Das Grab in der Ville-Close. Jean-Pierre Kermanchec

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Название Das Grab in der Ville-Close
Автор произведения Jean-Pierre Kermanchec
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742707727



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dort besucht. Ich habe nur sehr sporadisch Kontakt zu meinem Vater gehabt. Wir sind uns nicht gerade sehr sympathisch.“

      „Wann haben Sie ihren Vater zum letzten Mal aufgesucht?“

      „Das ist bestimmt schon drei Jahre her. Er hat damals keinen großen Wert auf meinen Besuch gelegt. Mewen ist der einzige gewesen, den er gerne um sich gehabt hat. Mein Vater ist kein sehr umgänglicher Mensch. Mir hat er immer nur Versagen vorgeworfen, dabei hat er selbst nichts auf die Reihe gebracht. Vor vielen Jahren hat die Police judiciaire sogar geglaubt, dass er an einem Bankraub beteiligt gewesen ist. Können Sie sich das vorstellen? Mein Vater ist damals bereits 65 Jahre alt gewesen.“

      „Und? War er beteiligt?“, fragte Anaïk dazwischen.

      „Ich kann es Ihnen nicht sagen. Kann sein, kann auch nicht sein. Wenn er es gewesen ist, dann hätte er einen großen Batzen Geld auf die Seite gebracht. Davon haben wir aber nie etwas bemerkt.“

      „Ihr Vater hat die Familie nie unterstützt?“

      „Nein, dabei hätten wir seine Hilfe gut gebrauchen können. Er ist schon immer ein geiziger Egoist gewesen.“

      „Zurück zum Verschwinden ihres Sohnes, haben Sie nach ihm gesucht?“

      „Was denken Sie? Natürlich habe ich nach ihm gesucht. Aber ich habe ihn nirgends gefunden. Ich war in allen Clubs, in denen er sich so herumgetrieben hat, habe alle möglichen Leute gefragt, die meinen Sohn gekannt haben. Aber niemand hatte ihn gesehen. Bei der Polizei hat man mich zuerst vertröstet. Der wird schon auftauchen, hat der Polizist in Concarneau gemeint. Erst nachdem er drei Tage lang verschwunden war, haben sie endlich eine Suchmeldung herausgegeben.“

      „Können Sie uns ein Foto ihres Sohnes geben, das würde unsere Arbeit erleichtern.“

      „Ein Foto? Muss ich suchen, warten Sie.“

      Monsieur Bolloc´h erhob sich schwerfällig aus seinem Sessel, nahm die bereits erloschene Zigarette aus dem Mund, die er vorhin aus dem Aschenbecher genommen hatte, und legte den Stummel erneut auf dem Rand des Aschenbechers ab. Er schlurfte quer durch den Raum und öffnete die Schublade eines Schrankes. Er wühlte in den offensichtlich planlos hineingeworfenen Fotos. Nach einigen Minuten schob er die Schublade wieder zu und kam mit einem Bild zurück.

      „Das ist das einzige jüngere Bild von ihm. Es muss so ungefähr zwei Jahre vor seinem Verschwinden aufgenommen worden sein. Ich glaube, das hat seine damalige Freundin aufgenommen, die hat ihn aber kurz danach verlassen.“

      Anaïk betrachtete das Foto eines jungen Mannes, der wenig Ähnlichkeit mit seinem Vater hatte, seine äußere Erscheinung betreffend. Der junge Mann machte einen sehr gepflegten Eindruck, seine Haare waren kurzgeschnitten, er trug einen kleinen Unterlippenbart und hatte eine Tätowierung auf dem linken Oberarm.“

      „Wir müssten uns im Zimmer von Mewen umsehen, ist das möglich?“

      „Wenn Sie glauben dort etwas zu finden, dann machen Sie das. Die Treppe hoch, das erste Zimmer auf der rechten Seite.“

      Monique und Anaïk verließen das Wohnzimmer und gingen die Treppe nach oben. Mewens Zimmer schien seit seinem Verschwinden nicht verändert worden zu sein. Das Bett war nicht gemacht, Staub lag auf dem kleinen Schreibtisch, darauf ein aufgeklapptes Notebook. Während Monique sich im Zimmer umsah, versuchte Anaïk den Computer zu starten. Das Notebook war mit einem Passwort gesichert. Anaïk klappte es zu und nahm es an sich. Das ist eine Aufgabe für Robert. Robert Gallic war der Experte für Elektronik im Kommissariat.

      Im Zimmer hing ein Poster einer Heavy Metal Band, die Anaïk unbekannt war, daneben hatte der junge Mann das Bild eines hübschen Mädchens geheftet. Vermutlich war es die Freundin, von der der Vater gerade gesprochen hatte. Anaïk nahm das Foto ab und steckte es ein. Danach gingen sie wieder hinunter zu Mewens Vater.

