Название | Das zweite Gleis |
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Автор произведения | Helmut Lauschke |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742797759 |
Ständig wird auf den Gleisen zwischen Macht und Ohnmacht hin und her gefahren und das mitunter in langen Zügen. Da es auf den Gleisen keine Ruhe gibt, die Köpfe rast- und ratlos in beide Richtungen sehen, denken und sich in Bewegung setzen, wird es keinen Frieden in den Köpfen der Völker geben. Es ist die aufgesetzte Geometrie, die sich in den Völkern festgeschrieben hat, dass die Macht oben ist und bestimmt, wie es weiter und wo es lang geht.Weil das so ist, ist die Ohnmacht unten. Sie hat still zu halten und sich so zu bewegen, wie es die Macht befiehlt. DerMensch unten in seiner Ohnmacht muss es tun mit der endlosen Geduld im Schweigen, Leiden und Tragen der schweren Gewichte, die aus Armut und Elend der permanenten Not sich ihm wie ein mächtiger Strom unaufhaltsam entgegendrücken.
Die Gleise, auf denen hin und her gefahren wird, werden instand gehalten und erneuert, wenn die alten abgefahren sind. Dabei kommt dem Unterbau die größte Bedeutung zu. Durch die zunehmende Fahrtfrequenz und stetige Gewichtszunahme des Frachtgutes muss der Unterbau sorgfältig gewartet und bei den ersten Abrollerscheinungen aufgeschüttet werden. Ein anderer Schwerpunkt für Gleis und Gleisverkehr sind die Schwellen. Da hat es die Entwicklung von der Holzschwelle über die Stahl- zur Betonschwelle gegeben. Gleisdichte und Gleisweite hängen von den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen eines Volkes ab.
Es ist die Geldfrage, die über die Qualität der Gleisanlage entscheidet. Die Züge sind zahlreicher und schneller geworden. Auch gibt es die langen Züge, die Panzer und anderes Kriegsmaterial von einem Ort zum andern und im Transit fahren, während in entgegengesetzter Richtung Züge mit Gefangenen, Verwundeten und anderen wehrlosen Menschen fahren. Da sieht man auch verängstigte Frauen- und Kindergesichter.
Relativ neu im Durchdenken von Sinn und Unsinn des Krieges ist seine Verflechtung mit denGewinnen der Wenigen, die aus den Kriegen den Profit ziehen und um diesen Vorteil für Kriege plädieren, ihn “politisch” motivieren und durchsetzen und ihn auf Siegerseite bis zum Ende finanzieren. Dabei blieb es: Die Völker tragen die Entbehrungen und Opfer. Neu ist: Die Profite für Bankhäuser und Geldverleiher steigenumso höher, je länger der Krieg dauert und je mehr Opfer der Krieg an Mensch und Material fordert. Darum: die Schlachten werden nicht fürs Vaterland – wie Blut und Boden – ausgekämpft, sondern für die internationalen Geldbarone, die auch die russische Revolution finanziert haben. Am Ende bestimmen diese Barone über die Art und Höhe der Reparationen, die vomBesiegten zu leisten sind. Es ist ein Riesengeschäft, das in den sogenannten “Friedensverträgen” festgelegt und über Generationen durchgezogen wird. Dem Riesenprofit steht das riesenhafte Elend der Völker gegenüber, die da machtlos sind.
Die Frage von grundsätzlicher Bedeutung ist: Wo ist die Ethik der Menschlichkeit?
Auf einem versteckten Gleis
Über dem Haus stand ein klarer Sternenhimmel. Es war Vollmond, und auf seiner Bahn leuchtete er hell über dem Platz zwischen Wohnstelle und International Guesthouse.
Es war still,die Casspirs waren noch nicht zurückgekehrt. Ich setzte mich auf die Stufe vor der Verandatür und zündete eine Zigarette an.
Das Gespräch brachte die Erkenntnis, dass der junge Kollege nicht nur in der ärztlichen Arbeit motiviert war. Er war darüber hinaus von einer hohen menschlichen und sprachlichen Begabungausgezeichnet.
Er konnte die Gedanken mit einfachen Worten zum Tragen bringen, und im Heben und Senken hörte sich das Schwingen der Sätze gut an. Ich fühlte die Bildung seiner Sprache mit innerer Freude, deren Schönheit einige Träume füllen würde.
Von der Sprache her war es zu bedauern, dass ein so begabter Mensch das Hospital verließ, das ohne ihn weiter veröden würde.
