Nachlässigkeit seitens seiner Auftraggeber hatte Malik den Deckel angehoben.
Der Anblick der säuberlich aufgereihten Bündel Fünfziger und Hunderter hatte ihn zusammenzucken lassen. Zögernd hatte er einen Packen hervorgezogen, ihn in der Hand gewogen und mit den Fingern darin herumgeblättert. Sie schienen echt zu sein. Er hatte sich ein Wasser geholt und dann mit großen Augen vor dem Koffer gesessen. Es musste sich um ein Vermögen handeln, das da offen vor ihm gelegen hatte. Um in Ruhe nachdenken zu können, hatte Malik den Koffer wieder zugeklappt. Der Anblick all des Geldes war zu verlockend gewesen.
Ihm war klar, war, dass er sich dringend bei Schlosser melden musste, wenn er nicht ernste Probleme riskieren wollte. Wie aber konnte er ihn erreichen, wenn das Telefon ausfiel? Und mit dem Koffer zu ihm? Was, wenn die Polizei ihn vor Schlossers Büro durchsuchen würde? Den Koffer unbeaufsichtigt in Ranias Wohnung lassen und Schlosser ohne das Geld suchen? Bestimmt nicht! Dass Geld würde er nicht aus den Augen lassen, soviel war sicher. Am Ende war ihm nichts anderes eingefallen, als nichts zu tun und zu warten.
Mehr aus Langeweile hatte er dann begonnen, die Geldbündel zu zählen. Sie waren ungleichmäßig gepackt und enthielten mal fünftausend, mal bis zu zehntausend Euro. Schnell war er neugierig geworden und hatte sich daran gemacht, jeden Packen einzeln durchzuzählen. Als er nach fünfundvierzig Stapeln durch war, hatte er sich erschöpft auf das Bett zurücksinken lassen und benommen an die Decke gestarrt.
Zweihundertfünfundachtzigtausend Euro!
Das Undenkbare hatte so nah wie die Euroscheine vor ihm gelegen und Malik mit einer stetig wachsenden Versuchung gepackt. Um sich abzulenken war er aufgestanden und unruhig durch Ranias Wohnung gelaufen. Irgendwann hatte er mit brummendem Schädel zum bestimmt zehnten Mal geprüft, ob die Wohnungstür richtig verschlossen war, sich ausgezogen und aufs Bett gelegt. Den Koffer hatte er dabei fest im Griff gehalten.
Die Nacht war unruhig gewesen, an Schlaf nicht zu