Название | Weil Inga aus dem Kirschbaum fiel |
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Автор произведения | Iris Weitkamp |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738055764 |
„Du hast Recht. Und bei euch hat das Tier ein artgerechtes Leben gehabt, keinen ewig langen Schlachttransport ...“ Inga musste zugeben, dass der Jungbulle ausgezeichnet schmeckte. „Ich bin halt `ne Stadtpflanze. Ohne die leiseste Ahnung, wie das Essen auf den Tisch kommt.“
„Ach, bis jetzt stellst du dich doch ganz ordentlich an. Vor allem, wenn man bedenkt, dass du deinen linken Arm noch nicht wieder richtig benutzen kannst ... Wie sieht`s aus, hilfst du nächste Woche beim Honig abfüllen?“
„Nun übertreib es nicht, Hilke. Lass uns erst mal abwarten, wie sie den heutigen Arbeitseinsatz wegsteckt.“
Ralf passte es gar nicht, dass Inga ihren Arm schon so stark belastete, auch wenn sie immer wieder versicherte, der Chirurg habe dringend dazu geraten. Sie hatte ‚Gas gegeben’ wie von Dr. Oliveira empfohlen, ging zweimal pro Woche zur Krankengymnastik und absolvierte zu Hause brav ihre Übungen. Für ihr Handgelenk konnte Inga deutliche Erfolge verbuchen, es wurde zusehens geschmeidiger und beweglicher. Was ihr Herz anging, war sie anfangs skeptisch gewesen, hatte ihren eigenen intensiven Gefühlen dem Therapeuten gegenüber nicht recht getraut. Würde sie beim zweiten Termin nur einen sympathischen Krankengymnasten in ihm sehen? Hatte sie sich geirrt? Gespannt hatte sie den Moment erwartet, da er durch die Tür kommen und sie begeistern oder enttäuschen würde.
Nein, sie hatte sich nicht geirrt. Mit jedem Wiedersehen vertiefte sich die Liebe, die sie Michael Levin gegenüber empfand. Sie genoss die privaten Gespräche, die sich vor oder nach der Behandlung ergaben und immer viel zu kurz waren. Den Rest des Tages verbrachte Inga stets damit, in Gedanken wieder und wieder seiner warmen Stimme zuzuhören, seinem trockenen, feinen Humor ...
„Äh - was? Ach so, Honig. Klar. Wann soll`s denn losgehen?“ Da hatte sie schon wieder angefangen zu träumen.
Ihre Freunde grinsten und erklärten es noch einmal. „Bei Rapshonig muss man genau den richtigen Zeitpunkt abpassen. Ist er zu flüssig, wird er später im Glas zu einer steinharten Masse, die der Kunde mühsam herausmeißeln muss. Wird er zu fest, bekommt man ihn nicht mehr aus dem Tank“, sagte Hilke. „Ralf liegt tagelang auf der Lauer, um den Kristallisierungsprozess zu beobachten. Wenn der Honig gut ist, muss man quasi alles fallen lassen, was man gerade in Händen hat, und sofort abfüllen.“
„Aber wie machen das denn die großen Firmen?“
„Naja, Zusätze sind offiziell verboten. Der Honig wird in der Regel erhitzt.“
„Steht denn da nicht immer ‚kalt geschleudert’ drauf ...?“ Inga versuchte, sich zu erinnern. Ernährung hatte bisher für sie bedeutet, nach Feierabend durch den Supermarkt zu hetzen und in Plastik eingeschweißte Dinge in ihren Einkaufskorb zu werfen.
„Stimmt - weil es überhaupt keinen Sinn macht, die Waben beim Schleudern zu erwärmen. Im Gegenteil. Aber das sagt ja nichts darüber aus, ob der Honig nicht zu einem anderen Zeitpunkt erhitzt wird ...“ Hilke zwinkerte ihr zu. „Dir brauche ich doch wohl nicht zu erklären, wie Werbung funktioniert.“
„Nee.“ Inga schüttelte nachdenklich den Kopf. Werbung nicht - aber das Landleben. Auf Drossels Hof gab es frisches Fleisch, wenn der nächste Jungbulle schlachtreif war, und neuen Honig, wenn die Bienen ihn gesammelt hatten. Man richtete sich nach dem Rhythmus der Natur, die einen ernährte. „Es wird mir eine Ehre sein, an eurem Qualitätshonig mitzuwirken. Sagt mir Bescheid, und ich verspreche, die scheußliche braune Vase meiner Schwester fallen zu lassen und herbeizueilen.“
Michael Levin verabschiedete seinen letzten Patienten für diesen Tag und schloss das große Tor zur Straße. Er nahm seine Gartenwerkzeuge aus dem Schuppen, um den schönen Nachmittag auszunutzen. Während er eine Kletterrose neben der Praxistür hochband und die Erde rund um die Büsche und Stauden in den kleinen Beeten auflockerte, musste er an die ‚Fee’ denken, wie er seine Patientin aus Marunthien immer noch heimlich nannte. Obwohl sie sich fröhlich, lebhaft und durchaus nicht feenhaft gab, würde sie diesen Spitznamen bei ihm nicht mehr los werden. Mittlerweile hatte er festgestellt, wie gut er sich mit ihr unterhalten konnte und begann, sich auf diese Patientin besonders zu freuen. Morgen war ihr fünfter Termin. Pfeifend fegte Michael den Innenhof, wischte die Bank und den Tisch ab. Bei gutem Wetter würde sie vielleicht lieber draußen warten wollen statt im Haus. Es wurde allmählich dunkel. Im letzten Tageslicht schloss Michael seine Praxis ab und machte sich auf den Heimweg.
