Der EMP-Effekt. Peter Schmidt

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Название Der EMP-Effekt
Автор произведения Peter Schmidt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656333



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wäre unsere Strategie falsch?»

      «Ich habe Garling in London …»

      «Keine Namen, Eathscott. Auch nicht, wenn wir unter Freunden sind», sagte er mit einem entschuldigenden Seitenblick zu Holler.

      Eathscott wandte ihm langsam das Gesicht zu. Mit seinen beiden vorstehenden großen Schneidezähnen erinnerte er Whyler immer an einen dieser albernen amerikanischen Komiker, dessen Namen er vergessen hatte.

      «Verzeihung, Sir. Um ehrlich zu sein …»

      «Ich bitte darum.»

      «… habe ich unseren Vorgesetzten in London gegenüber die Auffassung vertreten, dass man die Gefahr an der Wurzel beseitigen sollte.

      Leider bleibt für diese Lösung nur eine Möglichkeit. Aber man meinte,

      Sie hätten die Leitung. Sie trügen auch die Verantwortung. London,

      Washington und unsere Freunde in Köln hätten sich darauf geeinigt,

      Ihnen freie Hand zu geben.»

      «Fahrzeug auf der Landstraße, wahrscheinlich PKW», meldete sich eine Stimme aus dem Zimmerlautsprecher oben an der Decke. Der eigentliche Funkraum, zugleich Überwachungsstand der Umgebung, war in der Etage über ihnen untergebracht.

      Eathscott ging zum Funkgerät auf der Kommode. «Verstanden – bis auf Sichtweite herankommen lassen.»

      «Fahrzeug identifiziert. Unser Londoner Kennzeichen», kam es fünf Sekunden später zurück.

      «Das wird mein Wagen sein», sagte Holler. Er stand auf und nahm den Mantel von der Stuhllehne.

      Whyler drückte mit deutlicher Sympathie seine Hand. «Sagen Sie denen in Köln, dass wir bei unserem Plan bleiben.»

      «Sie leiten die Aktion, darauf kommt es an.»

      «Das will ich wohl meinen …», bestätigte Whyler. «Ich leite sie, bis die Falken sie uns aus den Händen reißen», murmelte er undeutlich zur Seite gewandt, während Eathscott mit Holler das Haus verließ, um ihn zum Fahrzeug zu begleiten.

      Whyler beobachtete, wie sie den Wagen bestiegen, einen im Lack schon etwas blinden Rover.

      Der Deutsche hatte eine unauffällige Art, sich zu bewegen. Selbst neben den beiden Engländern – Eathscott und dem Fahrer – wirkte er nicht wie ein Fremder, sondern gesellte sich unter sie, als sei er nur eine Nummer in der nicht vorhandenen Menge.

      Der richtige Mann für uns, nickte Whyler. Die Deutschen würden das alles schon in den Griff bekommen. Nicht auszudenken, wenn Karga in Frankreich gelebt hätte. Oder in Japan. Seine Stirn zog sich in sorgenvolle Falten. Auch Eathscott war seiner Aufgabe gewachsen.

      Trotzdem sah er Probleme. Dieser Eathscott war jung, jung und tüchtig. Er würde sein Nachfolger werden, wenn er einen groben Fehler machte. Fehler bei der Abschirmung waren an der Tagesordnung, und nicht erst für die Schweden mit ihren Hoheitsgewässern. Eathscott war guten Willens – guten Willens, aber verführbar. Er hatte nicht lernen können.

      Die nach dem Krieg geborene Generation kannte alles nur vom Hörensagen. Jeder begann immer wieder von vorn. Man stelle sich nur vor, es gäbe einen, der das ganze Menschheitswissen ererbt und verinnerlicht hätte, überlegte er – alle Erfahrungen. Der Lamarckismus wäre die einzige ernst zu nehmende Chance für die Welt gewesen.

      Aber Eathscott lernte noch, und er lernte schlecht. Er lernte außerhalb der Erfahrung: von bedrucktem Papier und mündlich vorgetragenen Verzerrungen und Übertreibungen.

      Deshalb würden sein Ehrgeiz und seine Begabung ihn dazu verleiten, andere, zuverlässigere Mittel anzuwenden, sobald unvorhergesehene Probleme auftraten.

      Wenn man ihn anwies, Kargas Schwachstellen zu finden, jene Sollbruchstelle gewissermaßen, an der sie ihn behutsam in ihrem Sinne zurechtbiegen würden, falls er nicht zerbrechen wollte, verstand Eathscott das automatisch so, als werde zur freien Jagd geblasen.

      Einer weniger, würde man sagen, was heißt das schon? Und vielleicht hatten sie sogar recht.

