Название | Täubchen alla Boscaiola |
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Автор произведения | Martin Schlobies |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742794741 |
Stolz berichtete er, wie er als Junge die Haare immer lang getragen habe, und deswegen von den andern Jungen gehänselt worden sei, - sie nahm das Foto noch einmal zur Hand, und auf dem Foto waren seine Haare ganz kurz geschnitten, ein Igelschnitt.
Als junger Mann hätte er angeblich nur Klavier gespielt, war nicht wegzubringen gewesen vom Klavier, 'laß doch das Klimpern!', habe es in der ganzen Familie geheißen, von Musik hätte er geträumt, von Musik hätte er leben wollen, - dann behauptete er plötzlich, daß er eigentlich am liebsten habe Medizin studieren wollen, nach Afrika, nach Lambarene gehen, oder anderswohin, wo den Menschen noch zu helfen wäre, eine Mission erfüllen, eine Sendung, - egal ob es gefährlich wäre oder nicht.
Etwas war geblieben davon: Er hatte ein Patenkind in Venezuela, das hatte er einmal besucht, dort ein Vierteljahr in Armut und im Dreck gelebt.
Ihr eigenes Leben kam ihr jetzt so geradlinig vor, mit dem Studium, und ihrem Dasein als Lehrerin, die sich allerdings weiß Gott was für ein Leben erhofft hatte, - mit ihrem Aussehen, mit ihrer erstklassigen Intelligenz, mit ihrem Einserabitur und ihrem Einserexamen, ihrer Promotion, - und sich nun nach einer gescheiterten Ehe und als alleinerziehende Mutter in einer kleinen Wohnung in Berlin-Lichtenrade wiederfand.
„Sie sind also Lehrerin!“, fragte er.
„Ja! Ich bin Lehrerin, - aus Kindern Menschen machen, oder es jedenfalls versuchen!“
„Eine Lehrerin, ja, das dachte ich mir, gleich beim ersten Mal! - Welches Fach? Kunst?“
„Nein, Mathematik und Deutsch!“
„Da haben Sie ja eine große Verantwortung.“ - Sie lächelte,
„Ja, es ist wirklich eine, und eine, der ich mich nicht entziehen kann, wenn ich in der Schule bin, aber wenn ich das ausspreche, schäme ich mich, denn es kommt mir so klischéehaft vor.“
Jetzt war endlich auch ihr Hunger gekommen, und während sie aß, erklärte er ihr etwas über seine Arbeit, - aber da sie nichts davon verstand, hörte er bald wieder auf damit.
Plötzlich machte er ihr den Vorschlag, nach Agrigento zu fahren, ja, die Tempel dort! - „Nein, bitte nicht!“ widersprach sie heftig. - Mit wem sie die Tempel früher gesehen hatte, - es war ihr Mann, auf ihrer Hochzeitsreise, das ging ihn doch eigentlich nichts an, oder? Deshalb sagte sie es ihm auch nicht, sie wolle sie einfach nicht noch einmal sehen, er sei nicht der Grund dafür. Sie hätte genug Tempel gesehen in diesem Leben, nun seien Bäume dran, Berge, und Felsen, das Meer. Man müsse gelegentlich die Objekte der Anschauung wechseln.
Allein habe er keine Lust, gestand er enttäuscht; das sei einfach ein bißchen viel Kultur für ihn! Schnell lenkte sie ein, „Die Tempel, vielleicht später . . . Heute nicht!“, sie mußte das jetzt ablehnen, - sie wollte ihm doch nicht zeigen, wie schnell sie ihren Wunsch, allein zu sein, vergessen hatte, - wie sehr sie in Gefahr war, sich an ihn zu gewöhnen, in dieser kurzen Zeit.
„Ich will ein bißchen hier in der Gegend herumstreifen und malen, dort oben vielleicht, am Kamm!“, und als sie die Augen wieder hob, um den Weg zu messen, den sie heute zurücklegen wollte, fühlte sie sich tatsächlich vom Zauber dieses Himmels umfangen, und war darüber sehr erleichtert, von diesem Himmel, der jetzt glasklar war und grün erglänzte, - und wie stark war der Kontrast zu den dunklen violetten Bergketten davor, die in der klaren Luft wie mit dem Messer ausgeschnitten erschienen.
„Nun gut!“, sagte er, schien aber kaum berührt zu sein von ihrer Absage, und sie ärgerte sich ein wenig darüber. „Ich denke, die Leute werden das abräumen . . . “ Er verabschiedete sich, stand auf, stieg in seinen Wagen und fuhr davon.
Verwirrt blieb Pauline zurück, sie kam sich plötzlich so verlassen vor! - Da fiel es ihr glücklicherweise ein: Sie mußte, bevor sie zum Malen ging, zum Arbeiten, wie sie es gern nannte, noch ihren Jungen anrufen! - Jetzt waren sie vielleicht schon auf Rügen oder auf Hiddensee, und würden bei den Freunden dort übernachten; - bei gemeinsamen Freunden, den Altendorfs.
