Название | Natascha |
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Автор произведения | Nadja Christin |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738011333 |
Eine Stimme in mir brüllte laut und knurrend: »Vorsicht!«
Vor Schreck schrie ich kurz auf. Meine Arme wirbelten herum, wehrten Justin ab. Ich hatte einen kurzen Moment wirkliche Todesangst.
Mein Atem ging schneller, meine Augen waren schreckensgeweitet.
Justin blickte mich erstaunt an. »Was ist?«
»Nichts.« Log ich.
»Alles in Ordnung, lass uns einfach weiterfahren. Okay?« Justin lehnte sich wieder in seinen Sitz und starrte vor sich hin.
Ich versuchte mich zu beruhigen, atmete prustend aus und startete den Mustang. Meine Hände zitterten leicht.
Was ist bloß hier los, fragte ich mich. Seit wann höre ich denn Stimmen? Seit wann habe ich Angst vor Justin? Ich warf ihm einen kurzen Seitenblick zu, er starrte nachdenklich vor sich hin.
In welchen miesen Horrorfilm bin ich hier geraten?
Hatte Josh am Ende mal wieder Recht behalten? Kann bei einer schnellen Verwandlung einfach nichts Gutes herauskommen? Ich wollte es nicht wahrhaben, ich wollte es einfach nicht.
Während die Reifen unter mir schnell dahin rollten, redete ich mir unermüdlich ein, dass eben nichts passiert sei, dass Justin nur ein bisschen überreagiert hatte, nur ein wenig ausflippe. Ich wiederholte die Worte so lange in mir drin, bis sie glaubwürdig klangen, bis ich sie selber glaubte.
Wir waren fast am Ziel, ich musste nur noch in einen kleinen Waldweg einbiegen, der mich einen Kilometer in den Wald führte.
Ich war ein wenig nervös, starrte auf den Waldweg vor mir. Ich suchte nach dicken Ästen, die meinem Mustang den Weg versperren könnten.
Plötzlich schrie eine Stimme wieder: »Vorsicht!« Ich riss den Kopf herum, aber es war zu spät.
Der Jeep kam zwischen den Bäumen hervorgeschossen wie ein wütender Bär.
Er rammte mit seinem Bullenfänger die Seite meines Wagens. Justin schrie auf. Es krachte fürchterlich, der Mustang stand kurzzeitig nur auf zwei Räder. Dann schleuderten wir auch schon auf die Bäume zu. Ich bremste und riss dann das Lenkrad herum. Wir standen quer auf dem Waldweg. Der schwarze Jeep blieb seitlich zu uns, in ein paar Metern Entfernung stehen.
Justin und ich blickten aus dem zerstörten Seitenfenster auf diesen mörderisch großen Pritschenwagen. Ich kannte das Auto, es war Franks Jeep Gladiator. Ein riesen Teil von einem Wagen.
Hinter der Beifahrerscheibe grinste Dennis mich spöttisch an. Frank lehnte sich von der Fahrerseite her zu ihm rüber und winkte uns zu. Dann gab er Gas, ließ die Hinterreifen Dreck schleudern und fuhr in Richtung Landstraße davon. Ich wendete und machte mich auf, sie zu verfolgen.
»Ich glaub, ich spinne«, regte sich Justin neben mir auf.
»Der wollte uns umbringen«, er schüttelte seinen Kopf.
Ich spürte keine Angst, mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt, dass ich nicht sterben konnte.
Ich sah nur Dennis’ Gesichtsausdruck vor mir und war entsetzt darüber, wie kalt seine Augen wirkten und dann sein spöttisches Lächeln …
Ein entsetzlicher Verdacht keimte in mir hoch, ich unterdrückte den Gedanken schnell und konzentrierte mich nur auf die Verfolgung von Franks Jeep.
Inzwischen war er, ohne langsamer zu werden, auf die Landstraße abgebogen und preschte in südlicher Richtung davon. Ich gab Gas, der Motor brüllte und knurrte unter mir. Ich bog auch auf die Landstraße ein. Aber sie waren weg. Kein Jeep war mehr zu sehen, obwohl die Straße hier schnurgerade war. Ich blickte verdutzt die Straße rauf und runter, so schnell war der Jeep auch wieder nicht, Frank musste also irgendwo abgebogen sein.
