Weiße Rosen aus Névez. Jean-Pierre Kermanchec

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Название Weiße Rosen aus Névez
Автор произведения Jean-Pierre Kermanchec
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748592204



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die mir Spaß macht. Meine Rente reicht für das tägliche Leben aus. Der Fischfang ist mein Zeitvertreib und ein kleines Zubrot. Wozu brauche ich ein zweites Boot und mehr Fische? Ich bin sowieso schon zu alt dafür. Viel mehr als mein Essen und eine Flasche Wein pro Tag brauche ich nicht. Ich könnte täglich einen Hummer verzehren oder meine Fische gegen Austern eintauschen, falls es mir nach solchen Dingen gelüstete.“ Damit beendete er das Gespräch. Mike Cornby erwiderte nichts mehr.

      Jetzt fuhr der Alte wieder aufs Meer hinaus. Mike holte sein kleines Beiboot und ruderte zu seiner eleganten 16-Meter-Yacht. Der hatte er den Namen Cornby II gegeben, weil es bereits seine zweite Segelyacht war. Es war eine Jeanneau, Sun Odyssey. Ein schnittiges Boot, das eine beträchtliche Geschwindigkeit entwickelte. Mike hielt sich für einen erfahrenen Segler, auch wenn er diesen Sport erst seit einigen Jahren zwischen England und der bretonischen Küste ausübte. Wenn Freunde aus dem Königreich nach Brittany kamen, wie seine Landsleute die Bretagne nannten, nahm er sie gerne auf eine Spritztour mit und versuchte ihnen zu imponieren. Die Cornby I war im letzten Jahr zu Schaden gekommen, als er bei einer Fahrt einen unter der Wasseroberfläche versteckten Felsen übersehen hatte. Sein Sonar hatte ihn zwar gewarnt, aber er war so mit seiner Prahlerei beschäftigt gewesen, dass er die Warntöne überhört hatte. Die Seenotrettung von der Trévignon war damals ausgerückt und hatte ihn und seine drei Begleiter aus dem Wasser gefischt.

      Das Meer war heute ruhig, es würde ein herrlicher Tag zum Segeln. Mike stieg auf seine Yacht und befestigte das Beiboot am Heck. Dann öffnete er den Zugang zur Kabine und überprüfte, ob er alles Nötige an Bord hatte. Er lichtete den Anker, startete den Motor und fuhr durch die markierte Fahrrinne flussabwärts auf Port Manec´h zu. Die Segel setzte er erst kurz bevor er das offene Meer erreicht hatte. Das Boot nahm Geschwindigkeit auf, und das Schiff bahnte sich seinen Weg durch die Wellen, der Wind blies ihm durch die Haare. Es war ein erhabenes Gefühl. Sein Ziel waren die Glénan-Inseln. Der kleine Archipel hatte es ihm angetan. Er liebte diese Inseln, besonders im Frühjahr. Ab April blühten dort die weltweit einzigartigen Glénan-Narzissen und verwandelten die Inseln in ein bretonisches Paradies. Ihre Blütenpracht konnte man von April bis Juni bewundern. Das kristallklare türkisfarbene Wasser und die weißen feinen Sandstrände unterstrichen den tropisch paradiesischen Eindruck. Jetzt waren die Narzissen allerdings verblüht.

      Mike saß entspannt am Ruder. Er hielt seinen Blick auf den Leuchtturm von St. Nicolas, der größten Insel des Archipels, gerichtet und genoss die frische Luft. Er umrundete die Inseln und trat den Rückweg an. Für den späteren Nachmittag hatte er ein Rendezvous mit einem äußerst hübschen Mädchen verabredet, das er keinesfalls verpassen wollte. Er hatte geplant, mit dem Mädchen in Pont-Aven, in der weithin für ihre außergewöhnlichen Patisserien bekannten Chocolaterie, etwas trinken zu gehen und mit ihr ein Stückchen Kuchen zu essen. Ein unvergessliches Erlebnis sollte es werden. Danach müsste sich der weitere Verlauf des Abends entwickeln.

      Zeitig genug lief er im Hafen von Kerdruc ein, verankerte die Yacht an seiner Liegestelle und ruderte mit dem Beiboot zurück zur Hafenmole. Der alte Fischer war ebenfalls wieder zurück, sein rot und blau angestrichenes altes Ruderboot war an einen Befestigungsring geknotet. Mike ging zu seinem Audi A8, er stieg ein und gab Gas. Bis nach Pont-Aven waren es nur wenige Minuten. Seine Vorfreude auf das Treffen mit dem Mädchen hatte ihn schon den ganzen Tag lang begleitet.

      Kapitel 6

      Anaïk Bruel betrachtete die Aufzeichnungen an der Pinnwand, als Dustin ins Büro trat.

      „Bonjour Anaïk“, grüßte er und ging auf sie zu.

      „Bonjour Dustin“, erwiderte Anaïk.

      „Hast du etwas Neues für mich?“, fragte sie Dustin.