Warum war es so, dass interessante Menschen nur kurz da waren und die farblosen Gesichter so lange blieben?
Das letzte Gleisstück
Der Krieg hat die Menschen in Angst und Schrecken versetzt, dass sie mit Bluthochdruck und Kopfschmerzen zum Hospital kamen, weil sie es ohne Medikamente nicht mehr aushielten.
Es waren magere Menschen, die vorher einen Blutdruck hatten, der an der unteren Normgrenze lag. Die Mittel der Wahl waren Beta-Blocker und Flumethiazide.
Es gab Unverträglichkeiten mit dem Schwindelgefühl, mit Brechreiz, Atembeschwerden und Muskelkrämpfen. Auch waren die Medikamente in der Apotheke nicht immer vorrätig.
So nahm der Krieg nicht nur Einfluss auf die Chirurgie, sondern griff tief in die nervösen Zentren der Menschen ein, die es am Herzen spürten, dass sie sich der Schrecken nicht mehr erwehren konnten.
Ein anderer Punkt des Schreckens war die Zunahme der Schwindsucht, der die Menschen in ihrer Magerkeit und Schwäche des Immunsystems erlagen.
“Das haben unsere Menschen nicht verdient.” Es war die tägliche Redewendung der schwarzen Kollegen, die das Ende der Apartheid mit den finsteren Erfahrungen aus ganzem Herzen herbeisehnten.
Ich stimmte ihnen zu, denn die Not und das Elend, in denen die Menschen steckten, zerriss dem, der mit ihnen in Berührung kam, nicht nur das Herz, sondern auch den Glauben an die Gerechtigkeit, ob die menschliche Würde noch zu retten ist.
Auf einem anderen Gleis
Der Philosoph Plotin war dagegen, dass der Maler Ameliusihn porträtierte. Seine Begründung war: “Ist es nicht genug, das Schattenbild zu tragen, mit dem die Natur uns umgeben hat? Und du achtest es noch der Mühe wert, ein Schattenbild des Schattenbildes folgenden Zeiten als etwas Sehenswürdiges zu hinterlassen!”
Für ihn war der Geist der Vater aller Seelen, der über dem menschlichen Denkvermögen steht, die Denkakte auseinandertreten lässt und in Bewegung setzt.
Der Geist öffnet sich nach allen Seiten, also auch nach dem Anderssein. Er ist an jeder Stelle vielgestaltig und damit dialektisch.
In ihm ruht die Welt der ewigen Formen, der Urbilder von allem, was Sein hat und Sein bedeutet.
Alles ist unerschöpflich, weil der denkende Geist nicht stillsteht. Es liegt an ihm, dass das Eine in ewiger Bewegung, das Leben zeitlos und das Licht für das Licht durchsichtig ist.
Einige Gleisschwellen zurück
Der Pastor hebt bei der Predigt einige Male die Hände und zeigt zur Holzdecke der alten Missionskirche. Er zielt auf den Himmel, wohin der große Sohn, dem die Dornenkrone aufgedrückt worden war, sich hilfesuchend an den großen Vater wandte, weil er es am Kreuz nicht mehr ertragen konnte.
Der Vater ließ den Sohn sterben, dass er ihn vom Tode auferweckte. Der Gottessohn in Menschengestalt, den die Liebe des Vaters unsterblich machte.
Eine Geschichte, die vom Ausmaß bis heute mit dem Verstand nicht zu fassen ist. Etwas anderes ist, was die Menschheit aus der Geschichte machte. Sie zerbrach in Stücke und blieb verkümmert, weil sich der Mensch andere Dinge eingebildet hatte. Er hat sich in seinem Gedankennetz verfangen, aus dem er sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien kann.
Deshalb spricht er vom Schicksal, weil er vom Glauben nicht mehr sprechen will. Spontan steigt die Frage auf, ob Menschen diesen Vater bitten, seine unbegreifliche Liebe auch jenen zukommen zu lassen, die den furchtbaren Tod durch Gewalt und Minen sterben.
Das tun die jungen Frauen mit ihren kleinen Kindern, die den Mann und Vater verloren haben und ihn nun vermissen, wenn sie ans Brot denken. Alte Menschen bangen um ihre Söhne und Töchter, von denen das Lebenszeichen seit langem fehlt, oder die der Wind in der Wüste bereits zugedeckt und im Sand verschichtet hat.
Vom Gleisende und der Parabel des Lichts