Brief an Marianne. Martin Winterle

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Название Brief an Marianne
Автор произведения Martin Winterle
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742783868



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dass sie nicht alles kapiert hatte, ja meistens mehr oder weniger neben ihren Schuhen zu stehen gekommen war. Horst tröstete sie, er kenne solche Situationen zur Genüge. Mit Weinen und ihren jeweiligen Eigenheiten war er anfangs auch einige Zeit auf Kriegsfuß gestanden. Das wurde mit der erarbeiteten Praxis aber rasch besser, und ihr, Marianne würde es genauso gehen. Ausdrücklich wünschte er es ihr.

      Auf den obligaten Abschlussmokka verzichtete sie. Am Grappa nippte sie, ganz Fachfrau, nur ein wenig. Gegen 22 Uhr löste sich die Tischrunde auf. Während die beiden älteren Herren ihre Zimmer aufsuchten, lud Horst Marianne noch auf einen Absacker, wie er es nannte, in die Hoteleigene Kellerbar ein. Sie fühlte sich noch munter genug, auf einen Drink, ein wenig Unterhaltung mitzugehen. Zwei von Horsts Kollegen schlossen sich ihnen an.

      Die Bar war klein, hatte gedämpftes Licht, eine Minitanzfläche die beim Andrang von drei Tanzpaaren schon an Überfüllung gelitten hätte. Nur wenige Zimmerflüchtlinge hatten sich an der Bar oder an einem der kleinen Nischentische niedergelassen. Zwei junge Damen unterhielten sich kichernd am Tresen, sichtlich angetan als sie Horst und seine Begleiter erblickten. Die Damen, Geschäftsleitungsassistentinnen einer bedeutenden deutschen Weinhandelskette, waren ebenfalls auf der Messe gewesen. Horst und sie blieben alleine, erklommen die Barhocker am Ende der Bar, im rechten Winkel zueinander, bestellten ihre Drinks. Marianne nahm einen Cocktail mit Ananas, Horst schottischen Whisky ohne Eis.

      Der Alleinunterhalter, ein bereits älteres Semester mit Spitzbart und Roßschwanz intonierte angenehm leise bekannte Schnulzen auf einen Keyboard. In seinen Pausen ließ er Kuschelsongs Made in Italy aus einer Musikanlage säuseln. Diese fast noch leiser, als er selbst spielte. Horst bat sie, mit ihm zu tanzen. Sie hatte nichts dagegen, rutschte vom Barhocker. Auch keinen Einwand dagegen, dass er sie ziemlich nahe zu sich heran zog. Als seine Hände aber merkliche Ermüdungserscheinungen bekamen, glaubten, sich auf ihrem verlängerten Rückgrat ein ruhiges Plätzchen als Dauerparkplatz verdient zu haben, schob sie seine Arme, unmissverständlich wieder höher. Kurz nach Mitternacht wollte sie zu Bett gehen. Bestand darauf, Ihren Drink selbst zu bezahlen. Im Lift legte Horst seine Arme um sie, versuchte sie zu küssen. Sie bot ihm ihre linke Wange. Was er aber bekam, war ihre Handynummer.

      Sie wählte die Nummer, die er ihr vorsagte, sein Handy klingelte, er speicherte die Nummer ab…

      Für die Nacht umgezogen, öffnete sie das Fenster, ließ kühle frische Luft herein, legte sich aufs Bett. Er war ihr nicht unsympathisch, der Horst, mochte so fünf bis sechs Jahre älter sein als sie selbst, hatte gute Umgangsformen und das bißchen Grapschen, sie hatte immerhin in ihrem kurzen, ihre Figur betonenden Kleid ganz anziehend gewirkt, nicht nur auf Horst.

      Immerhin verdankte sie es ihm, dass die Grappaauktion aus ihrem Kopf verschwunden war, mit allen, wirklich allen Eindrücken. Er hatte schöne Augen, oder nur ihr welche gemacht, so ganz genau wusste sie das nicht, war auch nicht wirklich wichtig. Der dichte Schnauzbart in der Farbkombination von dunkelblond und weißgrau stand ihm gut zu Gesicht. Zwei Millimeter kürzer wäre eine zu testende Option. Vielleicht einen etwas zu kurzen Hals, dafür aber kräftige, behaarte Hände. Hände die zupacken konnten, schätzte Marianne an Männern, darauf legte sie großen Wert.

      Ein ausgewachsenes Weichei, wie der Vater ihres Sohnes, kam für sie nicht mehr in Frage. Mit sowas hatte sie schlechte Erfahrungen gemacht. War sich oft unverstanden, allein gelassen vorgekommen. Wiederholung – nein danke!

      Null Uhr fünfundvierzig zeigte der Radiowecker auf ihrem Nachtkästchen, als sie aufstand, das Fenster schloss. Rollte sich in ihrem Bett zusammen, nahm die Decke zwischen ihre Beine, kuschelte die etwas zu weichen Polster.

      Am Morgen traf sie am Frühstücksbuffet mit ihrem Chef zusammen. Er fragte, wie sie geschlafen hatte und ob es für sie noch ein gemütlicher Abend war. Beides sei ganz ok gewesen, antwortete sie. Um acht Uhr fuhr der blaue Mercedes aus der hoteleigenen Tiefgarage.