Im Restauranthaus, hinten in der Küche, hörte sie am Telefon erst die Stimme ihres getrennten Mannes, des Kindsvaters, wie sie immer sagte, dann die kleine dünne Stimme ihres Jungen, „Ja, Mammi, gut, Mammi, wir waren heute baden, nein, im Schwimmbad; ich habe ein Fernglas bekommen und eine Lederhose . . . “, und während sie dem Jungen zuhörte, der aufgeregt dieses Ferngespräch mit seiner fernen Mammi führte, und alle seine kleinen wichtigen Neuigkeiten aufzählte, dachte sie über Raphael nach.
Diese Leichtigkeit, mit der sie sich trotz ihrer Verlegenheit verständigen konnten, die Leichtigkeit, die dieser große kräftige Mann um sich verbreitete, diese Unkompliziertheit als Lebensform, konnte ihr vielleicht einen Teil ihrer verloren gegangenen Leichtigkeit zurückgeben. - Als sei irgendetwas weit Zurückliegendes, Verschüttetes wieder aufgefunden worden. Etwas, was zu ihr gehörig gewesen war. Was sie schon lange nicht mehr geglaubt oder erlebt hatte. Etwas, was in Vergessenheit geraten war, weil es so einfach war. - Gerade diese Einfachheit machte sie glücklich.
Plötzlich, mitten im Ferngespräch mit ihrem kleinen Philip, war da eine Hoffnung, glücklich sein zu können, denn das war sie ja, sofort glücklich mit ihm! Sie wagte es kaum, sich das einzugestehen.
„Tschüs, Philip,“, sagte sie zerstreut, „Bleib gesund und grüße deinen Papa!“
Als sie das Gespräch bezahlte, lächelte die Frau des Hauswarts sie verständnisvoll an, sie hatte es ihrem Gesicht angesehen, ja, sie hatte es sofort gesehen!
„ . . . mille trecento . . . “, sagte die Hauswartsfrau. Pauline bezahlte wie unter einer Betäubung; mille trecento, es war sehr billig.
5. Kapitel
Castellina al Monte Largo ist eine kleine Stadt in den Bergen im Westen Siziliens, fast ein Dorf, aber eine kleine Welt in der Welt. - Ausgestreckt auf sieben Hügeln, - nur ein wenig kleiner als Rom, - gewundene, krumme Straßen und Gassen, kleine, graue oder ehemals ocker gestrichene Häuser, viele leer oder verfallen, und die meisten verloren in einer ewigen Verlassenheit. Und an den Abenden im September erhebt sich langsam hinter den Hügeln ein roter und riesenhafter Mond, der wie eine Botschaft aus einem anderen Jahrhundert ausschaut.
Was für verwirrende Gegensätze birgt dieser Ort! An manchen Häusern hängen festgefügte hölzerne Balkone, hinter deren Jalousien man blasse, schwarzäugige Frauen reinsten Blutes hervorlugen meint - oder ihre finster blickenden, stolzen Brüder; doch die Zeit und der Staub haben alles in einen ewigen Schlaf versenkt. Statt der Mönche aller möglicher Orden laufen Ziegen herum mit ihren immer fragenden Gesichtern. In den kleineren Gassen sitzen ein paar schwarzgekleidete Frauen einsam auf ihren Stühlen vor ärmlichen Häusern und enthülsten Bohnen. Wenn ein Fremder an ihnen vorbeigeht, heben sie kaum die Augen und wagen den fremden Mann nur verstohlen zu mustern.
Heute war Castellina so totenstill, als ob überhaupt keine Menschen hier lebten. Die einzigen Wesen, die sich an diesem Septemberabend zu regen schienen, waren Fliegen. Fliegen summten an den Fenstern der 'Apotheke Meirelas', wo dunkle, mit Medizinen gefüllte Flaschen eingezwängt zwischen Hautwässern, Schwämmen und Pflastern standen. Auch an der Schaufensterscheibe, hinter der Sonnenbrillen, Kinder-Spaten, rosa Puppen und Tennisschuhen, nebst anderen hier schwer verständlichen Waren lagen, tanzten die Fliegen.
Sie krabbelten hinter einem Eisengitter über den leeren, blutbespritzten Hauklotz der 'Fleischerei von Signor Conardo - Verkauf von Fleisch und Honig'. Und der sandfarbene Hund, der mitten vor der Fleischerei auf der Straße lag, den Kopf zwischen den Pfoten, schnappte mit geschlossenen Augen nach den Fliegen, die ihn belästigten.
Aus einem kaum erleuchteten Gewölbe neben