Stumme Gier. Günther Tabery

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Название Stumme Gier
Автор произведения Günther Tabery
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738044478



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Verlobten nochmals besprechen und beide Angebote gegeneinander abwägen. Wir würden uns dann eventuell morgen bei Ihnen melden. Ist es so recht?“

      „Aber sicher, selbstverständlich.“

      Martin gab Frau Driesig seine Kontaktdaten, bedankte sich für ihre Aufmerksamkeit und legte den Hörer auf. Vielleicht habe ich eine Chance, dachte er. Vielleicht kann ich zu einer Vorbesprechung ins Haus gelangen und die Familie kennen lernen. Er lächelte in sich hinein. Vielleicht wollte der Tote auch an dieser Hochzeit teilnehmen? Vielleicht kannte er jemand aus der Familie? Das wollte er herausfinden. Zufrieden mit diesem ersten Schritt saß er auf der Couch und sah nachdenklich aus dem Fenster.

      Der nächste Tag verlief in Punkto Verlobungsannonce ereignislos. Weder Frau Driesig noch Herr von Breidenfall meldeten sich zurück.

      Stattdessen klingelte es und Kommissar Frank stand vor der Tür. Martin war sichtlich überrascht und begann gleich heftig mit dem Kopf zu zucken. Kommissar Frank lächelte freundlich und beobachtete Martin aus seinen intelligent blickenden Augen.

      Martin führte den Kommissar ins Wohnzimmer. Nachdem er ihm etwas zu trinken gebracht hatte, setzte er sich ihm gegenüber auf die Couch. Er wartete höflich, was der Kommissar ihm zu sagen hatte. Dieser musterte ihn eingehend und begann dann ohne Umschweife: „Sehen Sie, Herr Fennberg, nachdem wir gestern die Leiche in dem Fotostudio gefunden hatten, in dem Sie arbeiten und Sie der letzte Mensch waren, der den Toten noch lebend gesehen hatte, gibt es nun für mich zwei Möglichkeiten zu überdenken. Entweder, Sie sagten mit Ihren Ausführungen gestern die Wahrheit und der Unbekannte kam tatsächlich zufällig zu Ihnen ins Studio oder Sie sagten die Unwahrheit, was bedeuten würde, dass Sie als Hauptverdächtigter in den Mittelpunkt der Ermittlungen rücken würden.“

      Kommissar Frank machte eine Pause. Er bemerkte, wie unruhig Martin plötzlich geworden war. Dieser setzte sich ganz aufrecht hin und bekam einen starren Blick, der vermuten ließ, dass er fieberhaft nachdachte.

      „Es könnte auch so sein“, fuhr Frank fort, „dass Sie den Toten kannten. Vielleicht hatten Sie beide noch eine Rechnung offen, vielleicht hat er Sie erpresst oder vielleicht geht es gar um eine Liebesgeschichte? Und nun musste dieser Mann sterben. Also was tun Sie? Sie bestellen ihn in Ihr Fotostudio und verabreichen ihm Gift. Es stirbt vor Ihren Augen. Dann rufen Sie die Polizei und erklären etwas von einem Fremden und vollkommen Unbekannten. Um sicher zu gehen, dass wir ihn vorerst nicht identifizieren können, entwenden Sie alle persönlichen Dinge.“

      Wieder machte er eine Pause. Martin hörte aufmerksam zu und nickte.

      „Ich verstehe“, sagte er matt.

      „In vielen Fällen war derjenige der Täter, der den Toten als letztes lebend gesehen hat. Und das sind Sie.“ Frank hob die Augenbrauen. Er lehnte sich zurück und wartete, was Martin darauf antworten würde.

      „Ich weiß nicht recht, was ich dazu sagen soll“, begann Martin. „Ich verstehe Ihre Gedankengänge und ja, es muss so ausschauen, dass ich als Täter in Frage komme. Dieser Gedanke war mir bis jetzt noch nicht gekommen. Ich kann leider auch nichts zu meiner Verteidigung beitragen. Ich kann nur so viel sagen, dass das, was ich gestern gesagt habe, die Wahrheit ist. Ich kann nicht beurteilen, wie glaubwürdig das ist. Aber gerne wiederhole ich nochmals, was ich gestern erlebt habe.“

      Er blickte den Kommissar flehend in die Augen. Doch dieser winkte ab.

      „Nein, das brauchen Sie nicht mehr zu wiederholen. Aber Sie bleiben dabei? Sie haben den Toten vorher nicht gekannt und standen in keiner Beziehung zu ihm?“ Er kniff die Augen zusammen.

      Martin antwortete mit bestimmter Stimme: „Nein, weder noch.“

      „Und Sie haben nichts entwendet, was auf die Identität des Toten hinweist?“

      „Nein.“ Dabei versuchte er, so ruhig wie möglich zu bleiben. Hatte er doch tatsächlich den Zeitungsauschnitt an sich genommen, was er aber dem Kommissar verheimlichen wollte. Franks Augen zuckten kurz, als ob er Martins Unsicherheit bemerkte.