      Eine weniger im Chor der Seelen. Wer würde ihn vermissen? Seine Freundin? Er würde nicht einmal sich selbst vermissen, dazu fand sich keine Gelegenheit.

      Dieser Gott, der nicht existierte, hatte alles sehr klug eingerichtet: Es gab keine Reklamationen, wenn das Jenseits sich als Hirngespinst entpuppte.

      Vielleicht war Eathscotts Unbekümmertheit in ihrer Angelegenheit wirklich am Platz, und er sollte sich nicht länger den Schlaf rauben lassen? Ach, zum Teufel mit seinem Schlaf. Der war weniger wichtig – aber es hätte ihnen eine Menge Arbeit erspart.

      Als das Motorengeräusch verklungen war, wandte er sich in den Korridor zurück und ließ mit raschem Druck auf den Auslöser des Elektromotors unterhalb der Wandleuchte die mahagonigefasste Spiegelgarderobe zur Seite fahren.

      Er schloss den dahinterliegenden Fahrstuhl auf und fuhr nach unten. Der Fahrstuhlantrieb war neu und surrte unwillig.

      Im Bunker angekommen, schaltete er das kalte Neonlicht ein und inspizierte die Etage. Ein Teil des unterirdischen Traktes war als Hospital eingerichtet. Wandelgänge mit Sitzecken und hartblättrigen Gewächsen, denen man ihre Herkunft aus der Kunststofffabrik kaum ansah, führten an den Türen entlang. Es gab mehrere Einzelzimmer, alle unbelegt: freundliche Räume mit bequemen Betten und Konsolen und einem Einbaukühlschrank.

      Zwei der Zimmer ähnelten durch ihren Grundriss und ihre Größe kleineren Apartments, sie besaßen einen winzigen, mit Kies und Springbrunnen ausgestatteten «Vorgarten». Er war von künstlichem Licht erhellt, das Tageslicht vortäuschte.

      Whyler vergewisserte sich, dass man alles nach seinen Wünschen eingerichtet hatte. Auch der kleine Saal mit seinen ansteigenden Sesselreihen und der nur von dieser Seite aus durchsichtigen Spiegelglaswand, in dem die Generalstäbler sitzen und das Verhör beobachten würden, war bereits fertiggestellt.

      Dann kehrte er mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss zurück und ging die enge, steile Treppe zu seinem Zimmer hinauf, einem schmalen, langgestreckten Raum, der einmal die Magd beherbergt haben mochte.

      Er enthielt nichts weiter als ein Bett mit hohem Fuß- und Kopfende und einen Kleiderschrank, aus dem ihm muffiger Holzgeruch entgegenströmte, wenn er die Tür öffnete. Deshalb hängte er seinen Gummimantel an den Kleiderhaken. Er zog die Gummistiefel aus und ließ sich angezogen auf das Bett zurücksinken.

      Eine Zeit lang starrte er gedankenverloren den Deckenkranz an. Dann schloss er die Augen.

      Vielleicht lag der andere jetzt genauso da: den Blick zur Decke gerichtet, und fragte sich, was mit ihm geschah? Er war isoliert …

      Beinahe so isoliert, wie sie hier draußen. Innerlich sogar noch mehr.

      Um kein Risiko einzugehen, hatte London sie weitab vom Schuss an die schottische Küste verlegt. Man wollte den kontrollierten Zugang. Selbst Holler arbeitete drüben in Westdeutschland von einem eigenen Standquartier aus. Zwei, wenn nicht sogar drei Stufen über der üblichen Geheimhaltung waren eine unabdingbare Voraussetzung ihrer Arbeit.

      Er dachte seufzend daran, wie unzulänglich ein derartiger Vorsatz zu realisieren sein würde. Nichts von irgendeiner Bedeutung war jemals wirklich geheimgehalten worden. Und immer, wenn etwas eines Tages auf die Verantwortlichen zurückschlagen konnte, spaltete sich wie bei Zellteilung eine neue Einheit ab, eigenverantwortlich und doch mit klaren Anweisungen. Aber ohne jede Rückendeckung, sobald etwas schiefging …

      Er fragte sich, ob ihre Gegner ebensoviel Skrupel hatten wie sie. Es war ein Nachteil ihres Systems, dass Skrupel und Kontrollen Schattenorganisationen erzeugten. Manchmal ein Plus an Menschlichkeit, aber oft genug auch nur mehr Versteckspiel.

      7

      Karga hatte noch zehn Minuten bis zur Ankunft des Zuges. Er stand jenseits der Bahnsteigüberdachung im aufkommenden kalten Dunst, weil er auf dem Wagenstandanzeiger gelesen