      „Habe ich Anaïk, und ich will es dir auch sofort sagen. Also, an dem Zigarettenstummel habe ich eine DNA-Spur gefunden. Yannick untersucht sie bereits. An dem Gurt, mit dem der Stein am Ast befestigt gewesen ist, habe ich einen halben Fingerabdruck und eine winzige Ölspur sichern können. Meine erste Analyse deutet darauf hin, dass der Gurt entweder aus einer Werft stammt, oder dass der Mörder etwas mit Schiffen zu tun hat. Es könnte also auch ein Fischer sein. Es handelt sich eindeutig um Schweröl, das auf Werften und Fischerbooten eingesetzt wird.“

      „Interessant“, bemerkte Anaïk.

      „Und woher könnte der Felsbrocken stammen?“

      „Das gestaltet sich schwierig. Der Stein enthält sowohl Sandstein als auch Schiefer. Ich habe mir die Verbreitung dieses Gesteins angesehen. Die Geologen haben diese Zusammensetzung in der Südbretagne nur auf der Belle-Île und an einigen kleineren Küstenabschnitten zwischen Concarneau und Lorient gefunden. Vielleicht gelingt mir eine genauere Lokalisierung, dazu muss ich allerdings Vergleichsproben beschaffen, was entsprechend viel Zeit in Anspruch nehmen kann.“

      „Hmmm, und wenn der Brocken aus der Gegend von Kerfany stammte?“ Anaïk dachte sofort wieder an Monsieur Audic. Eigentlich hatte sie ihn ausgeschlossen, sie war sich dennoch unsicher. Eine DNA-Analyse von Monsieur Audic würde ihr deutlich weiterhelfen. Am Zigarettenstummel hatten sie doch eine DNA gefunden, die könnten sie mit der von Monsieur Audic vergleichen. Er müsste zu einer freiwilligen Abgabe bereit sein, bei der derzeitigen Beweislage konnten sie ihn dazu nicht zwingen. In dem Moment betrat Monique das Büro.

      „Gibt es Neuigkeiten?“

      „Ja, Monique“, antwortete Anaïk und berichtete von den Ergebnissen, die Dustin ihr gerade präsentiert hatte. Dustin machte sich wieder auf den Weg in sein Labor.

      „Wie gehen wir jetzt weiter vor?“, fragte Monique ihre Chefin, die mit ihren Gedanken schon wieder woanders zu sein schien.

      „Ich denke gerade darüber nach. Im Moment können wir mit den Hinweisen von Dustin wenig anfangen. Wir haben keine Fingerabdrücke von Monsieur Audic, um sie mit dem Abdruck auf dem Gurt zu vergleichen. Wir wissen nicht, woher das Öl auf dem Gurt stammt. Wenn es eindeutig aus einer Werft käme, könnten wir uns Proben aus den einzelnen Werften besorgen, viele gibt es davon ja nicht im Großraum von Concarneau, eher kleinere Werkstätten, die sich auf die Instandsetzung von Booten spezialisiert haben, wenn ich von den hivernages, den Winterlagerstätten, absehe. Ob uns das weiterbringt? Ich habe auch Zweifel, dass uns das Wissen um die Herkunft des Felsbrockens helfen kann. Ich setze eher auf den Zigarettenstummel und auf den Zettel mit der Aufforderung in den Garten zugehen. Ich lasse den Zettel gerade von einem Experten untersuchen.“

      „Hast du ihn zur forensischen Schriftuntersuchung gegeben?“

      „Nein, die könnte uns ja nur die Echtheit bestätigen oder Aussagen über das Alter der Schrift oder die verwendete Tinte machen. Ich habe ihn einem Graphologen gegeben, der sich mit der psychologischen Untersuchung von Texten beschäftigt. Ich erhoffe mir, dadurch Aufschluss über die Persönlichkeitsstruktur der Person, die den Text geschrieben hat, zu erhalten. Ich habe von dem Graphologen gehört, dass er sowohl Persönlichkeits- als auch Sozialkompetenz aus Schriften herauslesen kann. Der Experte, mit dem ich telefoniert habe, ein Herr Paul Camoure, war sicher, dass er uns bei der Suche nach einem Profil unseres Täters helfen kann.“

      „Hmmm, eine interessante Überlegung“, meinte Monique und dachte darüber nach.

      „Wie lange wird es dauern, bis wir mit einem Ergebnis rechnen können?“

      „Das konnte er mir nicht sagen, Monique, er wollte sich die Schriftprobe zuerst genau ansehen. Lass uns nach Kerfany fahren und klären, ob Monsieur Audic raucht“, sagte Anaïk und schnappte sich ihre Handtasche.

      Sie hatten gerade das Büro verlassen, da klingelte ihr Handy.

      „Bruel“, meldete sie sich.

      „Madame Bruel, wir haben einen Anruf von einem Gendarmen, Marc Marson, aus Pont-Aven erhalten. Er hat uns einen Toten auf einem Parkplatz der Stadt gemeldet“, informierte sie der Kollege der Telefonzentrale.

      „Wir fahren sofort hin, informieren Sie bitte auch Dustin Goarant und Yannick Detru. Wo genau finden wir diesen Parkplatz?“

      „Der Platz