Das Veteranentreffen. Peter Schmidt

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Название Das Veteranentreffen
Автор произведения Peter Schmidt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847655077



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kalter Tabakgeschmack gab mir das Gefühl, weniger weit und verloren in der Fremde zu sein.

      Alles sah genauso übel aus, wie Aschs nekrophile Veranlagung es hätte vermuten lassen können.

      Die weinrote Wandbespannung hing in schlaffen Beulen aus den dünnen Holzrahmen – die Decke war ein braunfleckiger Baldachin aus undefinierbaren Zutaten, vielleicht Pappe, Kleister und Papier – im schwarz lackierten Holz des Treppengeländers klaffte ein Riss, so breit, dass man zwei geballte Fäuste darin versenken konnte, und über den ausgetretenen Stufen verteilt lagen zusammengerollte Läufer und Teppiche – die stockfleckigen Unterseiten nach oben.

       Das Schlimmste aber war der über dem ganzen Szenario schwebende muffige Geruch.

      „Hier nicht rauchen“, flüsterte Bertrands Stimme hinter meinem Rücken. „Das alte Zeug brennt wie Zunder. Qualmen Sie meinethalben auf dem Zimmer, Frank. Oder drüben in der Toilette.“

      Er deutete in die dunkle Nische an der Rezeption, wo die schief in den Angeln hängende Tür eines Westernsaloons zu erkennen war.

      „Sie wissen wohl nicht, dass ich nikotinsüchtig bin, Bertrand? Nach zwanzig Minuten ohne Zigarillo zittern mir die Knie … dann dresch ich auf jeden ein, der mir zu nahe kommt.“

      „Beste Gelegenheit, um sich’s abzugewöhnen“, feixte er.

      Meine Drohung ließ ihn aufblühen wie eine lange nicht gegossene Topfpflanze. Wenn es zwei Dinge gibt, die diese alten Halunken wieder zum Leben erwecken, dann ist eines davon – neben ihrem Sinn für politische Zoten – die Aussicht, eins aufs Maul zu bekommen. Selbst auf die Gefahr hin, dass es nur eine nicht ganz ernst gemeinte Drohung war.

      „He, Frank, hat Sie der Schlag im Stehen getroffen? Sie wirken ja ganz abwesend …“

      „Riecht nach feuchten Aufnehmern, finden Sie nicht?“

      „Bloß die Wandverkleidung“, winkte er ab. „Wenn Sie nach ein paar Wochen wieder zurück sind, wird’s Ihnen so vorkommen, als seien Sie hier zu Hause.“

      „Klingt ja, als wenn Sie geradezu süchtig danach wären?“

      „Ja, macht süchtig“, bestätigte er. „Fast wie unser Job. Ich will Ihnen was flüstern, Frank. Asch hat den Laden hier angemietet, um was ganz Großes in Szene zu setzen. Das dickste Ding seit Kaisers Geburtstag und den Zeiten des Kalten Krieges. Sie werden staunen!“

       2

      „Sie denken vielleicht, wir seien bloß ‘n Haufen alter Narren, die sich wichtig machen wollen?“, fuhr er fort, während er die Tür aufschob.

      Er setzte meine Reisetasche ab und witterte wie ein misstrauischer alter Ziegenbock im Zimmer umher. Offenbar fiel das Klima zu seiner Zufriedenheit aus, denn sein Daumen deutete elegant über die Schulter.

      „Von den beiden Amerikanern mal ganz abgesehen – die haben sich darauf verlegt, unsere Biervorräte zu dezimieren, und fühlen sich pudelwohl dabei –‚ sieht’s ganz scheußlich für uns aus.

      Karlsbeck stirbt an Langeweile. Kuben büffelt Mathematik und Latein, und Falkner hat sich wahrhaftig darauf verlegt, alte Artikel über die Geheimdienstarbeit zu sammeln. Sein Zimmer ist übersät davon.

      Treten Sie ja nicht drauf, wenn Sie ihn besuchen! Dann wird er zum brüllenden Löwen. Sie sterben alle an Langeweile, Frank. Und das im besten Mannesalter.“

      „Na ja, wie man’s nimmt“, sagte ich.

      „Zweiundsechzig ist kein Alter für mich“, sagte er und schlug sich treuherzig dreinblickend mit der Hand auf die Brust.