      „Wir werden Ihre Personalien überprüfen müssen. Sobald wir den Toten identifiziert haben, werden wir herausfinden, ob es eine Verbindung gab. Bitte verreisen Sie nicht, solange der Fall nicht gelöst ist und bleiben Sie in der Stadt. Halten Sie sich bereit für weitere Gespräche. Gegebenenfalls werden wir Sie ins Präsidium bestellen.“

      „Selbstverständlich.“

      Frank erhob sich und ging sicheren Schrittes in Richtung Tür. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Herr Fennberg.“

      „Vielen Dank, den wünsche ich Ihnen auch.“

      Nach diesen Worten verließ der Kommissar die Wohnung. Martin schloss die Tür und atmete einmal tief durch. Die Polizei verdächtigte also ihn. Und nun hatte er sich tatsächlich strafbar gemacht, indem er die Annonce verheimlichte. Sollte er die Sache einfach auf sich beruhen lassen? Sollte er die Annonce vergessen und warten, was die Polizei in diesem Mordfall herausbrachte? Frau Driesig hatte sich sowieso nicht bei ihm gemeldet. Wahrscheinlich war es ganz unmöglich, an dieser Hochzeit teilzunehmen und etwas auf eigene Faust herauszufinden. Ganz in Gedanken versunken, unwissend, was er jetzt tun solle, entschied er sich, einen langen Spaziergang im Schlosspark zu unternehmen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

      3

      Am nächsten Tag gegen Mittag klingelte das Telefon. Martin war gerade dabei, sich eine Gemüsepfanne zuzubereiten. Zu seiner Überraschung war es Charlotte Driesig, die ihn wider Erwarten zu einem Vorstellungsgespräch zu sich nach Hause einlud. Martin bejahte sofort und verabredete sich mit ihr zum Kaffee. Gut gelaunt und hoffnungsvoll aß Martin seine mit Fetakäse überbackene Gemüsepfanne. Jetzt heißt es, einen guten Eindruck machen, dachte er. Vor der Verabredung musste er noch ins Fotostudio fahren, um einige Unterlagen und Präsentationsmappen mitzunehmen. Er wollte seinen Chef vorerst nicht über diesen möglichen Auftrag informieren, sondern erst einmal abwarten. Vielleicht täuschte er sich ja und die Annonce hatte mit dem Tod des fremden Mannes nichts zu tun.

      Pünktlich um halb vier stand er in der Schubertstraße 25 vor einer großen dreistöckigen Villa. Diese war weiß verputzt und verfügte über große Terrassen im Parterre und ersten Obergeschoss, sowie einen kleinen gemauerten Balkon auf der Längsseite des zweiten Obergeschosses. Zwei große Säulen, die vom Boden hinauf bis zum Dach ragten, umrahmten die große Eingangstüre, die einen massiven und schweren Eindruck machte. Die Villa musste recht alt sein, mutmaßte Martin. Er schätzte sie aus der Zeit um 1900. Machte sie auch einen gewaltigen Eindruck auf Martin, so dachte er doch, dass in Kürze wohl eine Sanierung nötig wäre. Bei genauerem Hinschauen blätterte hier und da der Putz.

      Er drückte den Klingelknopf. Kurze Zeit später öffnete eine dunkelhaarige, schöne, junge Frau die Tür.

      „Ja bitte?“, vernahm er die Stimme, die er bereits vom Telefon her kannte.

      „Ich habe eine Verabredung mit Frau Driesig“, verkündete Martin.

      „Einen Moment bitte, kommen Sie doch herein.“ Sie führte ihn in die Halle der Villa, die bis zum Dach hinauf reichte und über eine große Treppe verfügte, die sich an den Wänden empor schlängelte. Dann ließ sie ihn für einen Moment alleine und verschwand durch eine der Türen. Er riss schnell den Mund weit auf und stieß ein leises „Pah“ aus. Jetzt musste er sich zusammenreißen und einen guten Eindruck machen. Schnell hopste er noch einmal und versuchte danach so ruhig wie möglich zu sein. Einen kurzen Moment später kam ihm Charlotte Driesig entgegen. Sie war Anfang bis Mitte Vierzig und hatte blonde kinnlange Haare. Ihre blauen Augen funkelten und ihre großen weißen Zähne strahlten, wenn sie lachte. Ihre Figur war feminin, verfügte aber dennoch über eine gewisse Stärke. Ihre Ausstrahlung erfüllte sogleich den gesamten Raum. „Sie sind Herr Fennberg?“ Freundlich reichte sie ihm zur Begrüßung die Hand. Martin bedankte sich für die Einladung und für das erste Vertrauen. Sie führte ihn in das Wohnzimmer des Hauses. Dieses war groß und hatte an der Stirnseite einen Kamin, der wohlige Wärme abgab. Die Decke war verziert mit farbigem Stuck und bunten