Als er durch die kleine Gasse hinter Carl`s Kneipe radelte, drangen wilde Schlagzeug- und Gitarrentöne aus dem alten Festsaal. Wahrscheinlich Halbstarke von irgendeinem Jugendprojekt. Besser, als wenn sie auf der Straße rumlungern, dachte Michael und trat kräftiger in die Pedale, um die Lärmquelle hinter sich zu lassen.
„Ganz schön was los heute“, brummte ein übergewichtiger Kerl am Tresen von Carl`s Kneipe. Sein Kumpel nickte. Carl zapfte ein perfektes Pils zu Ende, stellte es vor den Dicken hin und ging, um die Zwischentüren zu schließen. Besser.
Mittlerweile trafen sich die Muddy Blue Waters seit so vielen Jahren bei ihm zum Proben, dass sie zur Kneipe gehörten wie die verschrammten Holztische im Schankraum und die Fledermäuse auf dem Dachboden. Ordentliche Jungs, die ein- bis zweimal die Woche ihren Alltag als Geschäftsleute, Architekten oder Ärzte hinter sich ließen und den Staub aus dem leerstehenden Festsaal bliesen. Carl nannte sie seine Rockveteranen, obwohl sie beileibe noch nicht so zerknittert aussahen wie zum Beispiel die Stones. Manchmal konnten sie ganz schön anstrengend sein, wenn jeder zum Einspielen einen anderen Rhythmus hämmerte oder ein Streit über neue Stücke aufkam. Heute schien so ein Tag für Letzteres zu sein, und Carl wäre das planlose Geschrammel von vorhin fast lieber gewesen.
„Du musst zugeben, dass ‚We Will Rock You’ der ideale erste Song für ein Konzert ist. Vor allem beim Open Air ... ein Hammer-Einstieg ...“
„Kommt überhaupt nicht in die Tüte, dass ich den Mercury gebe.“
„Weil er tot ist?“
„Nee, weil er schwul war. Als Nächstes mach’ ich womöglich einen auf Tim Fischer, zwäng mich in ein hautenges, goldenes Abendkleid und wackel mit dem Hintern. Vergiss es.“
„Tim Fischer wackelt nicht mit dem Hintern, er wiegt seine Hüften. Du hättest gar nicht die nötige Anmut dafür.“
„Ich fühl mich gleich viel besser.“
„Mann, Rob, stell dich nicht an. Wir spielen auch Stücke von Juli und von Tina Turner, und keiner käme auf die Idee, dich für `ne Frau zu halten.“
„Das würde mir auch hoffentlich niemand abkaufen.“
„Bist du etwa homophob oder so? Wir haben uns damals gegen eine Coverband entschieden, um nicht so festgelegt zu sein. Wir wollten die freie Auswahl, und wir haben sie uns genommen. Queen haben super Sachen gemacht. Ich kann keinen Grund sehen, darauf zu verzichten.“
„Wir haben auch abgemacht, dass ein neues Ding einstimmig angenommen wird oder gar nicht. Also spar dir deine Puste für die Trompete.“ Verdammt nochmal, er konnte diesen Dreck nicht ertragen! Jungenhände, die am Hosenschlitz fummelten, seine eigene Hand packten und hinein zu zwingen versuchten. Komm schon, stell dich nicht an, oder hältst du dich für was Besseres ... In Robson stieg Übelkeit auf. Er drängte die alten Erinnerungen an seinen Schlafsaal im Internat zurück und griff nach dem Mikrofon.
„Unser Robbie hier hat Schiss um sein Image als Frauenschwarm. Dabei heißt es doch ‚We Will Rock You’ und nicht ‚We Will Pop You’ ...“
„Halt die Klappe, Larry.“
Hinter seinem Tresen wurde es Carl langsam zu bunt. Energisch riss er die Tür zum Saal auf und blaffte: „Wollt