      „Meines Wissens sind Sie dreiundzwanzig geboren. Also legen wir lieber noch fünf drauf, Bertrand.“

      „Drei – drei ist das höchste, was mir meine biologische Uhr zubilligen würde. Nach meinem inneren Rhythmus bin ich sogar unter sechzig.“

      „Sie sind alt und abgetakelt, Bertrand! Ein Haufen verbogener Knochen. Mit Gelenken, die lauter quietschen als mein Garagentor. Ich kenne Ihre Krankengeschichte. Bewahr sie schließlich in meinen Karteikästen auf.“

      „Und Sie sind ein Ungeheuer, Frank.“

      „Nur wahrheitsliebend, Bertrand.“

      „Ein Zyniker.“

      „Wir sind alle Zyniker. Unverbesserliche, neunmalkluge, gelangweilte Zyniker“, sagte ich und warf mich aufs Bett; Geruch von Matratzengras und verwaschenem, zerfallendem Leinen stieg als Wolke um mich her auf. Ich schob mir eines der eingebeulten Kissen unter den Nacken, die so hart und fest wie Sandsäcke beim Boxtraining waren. „Das ist nun mal unsere liebste Beschäftigung, ehe wir gehen müssen. Können’s nicht lassen, wenigstens mit Worten Katze jagt die Kirchenmaus zu spielen, obwohl unsere Krallen längst stumpf geworden sind. Und unsere Mägen nur noch Dosenkost vertragen. Sehen immer noch jeden abweichenden Ideologen als leicht zu erlegendes Wild an, Bertrand, als Jagdbeute.

      Dabei brauchte man nur noch ein paar Jährchen abzuwarten – ruhig dazusitzen und Tee zu trinken –, bis der Osten wie der Westen und der Westen wie der Osten geworden ist. Alles gleicht sich einander immer mehr an.“

      „In hundert Jahren nicht.“

      „Dann werden Renegaten wie Sie ganz einfach zu Friedensrichtern ernannt.“

      „Zyniker, Sie gottverdammter alter Zyniker“, sagte Bertrand und warf laut die Tür hinter sich ins Schloss.

      Oh, er hasste mich wirklich. Er würde eine Nacht voller wilder Verwünschungen zubringen. Die Augen starr zur Decke gerichtet, das Gebiss auf der Nachtkonsole.

      Wahrscheinlich hatte Asch den ganzen Hotelkomplex samt Nebengebäuden und Personal für einen Spottpreis angemietet. Weil die Bruchbude sonst keiner haben wollte. Aus meinem Fenster sah ich in die dunklen Tannenwipfel. Aber ein paar Meter tiefer war die Natur abrupt zu Ende:

      Dort gähnte ein schwarzes Loch, in dem der Hausmüll verschwand.

      Bertrand hätte mich leichten Herzens ebenfalls darin verschwinden lassen (die Rubrik ‚Müll’ fand er sicher ganz passend für mich), das wusste ich aus unserer langen Bekanntschaft. Bloß hatte es ihm dazu schon immer an Kräften gemangelt.

      Während ich noch die Baumwipfel musterte, sah ich Green, den Engländer, über einen schmalen Fußpfad vom Murellenberg kommen. Er trug einen dünnen, durchsichtigen Regenmantel mit Kapuze gegen den Nieselregen und nickte mir unmerklich zu.

      „Kommen Sie runter in die Halle, Sander. Hab mit Ihnen zu sprechen“, rief er in akzentfreiem Deutsch hinauf.

      Ich erinnerte mich gut an ihn, weil er einmal der Schrecken der Londoner Population gewesen war. Nicht so katastrophal erfolglos wie Bertrand; aber dafür einer von der Sorte, die ihre politischen Ambitionen offen zur Schau trugen.

      Keine Woche, die verging, ohne dass er irgendeine Eingabe an Downing Street Nr. 10 gesandt hatte, um sich mit klugen Kommentaren zur Weltpolitik zu Worte zu melden.

      Ich glaube, er hatte es glänzend verstanden, den Laden vom untersten Regierungsmitarbeiter bis hinauf zum Außenminister und zur Regierungschefin in Atem zu halten.

      Seine Eingaben waren etwa von der Sorte:

       Denken Sie nicht, gnädige Frau, dass uns ein schnelles Zuschlagen bezüglich der Falklands – ich meine, ein Faustpfand gegen die Übergriffe der Argentinier kann unmöglich schaden – in eine günstigere Verhandlungsposition versetzen würde? Mein Vorschlag:

       Mit drei Kanonenbooten Ihrer Majestät die Nordspitze des Hafens von Buenos Aires besetzen (leicht zu verteidigen wegen des unwegsamen Flussdeltas). Angesichts der dauernden Übergriffe der Argentinier nur legitim. Und dann lassen wir uns die besetzte Zone in monatelangen Verhandlungen gegen politische Zugeständnisse oder Abtretungserklärungen für die Falklands abkaufen.

       Was halten Sie davon?