»Wo sind sie denn bloß hin?«, fragte Justin.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich leise und überlegte wieder. Langsam fuhr ich die Straße entlang. Es gab hier alle hundert Meter einen schmalen Weg, der in den Wald hineinführte. Welchen haben die Beiden nur genommen? Plötzlich sah ich breite Reifenspuren, die in einen der Wege führten. Ich zerrte mein Lenkrad herum und folgte den Spuren.
Nur langsam kam ich voran. Trotz der lang anhaltenden Dürre in den letzten Wochen war der Weg morastig, nicht viel, aber mein Auto war schließlich kein Offroader. Wenn wir stecken blieben, wäre das nicht gut, gar nicht gut.
Ein Stück weiter wurde der Untergrund wieder fester und ich konnte beschleunigen. Immer tiefer fuhren wir in den Wald hinein. Keine Spuren waren mehr zu entdecken.
»Das gibt es doch nicht. Wo sind die nur?«, fragte ich in die Stille hinein.
»Keine Ahnung, aber gib mal Gas, dann erwischen wir sie bestimmt weiter vorne.« Justin blickte angestrengt durch die Windschutzscheibe. Ich drückte das Pedal noch tiefer durch. Der Mustang schoss über den erstaunlich ebenen Waldweg. Plötzlich ein Knurren und Brummen von rechts.
Der Jeep flog förmlich zwischen den Bäumen hervor. Wie ein brüllendes Tier stürzte er sich auf den Mustang. Selbst ich konnte mir ein erschrecktes Kreischen nicht verkneifen.
Die Schnauze des Gladiator traf mit voller Wucht die Beifahrerseite. Justin hielt sich die Arme vors Gesicht und wendete sich ab. Ich hielt das Lenkrad krampfhaft fest, aber es half nichts. Die Wucht des Aufpralls katapultierte meinen Wagen nach links, runter vom Waldweg, unaufhaltsam in Richtung Bäume. Ich versuchte zu bremsen, den unvermeidlichen Aufprall in letzter Sekunde noch abzuwenden. Aber der Mustang reagierte nicht mehr.
Mit hoher Geschwindigkeit prallten wir frontal gegen eine Fichte. Das Heck des Mustangs hob ein bisschen vom Boden ab, als sich die gesamte Frontpartie, wie in einer innigen Umarmung, um den Stamm schmiegte.
Blitzartig war es still. Ein Ticken war noch zu hören, sonst nichts. Ein paar Vögel, die aufgeregt davonflogen, dann war es wieder still.
Ich blickte auf meine Hände, die noch krampfhaft das Lenkrad umklammerten. Sah auf den rauen Stamm der Fichte, die viel zu nahe stand. Langsam drehte ich meinen Kopf, es knackte in meinem Genick.
Justin saß immer noch in seinem Sitz, ich war erstaunt, er war nicht angeschnallt und hatte eigentlich nichts zum festhalten. Ich hatte eigentlich erwartet, dass er im hohen Bogen aus dem Auto geschleudert wurde.
Er hielt sich eine Hand vor die linke Gesichtshälfte, Blut rann darunter hervor. Ich nahm seine Hand und wollte sie wegziehen.
»Zeig mal, wie schlimm ist es.«
»Nein, lass es.« Er klang ängstlich. Er drehte sich ein wenig von mir weg und nahm die Hand langsam runter, sie war voller Blut. Dann blickte er mich zögernd an. Seine linke Gesichtshälfte, vom Auge bis zum Mund, war beinahe verschwunden. Tiefe Risse zogen sich über die Wange. Der Wangenknochen war gebrochen, ich konnte durch die offenen Wunden die Knochensplitter sehen, die gesamte Seite sah eingefallen aus. Aber das Schlimmste war die leere Augenhöhle. Sein linkes Auge war nicht mehr da. Stattdessen starrte mich ein schwarzes Loch an.
»Oh, …dich hat es aber erwischt.« Ich hob meine Hand und wollte ihm über die zerstörte Wange streichen. Er zuckte zurück.
»Ich kann auf der Seite nichts mehr sehen, wie kommt das?«
Er drehte den Rückspiegel in seine Richtung und blickte hinein. Sekundenlang, schweigend. Dann ruckte sein Kopf zu mir.
»Meinst du das verheilt wieder? Meinst du ich kann bald wieder sehen mit …eh …wird mir eigentlich ein neues Auge wachsen?« Er blickte erneut in den Spiegel.
»Das sieht furchtbar aus. Ich sehe furchtbar aus.«