      Mariannes SMS Signal meldete einen Neuzugang. Sie tauchte ihr Handy aus der Handtasche, zwischen ihren Beinen.

      >Danke für den schönen Abend. Wünsche dir eine gute Heimreise. Würde dich gerne kommende Woche treffen! Hast du Zeit? Würde mich total freuen. Bitte melde dich, damit wir uns etwas ausmachen können. Alles Liebe, Horst. <

      Sie konnte, mochte auch nicht gleich zurückschreiben.

      Erstens war es unhöflich, dem Chef gegenüber, der sich unterhalten wollte. Zweitens, sie waren im Ausland, ein SMS kam teurer, als wenn sie es später von daheim sendete. Drittens, so eilig war es dann auch wieder nicht(echt nicht…?). Viertens, sie wusste nicht genau, was sie schreiben sollte – und fünftens – sie würde antworten, sicher sogar, ganz bestimmt!

      Kurz vor fünfzehn Uhr stieg sie vor ihrer Haustüre aus dem Auto. Bedankte sich für die schöne, informative Reise und für das Vertrauen, verpackt in Vorschusslorbeeren für ihre kommenden Aufgaben.

      Ihr Sohn hatte ihr ein Abwesenheitsmemo bis Montag an den Kühlschrank geklebt. Sie hatte also ein paar Stunden störungsfrei vier Wände. Hatte nichts dagegen, wirklich nicht.

      Nachdem der Koffer leer am Balkon auslüftete, die Waschmaschine ein Kurzprogramm absolvierte, der Laptop sein Schafherdenstandbild präsentierte, letzte Tropfen aus der Dusche fielen, fühlte sie sich angekommen. Joghurt stand im Kühlschrank, Äpfel offerierte die Obstschüssel am Wohnzimmertischchen, Süßigkeiten bot die erste Schublade links, Brötchen konnte sie sich auftauen. Was wollte sie noch mehr? Ja, genau dieses – was willst du mehr, begann sie zu beschäftigen.

      Für sie galt es, Prioritäten zu setzen. Erst Mama (dann wars erledigt…), vor Eva, ihrer besten Freundin(sollte sie den Namen Horst erwähnen, das würde Rückfragen ohne Ende ergeben, die Details würden mit der genauen Anzahl, Länge und Färbung seiner Schnurbarthaare längst nicht erledigt sein…), dann darüber nachdenken, was sie auf das SMS von Horst zurückschreiben wollte. Bei dieser Reihenfolge blieb es nicht. Nach Mama war Punkt drei an der Reihe.

      Entschuldige Eva, aber diesmal geht’s nicht anders.

      Vorher schrieb sie sich selbst ein Memo – einen Italienischkurs suchen und auch gleich anmelden. SMS an Eva hatten nicht selten mehrere hundert Stellen, waren aber wenige Minuten später abgeschickt. Mails an ihre Internetbekannten konnten sehr detailliert ausfallen, manchmal seitenlang sein, in einer halben Stunde war trotzdem immer alles erledigt.

      Dieses SMS an Horst dauerte eine warme bis lauwarme Tasse Wohlfühltee. Dann eine weitere lauwarme bis kalte Tasse der gleichen Sorte, lang. Dazwischen noch einen Apfel, inklusive langsamen Stengelablutschen und zweimaligen Balkonluft tanken. Die endgültige Textfassung brachte letztendlich eine Sitzung am stillen Örtchen. Zur Bekräftigung ihrer schriftlichen Entscheidung, drückte Marianne mit Vehemenz die Spülung bis zum Anschlag hinunter.

      >Hallo Horst, danke für dein SMS. Wenn du Lust hast, Mittwoch ab 14 Uhr hätte ich Zeit. Wir könnten uns im Schlosscafé treffen. Kennst du es? Schönes Wochenende, Marianne. <

      Die Antwort kam genau so kurz wie postwendend.

      >Hallo Marianne, freue mich riesig auf Mittwoch um 14 Uhr beim Schlosscafé! Dir auch ein schönes Wochenende, alles Liebe, Horst. <

      Also noch ein Memo eingeben, Mittwoch 14 Uhr Schlosscafé. Das war sicher das sinnloseste Memo, das sie sich je selber geschrieben hatte. Diesen Termin hätte sie auch ohne Memo, trotz größtem Stress, auch noch mit 38 Grad Fieber nicht vergessen, ganz sicher nicht.

      Nun war Eva an der Reihe, Marianne erzählte von ihrer neuen Position im Betrieb, vom Italienischkurs und den üblichen Standarttratsch. Horst klammerte sie aus, sie wusste warum…

      Der Sonntag, voll entspannend, beruhigender Nieselregen, keine Verabredungen, keine Telefonate. Endlich konnte sie „Gut gegen Nordwind“ zu Ende lesen. Nein, sie fing lieber gleich noch einmal am Anfang zu lesen an. Trotz eingelegten Lesezeichen, vermochte sie sich nicht mehr genau an den Beginn der Geschichte zu erinnern. Fünf Tage Lesepause waren einfach zulange gewesen.

      Es hatte aufgehört zu regnen, sie lief eine Stunde am Inn entlang, eine halbe in jede Richtung. Der Rest war faulenzen, sich auf die kommende Woche vorbereiten.

      Und