      „Haben Sie recht herzlichen Dank für das Bild, Sie erhalten es nach unseren Ermittlungen zurück. Wir nehmen das Notebook von Mewen und ein Foto seiner ehemaligen Freundin mit.“ Damit verabschiedeten sich Anaïk und Monique von Monsieur Bolloc´h und verließen das Haus. Der Regen hatte inzwischen an Intensität nachgelassen. Anaïk stieg ins Auto und wartete, bis auch Monique die Tür geschlossen hatte.

      „Ein seltsamer Mensch, etwas ungepflegt“, meinte Monique, zog den Sicherheitsgurt nach vorne und ließ ihn einrasten.

      „Ungepflegt ist nett formuliert. Am Anfang schien er so derinteressiert, das hat sich im Laufe der Unterhaltung etwas geändert. Immerhin wissen wir jetzt, dass Mewen Bolloc´h einen Grund hatte in die Ville Close zu gehen. Er hat dort seinen Großvater besucht. Wir müssen uns mit dem Großvater unterhalten. Möglicherweise kann der uns weiterhelfen. Auch wenn er uns vielleicht nicht sagen wird, dass er an dem Bankraub vor 14 Jahren beteiligt gewesen ist.“

      „Bestimmt nicht, Anaïk“, stimmte Monique zu.

      „Nehmen wir doch mal an, der Großvater von Mewen ist an dem Überfall beteiligt gewesen, dann könnte es doch sein, dass er seinem Enkel das Versteck seines Anteils an der Beute verraten hat. Die Notiz, die Dustin gefunden hat, würde dazu passen.“

      „Mewen Bolloc´h hat sich auf die Suche nach dem Geld gemacht und ist dabei von einem anderen Mann beobachtet worden“, ergänzte Monique Anaïks Überlegungen.

      „Oder er hat einen Freund, Kollegen oder sonst einen Intimus über das Geld informiert und um Unterstützung bei der Aushebung des Verstecks gebeten, mit der Versicherung ihn zu beteiligen.“

      „Der Angesprochene hat zugesagt, und als sie das Geld gefunden haben, hat er Mewen erschlagen um die Beute für sich zu haben?“

      „So könnte es gewesen sein“, meinte Anaïk und startete den Motor.

      Kapitel 9

      Anaïk Bruel stellte den Dienstwagen auf dem Parkplatz gegenüber der Ville Close ab und machte sich mit Monique auf den Weg in die Altstadt. Die grauschwarze Wolkendecke war in den letzten Minuten aufgerissen und hatte der Sonne ein wenig Durchblick ermöglicht. Die Ville Close schien fast ausgestorben zu sein. Nur vereinzelt waren Fußgänger in der Rue Vauban zu sehen. Die Geschäfte der Altstadt waren teilweise geschlossen und verstärkten den tristen Eindruck, den die Gasse auf die beiden Kommissarinnen machte. Die kleine Résidence lag unmittelbar neben der Chapelle de l´Hôpital. Sie öffneten das Tor, das den Vorplatz des Hauses von der Rue Vauban trennte, und gingen die wenigen Meter bis zur Eingangstür. An der Haustür gab es keinen Klingelknopf oder Klopfer. Anaïk drückte die Klinke nach unten und war erstaunt, dass die Tür sich öffnete. Sie hatten kaum den Flur betreten als eine ältere Dame auf sie zukam und nach ihren Wünschen fragte.

      „Hier im Haus soll ein Monsieur Heneg Bolloc´h wohnen? Wir sind von der police judiciaire aus Quimper. Mein Name ist Anaïk Bruel, das ist meine Kollegin, Monique Dupont.“

      „Sie wollen zu Heneg? Er hat schon seit Langem keinen Besuch mehr erhalten. Kommen Sie, ich bringe Sie zu ihm, er wird sich freuen. Seine Wohnung liegt in der ersten Etage, leider haben wir keinen Aufzug. Heneg ist nicht mehr so gut zu Fuß, müssen Sie wissen. So kann er nicht so ohne Weiteres nach unten kommen.“

      Anaïk und Monique folgten der Frau langsam nach oben. Sie war bestimmt weit über 70 Jahre alt. In einem schmalen Gang blieb die Frau vor einer Tür stehen, klopfte und trat ein ohne auf eine Antwort zu warten.

      „Heneg, du hast Damenbesuch, der dich sprechen möchte.“

      Heneg saß in einem Schaukelstuhl und sah aus dem Fenster, das zur Vorderseite des Hauses zeigte. Er hatte also gesehen, dass sie den Garten betreten hatten. Langsam, beinahe phlegmatisch drehte er sich um und sah Anaïk an.

      „Sie wollen zu mir? Ich kenne Sie nicht. Hat Mewen Sie zu mir geschickt? Er ist schon so lange nicht mehr hier gewesen. Früher ist er regelmäßig einmal in der Woche gekommen.“

      „Monsieur Bolloc´h, wir sind von der police judiciaire aus Quimper. Mewen hat uns nicht zu Ihnen geschickt, aber seinetwegen sind wir hier.“